Regierungen ohne Spielräume

Der Nahost-Friedensprozess kommt nicht voran. Das liegt auch an der Schwäche führender Politiker

  • Oliver Eberhardt
  • Lesedauer: 5 Min.

Jedes Detail zählt, wenn ein ausländischer Spitzenpolitiker zum Besuch im Nahen Osten eintrifft. Wird er auch die Palästinensischen Gebiete besuchen? Wen wird er treffen? Wie wird er in die arabischen Staaten weiterreisen? Jede Kleinigkeit kann ein Signal sein.

Ja’ir Lapid braucht dringend positive Signale. Der Chef der Zentrumspartei ist nach der Auflösung des Parlaments und dem damit verbundenen Rückzug von Premierminister Naftali Bennett zum israelischen Regierungschef aufgestiegen, übergangsweise. Bald wird in Israel wieder gewählt, zum fünften Mal innerhalb von weniger als drei Jahren. Der große Gegenspieler ist immer noch der frühere konservative Premier Benjamin Netanjahu. Genug Sitze, um bequem eine Koalition bilden zu können, können beide nicht erwarten. Es sei denn, er kommt, dieser Moment, der alles verändert. Die Friedensschlüsse Israels mit Ägypten, später mit Jordanien, waren solche Momente, die Politikern zu Symptahien verhalfen.

Und so richten sich die Augen momentan in Richtung Saudi-Arabien. Bis vor gut zwei Wochen war Lapid Außenminister und ziemlich oft unterwegs, während in seinem Umfeld in persönlichen Gesprächen stets das Gefühl vermittelt wurde, dass etwas Großes bevorsteht: Die Beziehungen zu den Vereinigten Arabischen Emiraten und zu Bahrain wurden gefestigt. Israel hat seine strategische Partnerschaft mit Ägypten und Jordanien im Hintergrund weiter betoniert.

Aber vor allem ging es um Saudi-Arabien. Schon seit Jahren redet man miteinander. Israelische und saudische Offizielle besuchten das jeweils andere Land. Aber der Aufnahme von diplomatischen Beziehungen stand stets die Palästina-Frage im Weg. Erst wenn es dort weitergehe, sei der Austausch von Botschafter*innen denkbar, hieß es stets aus Riad.

Jedes Detail zählt, und damit fällt auch auf, dass die saudische Regierung diesen Satz jetzt, vor der Nahost-Reise von US-Präsident Joe Biden, nicht mehr sagt. Und dass Bidens Flugzeug auf dem Weg von Tel Aviv nach Riad auch nicht, wie sonst üblich, im jordanischen Amman zwischenlanden wird, damit in der saudischen Hauptstadt kein Direktflug aus Israel eintrifft.

Mangels klarer Aussagen der Beteiligten wird derzeit viel spekuliert: In den israelischen Medien hält man es für wahrscheinlich, dass Saudi-Arabien den Luftraum vollständig für Flüge von und nach Israel öffnen wird. Denkbar ist auch, dass man eine strategische Partnerschaft gegen den Iran und einen Ausbau der internationalen Infrastruktur in der Region ankündigen wird. Pläne für Bahnlinien von Saudi-Arabien nach Israel liegen schon seit Langem in der Schublade. Die Transportwege würden sich dadurch erheblich verkürzen und verbilligen. Davon würde auch das strukturschwache Jordanien profitieren. Verlierer wäre allerdings Ägypten, das mehrere Milliarden Euro im Jahr aus den Durchfahrtgebühren für den Suez-Kanal einnimmt.

Eine Aufnahme von vollständigen diplomatischen Beziehungen würde aber eine öffentliche Abkehr der saudischen Regierung von der bisherigen Palästina-Doktrin erfordern, oder zumindest deutliche Zugeständnisse der israelischen Regierung. Doch Lapids Handlungsspielraum ist eingeschränkt. In der Phase zwischen Parlamentsauflösung und Neuwahl darf die Regierung nur noch Entscheidungen treffen, für die kein Parlamentsbeschluss erforderlich ist. Denkbar ist, dass Israel einer Übertragung von Teilen der C-Gebiete an die Autonomiebehörde zustimmen wird.

In den Osloer Verträgen wurde das Westjordanland ohne Ost-Jerusalem aufgespalten: A-Gebiete stehen vollständig unter palästinensischer Verwaltung und umfassen 18 Prozent des Gesamt-Gebietes, B-Gebiete (22 Prozent) stehen unter palästinensischer Zivil- und israelischer Sicherheitsverwaltung. C-Gebiete (60 Prozent) des Westjordanlands stehen vollständig unter israelischer Kontrolle. Im Gespräch ist, dass ungefähr die Hälfte der C-Gebiete zu B-Gebieten wird oder dass Israels Regierung palästinensische Bauprojekte dort genehmigen wird. Grundsätzlich bauen Palästinenser*innen dort ohne Genehmigung, weil es nahezu unmöglich ist, eine Erlaubnis zu erhalten.

Allerdings hat auch Biden ein großes Problem. Anfang der Woche veröffentlichte die Menschenrechtsorganisation Adalah einen Bericht, der zu dem Ergebnis kommt, dass die neue US-Botschaft in Jerusalem zum großen Teil auf Land gebaut werden soll, das sich in arabischem Besitz befindet. Sowohl der US-Kongress als auch das Weiße Haus wissen seit den 1990er Jahren davon. Damals wurden die Pläne angefertigt, aber zurückgestellt. Erst 2019 entschied Präsident Donald Trump, die Botschaft nach Jerusalem zu verlegen.

Auf der palästinensischen Seite ist man unzufrieden, auch wenn sich die Beziehungen zu den USA unter Biden deutlich verbessert haben. Man erwarte, dass Biden deutliche Zugeständnisse durchsetze, sagte Regierungschef Mohammed Schtajjeh am Dienstag, nachdem US-Botschafter Thomas Nides im Gespräch mit der »Times of Israel« erklärt hatte, Biden werde »auf den Tisch hauen«. Allerdings sprach er über die Einführung des Mobilfunkstandards 4G, wovon er sich einen Schub für die palästinensische Wirtschaft verspricht. Doch Schtajjjeh fordert vor allem diplomatische Fortschritte ein: Biden müsse Israels Regierung zur Rückkehr an den Verhandlungstisch bewegen.

Doch weder in Israel, den USA noch in der arabischen Welt scheint man das derzeit für zielführend zu halten. Denn nicht nur die israelische Regierung hat kaum noch Spielräume. Palästinas Präsident Mahmud Abbas ist 87 Jahre alt, regiert seit 2010 ohne Mandat und ist in der Öffentlichkeit extrem unbeliebt.

Die Schaffung eines palästinensischen Staats ist ohnehin zu einem Generationenprojekt geworden: Die Autonomiebehörde ist chronisch pleite, die Wirtschaft marode, die de facto staatlichen Strukturen sind unter Abbas zerbröselt. Die Zahl der israelischen Siedler*innen ist unter Netanjahu enorm gestiegen. Es würde Jahre dauern, um Siedlungen zu räumen und einen funktionsfähigen Staat aufzubauen.

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