Ein junger »Hässlichkeitsapostel«

Zum 175. Geburtstag Max Liebermanns widmet ihm die Alte Nationalgalerie in Berlin eine innovative Hommage

  • Klaus Hammer
  • Lesedauer: 4 Min.
Schmutzig-dunkles Frühwerk: Max Liebermanns »Flachsscheuer in Laren« (1887)
Schmutzig-dunkles Frühwerk: Max Liebermanns »Flachsscheuer in Laren« (1887)

Schon zur Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert wurde der gerade ins sechste Lebensjahrzehnt eingetretene Max Liebermann als größter lebender deutscher Maler bezeichnet. Von 1898 bis 1911 hatte er ununterbrochen die Präsidentschaft der einflussreichen Künstlervereinigung Berliner Sezession inne. In seinem Palais am Pariser Platz, gleich am Nordflügel des Brandenburger Tores, versammelte er die geistige und künstlerische Elite des Landes, um die sich Kaiser Wilhelm II. im Berliner Schloss am anderen Ende von Unter den Linden vergeblich bemühte. Nach dem Zusammenbruch des Kaiserreichs wurde er Präsident der Preußischen Akademie der Künste und erlangte damit eine leitende Funktion im deutschen Kunstleben.

Am 30. Januar 1933 marschierten die neuen Machthaber vor seinem Haus am Pariser Platz vorbei, und er sprach in seiner Berliner Mundart die viel zitierten Worte: »Ick kann jar nich so ville fressen, wie ick kotzen möchte.« Als Repräsentant der Weimarer Republik und als Jude verließ er die Akademie – deren Präsidentschaft hatte er schon 1932 aufgegeben – und starb zwei Jahre später in verbitterter Zurückgezogenheit. Wie der Kunstschriftsteller Karl Scheffler in seiner Trauerrede ausführte, endete mit ihm eine Epoche, für die er symbolisch stand.

Für Liebermann war der Gegenstand stets wichtiger als das optische Verhalten der Dinge in der Flut von Licht und Atmosphäre. Dennoch brachte gerade er eine unerhörte Kultivierung der Maltechnik ein, die sowohl auf einer intimen Kenntnis der holländischen Malerei als auf einer »Abkürzung« der Pinselhandschrift beruhte. Seine tonige Malerei hebt sich deutlich von der Maltechnik der französischen Impressionisten ab.

Liebermann wandelte sich über die Zeit – vom erddunklen Naturalisten über den hellfarbigen Pleinairisten zum Gesellschaftsmaler der Weimarer Zeit. Grenzte er sich selbst vom Idealismus der gedankenschweren Akademiemalerei Anton von Werners ab, waren es mit dem Untergang des Kaiserreichs die Expressionisten, die nun Liebermann als altmodisch attackierten. Die Moderne schien den Wegbereiter der Moderne überholt zu haben. Ebenso waren die Beziehungen des Malers zur Königlichen Nationalgalerie unter dem Direktorat von Max Jordan zunächst von Feindschaft, dann unter Hugo von Tschudi von Freundschaft und schließlich unter Ludwig Justi, der die Expressionisten protegierte, durch erneute Entfremdung geprägt.

Sowohl seine schmutzig-dunkle Farbwahl als auch die »bildunwürdigen« Motive – die Gänserupferinnen, Schuster, Ziegenhirten, Feldarbeiterinnen – brachten dem 30-jährigen Liebermann die Bezeichnung »Hässlichkeitsapostel« ein. Doch 1888 erwarb die Nationalgalerie mit der »Flachsscheuer in Laren« (1887) als erstes deutsches Museum ein Bild von ihm.

Biergärten, Reiter am Meer und Badende gehörten dann zu den Motiven, die um 1900 Liebermanns Arbeits- und Gruppenbilder der Frühzeit ablösten. In vielen Werken waltet der lebendig hingestrichene Eindruck vor. Der Künstler wandte sich nun dem Problem von Licht- und Sonneneinwirkung in der Landschaft zu: Die konkrete Form beginnt sich aufzulösen, das Skizzenhafte und das Spiel der Lichteffekte dominieren, die Fluktuation des Lichtes verlangt eine Leuchtkraft der Farbflecke. Schon hier exerziert er seine »Kunst des Weglassens« und des Vereinfachens.

Als halluzinatorisches Ereignis- und Sinnbild für eine archaische Schicksalsgemeinschaft malte Emil Nolde das biblische »Pfingsten« (1909). Nach Einspruch Liebermanns wurde das Bild von der Jury der Berliner Sezession abgelehnt. Das veranlasste die expressionistischen Künstler, in Berlin die »Neue Sezession« zu gründen. Liebermann dagegen folgte in seinem »Barmherzigen Samariter« (1911) weniger der biblischen Legende, sondern gab in nüchterner Malweise ein Beispiel mitmenschlicher Hilfsbereitschaft. In der Tat unterscheidet sich die Kompaktheit der Farbe bei Emil Nolde, etwa im »Blumengarten« (1915), von der malerischen Delikatesse in Liebermanns Gartenbildern am Wannsee. In Liebermanns Wannseegarten-Bildern brillieren zwar einige Farben, und doch ist eine ordnende Empfindungstiefe in die Naturfülle eingezogen.

Etwas Besonderes hat sich die Alte Nationalgalerie in Berlin zu Liebermanns Geburtstag einfallen lassen: 13 Schlüsselwerke aus ihrer bedeutenden Liebermann-Sammlung werden in Videos von verschiedenen Personen besprochen – vom Aufsichtspersonal, das tagtäglich mit den Arbeiten konfrontiert ist, bis zu einzelnen Künstlern, Schauspielern und Journalisten, vom Museumsdirektor bis zu Kindern und Jugendlichen, die ihre eigene Sicht vermitteln. So lässt uns diese originelle Schau im Austausch mit anderen viele neue Entdeckungen sammeln.

»Mein Liebermann. Eine Hommage«, 20. Juli bis 13. November, Alte Nationalgalerie, Berlin

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