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»Menschenmöglichstes« statt Standard

Untersuchungsausschuss zum Anschlag von Hanau fragte nach, warum Polizeinotruf in Tatnacht überlastet war

  • Marta Moneva
  • Lesedauer: 4 Min.

Angehörige der Menschen, die vor zweieinhalb Jahren bei dem rassistischen Anschlag von Hanau ermordet wurden, haben es immer wieder betont: Wäre der Polizeinotruf vorschriftsmäßig erreichbar gewesen, könnten einige der Opfer noch leben. Am Montag war die fehlerhafte Erreichbarkeit des Notrufs der Polizeistation Hanau Thema einer zwölfstündigen Marathonsitzung des zuständigen Untersuchungsausschusses des Hessischen Landtags. Die Wache verfügte über zwei Notrufleitungen. Wurde über die erste telefoniert und war die zweite wie in der Tatnacht unbesetzt, wurden Notrufe nirgendwohin weitergeleitet. Unter der bekannten Nummer 110 war also niemand erreichbar.

Am Montag sagten vor den Ausschussmitgliedern zwei Polizeibeamte aus, die in der Nacht des Anschlags in dieser Station Dienst hatten. Beide bestätigten, dass ihnen nicht bekannt war, dass ein Notrufüberleitungssystem nicht existiert. Die 30-jährige Polizeioberkommissarin, die in der Tatnacht allein für zwei Notrufleitungen und eine Amtsleitung sowie für Besucher*innen an der Pforte zuständig war, war sich nicht bewusst, dass Notrufe »ins Leere laufen könnten«.

Die Beamtin wurde gefragt, was sie getan hätte, wenn Vili-Viorel Păun, der dem Attentäter mit seinem Auto folgte, während er parallel versuchte, 110 anzurufen, mit seinem Notruf durchgekommen wäre. Ihre Antwort: Sie hätte ihm vermutlich geraten, jemandem, der zuvor geschossen habe, nicht weiter hinterherzufahren. Zu diesem lebensrettenden Telefonat kam es nicht. Die anderen drei Zeugen erklärten ebenfalls, sie hätten dem 22-Jährigen empfohlen, sich in Sicherheit zu bringen, aus dem Sichtfeld des Täters zu gehen. Vili-Viorel Păun wurde von dem Täter, einem 43-jährigen Deutschen, kurz nach seinen Anrufversuchen in seinem Wagen erschossen.

Die Polizistin äußerte sich zugleich überzeugt, dass eine bessere Erreichbarkeit des Notrufs nichts geändert hätte. »Wir haben das Menschenmöglichste, wozu wir in der Lage waren, getan, um die Situation zu meistern«, beteuerte sie. Sie wisse nicht, was sie und ihre Kollegen hätten besser machen können. Die 30-Jährige hatte den ersten Notruf um kurz vor 22 Uhr angenommen. Der Anrufer habe von Schüssen gesprochen und große Angst um sein Leben gehabt. Sie habe mit ihm gesprochen, bis die Streife vor Ort angekommen sei. Ein 41-jähriger Kollege von ihr sagte den Abgeordneten, er sei nach den ersten Notrufen direkt zum Tatort gefahren.

Jürgen Fehler, Leiter der Polizeidirektion Main-Kinzig und zuständig für Hanau, berichtete ausführlich über Überlastungsanzeigen aus Hanau bereits seit 2001. Es habe auch mehrere Beschwerdeschreiben vom Polizeistationsleiter gegeben. 2007 habe es erste Überlegungen zu einer bundesweiten Zentralisierung der Notrufsysteme gegeben. Die Zentralisierung der eingehenden Notrufe in Hanau sei aber immer wieder verschoben worden. Erst nach dem Anschlag sei diese realisiert worden. Nach Ansicht von Fehler lief der Polizeieinsatz in der Tatnacht »richtig gut«. Die Diensthabenden seien schnell vor Ort gewesen. Die Berichterstattung darüber habe »richtig wehgetan«.

Die Anhörung des letzten Zeugen, des Landespolizeipräsidenten Roland Ullmann, die mit einer von ihm verlesenen Stellungnahme begonnen hatte, dauerte mehrere Stunden. Auch er habe keine Kenntnisse zu dem fehlenden Notrufüberlaufsystem in Hanau gehabt, erklärte Ullmann, der zum Tatzeitpunkt Präsident des Polizeipräsidiums Südosthessen war. »Kritik und Beschwerden zu dem dezentralen Notruf und der technischen Ausstattung« hätten ihm nicht vorgelegen, erklärte er. Auf die Frage, warum ihm diese nicht bekannt waren, antwortete Ullmann: »Ich kann Ihnen gegenüber als Zeuge keine Angaben machen.« Auf viele Fragen antwortete Ullmann, der in Rede stehende Sachverhalt sei vor seiner Zeit gewesen, deshalb könne er dazu nichts sagen. Ullmanns Weigerung, eine persönliche Verantwortung für das institutionelle Versagen von Hanau einzuräumen, sorgte bei den Ausschussmitgliedern unabhängig von ihrer Parteizugehörigkeit für Unverständnis.

Sie hakten auch bezüglich der unterschiedlichen Angaben von Fehler und Ullmann zur Personalausstattung der Polizeistation Hanau nach. Die von Ullmann genannten Zahlen waren wesentlich höher. Ihm sei nicht klar gewesen, dass nicht die Soll-Angaben für den Ausschuss relevant seien, sondern der Ist-Zustand, erklärte der Polizeipräsident. Er hatte für die Polizeistation im Jahr 2019 17 Stellen mehr genannt als Fehler.

Saadet Sönmez (Linke), Obfrau der Linken im Ausschuss, kritisierte Ullmann scharf. Es sei »skandalös«, dass ihm keine polizeiinterne Aufarbeitung des Notrufdebakels bekannt sei und er auch keine Initiative dazu ergriffen habe, erklärte sie am Dienstag in Wiesbaden. Hanau habe »fast 20 Jahre lang ein lückenhaftes Notrufsystem« gehabt. »Dieses langjährige politische Organisationsversagen muss Konsequenzen haben«, forderte die Linke-Politikerin.

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