Wie die extreme Rechte die Teuerungen für sich nutzen will

Natascha Strobl warnt vor einem apokalyptischen Systemkampf und gesellschaftlicher Spaltung durch die extreme Rechte

  • Natascha Strobl
  • Lesedauer: 4 Min.

Gesellschaftliche Krisen sind immer ein Einfallstor für Rechtsextremismus. Und von politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Krisen haben wir gerade mehr als genug. Dabei gilt es natürlich zu beachten, dass die simple Gleichung »Armut -> Rechtsextremismus« Humbug ist. Zum einen, weil Monokausalität bei sozialen und politischen Prozessen nie gegeben ist. Zum anderen, weil Faschismus die Krise selbst braucht und nicht das, was daraus resultiert. Es sind die Abstiegsängste und nicht der Abstieg selbst, der Rechtsextremismus und in letzter Konsequenz Faschismus befördert. In der Erzählung der extremen Rechten wird realer oder nur erzählter ökonomischer Abstieg kulturell umgedeutet. Die wirtschaftliche wird so zu einer kulturellen Krise. Also ist der erlebte oder befürchtete Abstieg keine Folge sozioökonomischer Prozesse, sondern eine Folge von gesellschaftlichen Emanzipationsbewegungen und das Infragestellen patriarchaler und rassistischer Strukturen. So wird aus einer ökonomischen Krise Kulturkampf. Die Konsequenz der Erzählung ist, dass es ökonomische Absicherung nur durch eine autoritäre gesellschaftliche Ordnung geben kann.

Die ewige Dekandenz

Natascha Strobl
Natascha Strobl ist Politikwissenschaftlerin und Autorin aus Wien. Auf Twitter schreibt sie Ad Hoc-Analysen zu rechtsextremer Sprache und faschistischen Ideologien, für »nd« schreibt sie die monatliche Kolumne »Rechte Umtriebe«. Darin widmet sie sich der Neuen und Alten Rechten und allem, was sich rechts der sogenannten Mitte rumtreibt. Alle Texte auf dasnd.de/umtriebe.

Ökonomische Krisen sind in einer rechtsextremen Deutung letztendlich kein Beleg dafür, dass das ökonomische System (also Kapitalismus) nicht funktioniert, sondern das Zeichen von Dekadenz. Diese wird interpretiert als Resultat vieler kleiner gesellschaftlicher Verfallsdiagnosen. Dazu zählen für die extreme, faschistische Rechte jede Form von solidarischen Emanzipationsbewegungen und der Festschreibung dieser Kämpfe in gesetzlichen, politischen, aber auch nur informellen Rahmenbedingungen. Nur aus diesem Denken ist es beispielsweise zu erklären, dass die Verwendung geschlechtergerechter Sprache dem Untergang des Abendlandes gleichkommt. Geschlechtergerechte Sprache wird als Anschlag auf eine als ideal empfundene, hierarchische Gesellschaftsordnung gesehen, deren Fortbestehen global für Stabilität sorgt. Das ist ein ganz und gar antimaterialistisches Weltbild, das nahe am magischen Denken ist. Es führt aber auch dazu, dass diese Gesellschaftsordnung in permanenter Gefahr ist und ständig verteidigt werden muss. Bricht sie zusammen oder vertiefen sich die Krisen, so ist das im faschistischen Denken ein weiterer Beleg für den Kampf um eine autoritäre Gesellschaftsordnung, die magischerweise auch für ökonomische Stabilität sorgen soll.

Verschwörungen und apokalyptisches Raunen

Der Zusammenbruch einer Gesellschaftsordnung lässt sich so nicht anhand ihrer materiellen Grundlagen – also von unten – erklären, sondern nur im Kriegsdenken von oben. Es muss also einen geheimen Plan verborgener, übermächtiger Feinde geben, die aus dem Hinterhalt Länder, Nationen, Völker, Kulturen (je nach faschistischer Stoßrichtung) angreifen. Rechtsextreme und faschistische Krisenerklärungen sind in ihrer Negierung materialistischen Denkens immer auch sehr nah am Verschwörungsdenken. Aktuell spielt sich dieses Verschwörungsdenken zwischen »Großer Austausch«, »Great Reset« und dem imaginierten Endkampf »Traditionalismus vs Liberalismus« ab. Faschistisches Denken ist immer auch apokalyptisches Denken, dementsprechend sind gesellschaftliche und politische Krisen der Humus, auf dem sie gedeihen. Wenn unklar ist, wie es weiter geht, ist es immer leichter, die Apokalypse zu predigen, als eine andere, bessere Welt zu skizzieren.

Dementsprechend werden wir aus der extremen Rechten in den nächsten Monaten wenig Kritik an wirtschaftlichen Prozessen hören. Umso mehr wird ein apokalyptischer, rein gesellschaftlicher Systemkampf zwischen Dekadenz und einer autoritären Gesellschaft imaginiert und herbeigesehnt werden. In diesem Endkampf ist kein Platz für solidarische Lösungen. Viel mehr wird, ganz im Sinn der russischen Propaganda, versucht werden, die Ukrainer*innen im Kriegsgebiet gegen arme Menschen in Resteuropa auszuspielen. Eine Spaltung, die unbedingt verhindert werden muss. Dazu zählt aber auch, sie nicht völlig unnötig mit anderen Vorzeichen (»frieren für die Ukraine«) aufzumachen.

Die extreme Rechte wird auch versuchen, die Teuerungen und die Inflation in ihr bekanntes Verschwörungsdenken einzupassen und so für Kontinuitäten zu sorgen. Als sei es nur eine weitere Episode einer imaginierten Neuen Weltordnung.

Systemwandel statt Kulturkampf

Linke, antifaschistische und demokratische Kräfte dürfen diesen Kulturkampf weder übernehmen noch versuchen, ihn mit umgekehrten Vorzeichen und Durchhalteparolen ans Gute, Wahre und Schöne zu führen. Viel mehr gilt es mehr denn je, die materiellen Grundlagen dieser Krisen aufzuzeigen. Nicht aus Rechthaberei oder als theoretische Spielerei, sondern weil die Existenz der Vielen auf dem Spiel steht. Der Grund für diese Krisen ist ein Wirtschaftssystem, das auf unendlichem Wachstum beruht und dabei die unendliche Ausbeutung von Mensch und Natur als zynische Selbstverständlichkeit ansieht. So muss es aber nicht sein.

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