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Soziale Spaltung: Zieht doch aufs Dorf!
Wahlprogramme: Die Parteien wollen geben und nehmen – in sehr unterschiedliche Richtungen
Derzeit werden fette Geschenke verteilt. Vorerst freilich rhetorisch. Nicht wegen Weihnachten, sondern wegen Wahlkampf. Die Parteien legen ihre Wahlprogramme für die Bundestagswahl im Februar vor, und in der Rubrik steuerliche Entlastung wird ordentlich geklotzt.
Die ARD-»Tagesschau« zeigte dieser Tage eine Grafik dazu. Darin wurden die Summen verglichen, um die laut den Wahlprogrammen die Bevölkerung entlastet werden soll. FDP: etwa 138 Milliarden Euro, jährlich. Oder die Union: rund 90 Milliarden. Wobei anzumerken wäre, dass dies – über eine Wahlperiode von vier Jahren gerechnet – mehr wäre als der gesamte Bundesetat eines Jahres. Woher diese riesigen Summen kommen sollen, bleibt bislang weitgehend unklar. Was die »Tagesschau« indessen nicht sagte: Mindestens die Hälfte der von Union und FDP behaupteten Entlastungssummen würden den reichsten zehn Prozent der Bevölkerung zugutekommen. Also denen, die Entlastung am wenigsten nötig haben.
So wollen CDU und CSU – wie auch die FDP – durchsetzen, dass der Spitzensteuersatz von 42 Prozent erst ab einem deutlich höheren Einkommen greift. Die Bundesländer dürften sich dagegen sträuben, denn das würde ihre Einnahmen spürbar schmälern. Experten gehen davon aus, dass die erheblichen Entlastungspläne von Konservativen und Liberalen nur finanziert werden können, wenn schnell ein jährliches Wirtschaftswachstum von zehn Prozent erreicht wird. Daran glaubt kein Mensch; derzeit liegt es bei null. Es ist das Hoffen auf die berühmten Selbstheilungskräfte des Marktes.
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Die FDP will zudem den Solidaritätszuschlag abschaffen, den nur noch Besserverdienende bezahlen müssen. Und die FDP will, wie die Union, bei Bürgergeld und Kosten für Migration straff kürzen – also bei den Ärmsten der Gesellschaft. CDU-Chef Friedrich Merz möchte das Bürgergeld »vom Kopf auf die Füße stellen«, was bei ihm bedeutet, sogenannte Arbeitsunwillige auf ein »absolutes Minimum« zu setzen, offensichtlich weit unter das Existenzminimum. So sollen zweistellige Milliardenbeträge herausgeschlagen werden.
Ganz nebenbei erklärte Merz bei einer Pressekonferenz, wie er beim Bürgergeld auch an anderer Stelle zuzuschlagen gedenkt. Die Wohnkosten sollen vom Staat nur noch als reduzierte Pauschale übernommen werden, »damit wir nicht mehr in den großen Ballungsräumen Wohnraumkosten von bis zu 20 Euro pro Quadratmeter über die Sozialämter und Wohnungsämter erstatten müssen, sodass es dann andere Wohnmöglichkeiten außerhalb der Ballungsräume geben muss«. Abgesehen von der Frage, wie viele Bürgergeldbezieher wirklich in so teuren Wohnungen leben, heißt das übersetzt ins Umgangssprachliche: Statt sich für bezahlbare Mieten einzusetzen, wollen Merz und Söder Leute mit wenig Geld aus den Städten jagen und damit die soziale Spaltung beschleunigen.
Ein spezieller Vorschlag der FDP: Bei der Arbeitslosenversicherung will sie einen billigeren Wahltarif einführen, der im Ernstfall zu geringerem Arbeitslosengeld führen würde. Es wäre ein Schritt weg von einer Solidar- und in Richtung Privatversicherung, bei der sich besser Situierte teils aus der Verantwortung stehlen könnten.
Inhaltlich auf einer Linie mit Union und FDP liegt die AfD, deren sozialpolitische Vorstellungen ebenfalls vor allem Vermögende begünstigen, während kleine und mittlere Einkommen stärker belastet werden. Das betrifft die geforderte Abschaffung des Soli ebenso wie die Senkung der Unternehmenssteuern und die Abschaffung (!) der Erbschaftssteuer. Gespart werden soll dafür bei Asylkosten, Bürgergeld, Klimaschutz und Entwicklungshilfe.
Im Kontrast dazu setzt sich die SPD laut Kanzler Olaf Scholz für mehr bezahlbaren Wohnraum ein – aber das hat sie auch schon im letzten Wahlkampf getan. Doch die Bilanz von Scholz und seiner SPD-Bauministerin bei Wohnungsbau und Mietentwicklung ist kläglich. Insgesamt will die SPD 95 Prozent aller Steuerzahler entlasten; bezahlen sollen das Spitzenverdiener und Vermögende sowie Erben durch höhere Steuern; der relativ niedrige Steuersatz für Erträge aus Kapitalvermögen soll dem normalen Steuersatz angepasst werden.
Ganz praktische Hilfe in Sachen Wohnen und Mieten leistet Die Linke mit einem Online-Mietrechner. Die App – zunächst für Berlin, Leipzig, Freiburg und Hamburg, nun erweitert um Dortmund, Erfurt und München – berechnet, ob die Miete einer Wohnung angemessen ist oder so weit überhöht, dass sie unter den Mitwucherparagrafen fällt. Ist das Fall, wird automatisch das zuständige Amt informiert, das den Vorgang prüfen muss. Bereits mehr als 24 000 Mal wurde die App genutzt, etwa 1000 Meldungen wurden an Wohnungsämter verschickt.
Der Wahlkampf der Linken hat einen deutlichen sozialpolitischen Schwerpunkt. Dazu gehören neben dem Thema bezahlbares Wohnen auch Forderungen nach Abschaffung der Mehrwertsteuer auf Grundnahrungsmittel, Hygieneartikel, Bus- und Bahntickets sowie nach sozial gestaffelten Energiepreisen. Finanziert werden soll das unter anderem mit einem zeitweiligen Energie-Soli für Reiche, der Wiedereinführung der Vermögensteuer und einer modifizierten Erbschafts- und Schenkungssteuer. Die Besteuerung der Superreichen ist ohnehin ein Herzensthema des Linke-Vorsitzenden Jan van Aken, der gern im T-Shirt mit der Aufschrift »Tax the rich« (Besteuert die Reichen) auftritt. Um den Parteivorsitz bewarb er sich im Oktober mit dem Satz »Mein Name ist Jan van Aken und ich finde, es sollte keine Milliardäre geben«.
Die meisten Wahlplakate der Linken verbreiten sozialpolitische Botschaften. Auch das BSW hat einen sozialpolitischen Schwerpunkt. Sein Wahlprogramm stellt es erst im Januar vor; die Plakatmotive drehen sich unter anderem um bessere Renten, sozialen Wohnungsbau, mehr Investitionen in Bildung und Gesundheit. Das BSW hat auch schon angekündigt, woher Geld dafür kommen soll: Unter anderem sollen Ausgaben für Rüstung und Migration reduziert werden. Auf einem Plakat heißt es: »Unser Land wünscht sich weniger Migration. Aber die alten Parteien sind taub!«
Immerhin denken Parteien wie CDU und SPD inzwischen darüber nach, die Schuldenbremse entgegen ihrer bisherigen harten Haltung doch zu lockern. Einzig die FDP bleibt hier eisern bei der Verweigerung. Allerdings: Der vorrangige Zweck einer eventuellen Lockerungsübung soll es sein, die Militärkosten zu steigern.
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