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Die alte Wunde der SPD
Das parteiinterne Verfahren gegen Gerhard Schröder lenkt den Blick auf rot-grüne Verfehlungen
Gerhard Schröder reagiert auf seine Kritiker in der SPD mit Ignoranz. Als die dreiköpfige Schiedskommission des zuständigen SPD-Unterbezirks Region Hannover am Donnerstag über einen möglichen Parteiausschluss des früheren Parteivorsitzenden und Bundeskanzlers verhandelte, war Schröder nicht anwesend. Er hielt es auch nicht für notwendig, einen Anwalt zu der mündlichen Anhörung zu schicken. Dort wurde über insgesamt 17 Anträge von Kreis- und Ortsverbänden gesprochen, in denen gefordert wird, dass Schröder aus der Partei geschmissen werden soll.
Grund dafür ist aus Sicht der Genossen die Nähe des früheren Politikers zur russischen Staatsführung, die er auch nach dem Angriff auf die Ukraine nicht aufgegeben hat. Allerdings hat Schröder inzwischen einige Konsequenzen gezogen, nachdem ihm der Haushaltsausschuss im Bundestag sein staatlich finanziertes Büro samt Mitarbeitern gestrichen hatte, über das er als Altkanzler verfügen konnte, und er unter anderem auf die Ehrenbürgerwürde von Hannover verzichten musste. Schröder hatte im Mai erklärt, dass er seinen Posten als Aufsichtsratschef beim russischen Ölkonzern Rosneft aufgeben will. Er schlug zudem eine Nominierung als Aufsichtsrat bei Gazprom aus.
Allerdings war Schröder in den vergangenen Jahren in unterschiedlichen Funktionen als Gaslobbyist tätig und ist weiter mit der Nord Stream AG verbandelt. Mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin verbindet ihn eine jahrelange Freundschaft. Die »Frankfurter Allgemeine Zeitung« hatte kürzlich berichtet, dass Schröder erklärte, er glaube nicht an eine militärische Lösung in der Ukraine. »Der Krieg ist nur durch diplomatische Verhandlungen zu beenden«, wurde er zitiert. Seine Gesprächsmöglichkeiten mit Putin wolle er nicht aufgeben.
Fraglich ist aber, ob das ausreicht, um einen Parteiausschluss von Schröder zu rechtfertigen. Dafür muss ihm ein bewusstes parteischädigendes Verhalten nachgewiesen werden. Und das ist juristisch kompliziert. Wörtlich heißt es im SPD-Organisationsstatut: »Auf Ausschluss kann nur erkannt werden, wenn das Mitglied vorsätzlich gegen die Statuten oder erheblich gegen die Grundsätze oder die Ordnung der Partei verstoßen hat und dadurch schwerer Schaden für die Partei entstanden ist.« Das Verfahren kann sich jahrelang hinziehen, wenn es zu Berufungsverhandlungen kommt. Das Schiedsgericht muss innerhalb von drei Wochen nach der mündlichen Verhandlung seine Entscheidung mitteilen. Die SPD-Schiedskommission beendete ihre Verhandlung am Donnerstag ohne Ergebnis. Man werde sich am Freitag intern beraten, sagte der Geschäftsführer des SPD-Bezirks Hannover, Christoph Matterne.
Schröder will Mitglied der SPD bleiben und sein Anwalt hat dieser Tage deutlich gemacht, dass es für einen Ausschluss »keine tatsächliche und rechtliche Grundlage« gebe. Es ist durchaus möglich, dass Schröder nur eine Rüge erhält. Diese Entscheidung könnte dann von den Antragstellern angefochten werden.
Bislang zeichnet sich nicht ab, dass der Fall in der SPD eine grundsätzliche Debatte über Lobbyismus auslöst. Schröder hatte während seiner Kanzlerschaft eine Politik betrieben, die durch die sogenannten Hartz-Reformen, radikalen Steuersenkungen und Deregulierungen auf dem Arbeitsmarkt dazu beitrug, dass Unternehmen ihre Profite maximieren konnten. So war es nicht verwunderlich, dass die Protagonisten später selber lukrative Jobs bei Firmen annahmen, die von der rot-grünen Politik der Jahre 1998 bis 2005 profitiert hatten. Der mittlerweile verstorbene ehemalige Arbeitsminister Wolfgang Clement kam beim Energiekonzern RWE unter und engagierte sich in der neoliberalen Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft. Sein Genosse und Amtsvorgänger Walter Riester verdingte sich bei Finanzdienstleistern, für die er zuvor als Minister die besten politischen Rahmenbedingungen geschaffen hatte. Clement war nach einem Parteiordnungsverfahren 2008 aus der SPD ausgetreten. Riester besitzt noch immer das rote Parteibuch.
Die Politik dieser Männer und ihre Folgen für die Sozialdemokraten sind in der SPD niemals umfassend aufgearbeitet worden. Denn dann müssten sich nachträglich auch diejenigen verantworten, die mittlerweile an der Spitze der Bundesregierung und des Staates stehen. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hatte als früherer Kanzleramtschef einen großen Einfluss auf die rot-grüne Politik. Und Bundeskanzler Olaf Scholz verteidigte einst als Generalsekretär der SPD die Agenda 2010 von Schröder. Das zeigt, dass sein Geist nicht vollständig aus der Partei verschwinden wird. Ganz gleich, ob Schröder Mitglied bleibt oder nicht.
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