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Engelhorn: »Es braucht keine reiche Pappnase an der Spitze«
Ein Bürgerrat hat das Millionenerbe von Marlene Engelhorn an 77 Initiativen rückverteilt
Wie fühlt es sich an, um 25 Millionen Euro leichter zu sein?
Ich hatte nicht das Gefühl, 25 Millionen Euro schwer zu sein. Ich bin durch pures Erbschaftsglück in eine Verwaltungsposition gekommen. Eigentlich wäre es Aufgabe einer Regierung, in Österreich ein Gesetz zu verabschieden, durch das Erbschaft und Vermögen besteuert werden. Durch die gängigen Modelle wäre ich dadurch weiterhin Multimillionärin – aber es wäre zumindest ein Anfang. Jetzt habe ich an die Gesellschaft zurückgegeben, was mir nie hätte gehören dürfen.
Sind Sie nun Teil der »99 Prozent«?
Nein, weil ich eine hochvermögende Familie habe. Aber es ging bei dem Bürgerrat auch mehr darum, zu zeigen, wie gut die Gesellschaft mit Geld umgehen kann, wenn man sie lässt. Es braucht keine reiche Pappnase an der Spitze.
Der Rat sollte eine Debatte über Umverteilung lostreten. Ist das gelungen?
Schwer zu sagen. Viel Fokus der Öffentlichkeit lag auf dem Geld, nicht auf den Implikationen oder dem Diskurs dahinter. Dabei ist doch das Uninteressanteste, wo die 25 Millionen Euro hingehen. Spannender ist: In diesem Rat saßen auch Menschen, die der Vermögensverteilung gegenüber unkritisch sind. Die Gruppe sollte repräsentativ für die österreichische Bevölkerung sein. Hier finden 70 Prozent die Vermögensverteilung ungerecht, 30 Prozent finden sie gerecht. Trotzdem gab es am Ende einen Konsens für die Regulierung von Vermögen – so wie unter Verteilungsökonomen auch.
Apropos Verteilungsökonomen: Der Armutsforscher Christoph Butterwegge sagte im nd-Interview, er hätte das Geld als Experte zu materieller Ungleichheit lieber selbst verteilt, um dadurch gesellschaftliche Veränderung sicherzustellen.
Ja, das denken alle, und dann haben wir den Salat. Wenn wir uns nur auf die Ergebnisse stürzen und nicht über Prozesse nachdenken, werden wir immer dieselben Machtgefälle reproduzieren. Ein Bürger*innenrat ist ein viel verantwortungsbewussterer Zugang, so kann die Multiperspektivität abgebildet werden.
Sie setzen sich bei der Organisation Taxmenow für Vermögensumverteilung in Deutschland, Österreich und der Schweiz ein. In welchem der drei Länder ist die Situation am gerechtesten?
Laut Netzwerk Steuergerechtigkeit, mit dem wir in einem Bündnis sind, ist die Schweiz am gerechtesten. Das ist natürlich relativ. Aber sowohl in Deutschland als auch in Österreich zahlt die klassische Mittelstandsfamilie verhältnismäßig die meisten Steuern. Und nur in der Schweiz zahlt der Milliardär mehr als der Millionär. Trotzdem verlassen nicht alle Milliardäre fluchtartig die Schweiz.
In Deutschland gibt es im Vergleich zu Österreich zumindest eine Erbschaftsteuer.
Ja, aber die deutsche Erbschaftsteuer ist ein Witz, weil wir wenig Daten zu Vermögen haben – und wegen all der Ausnahmen. So wie die Verschonungsbedarfsprüfung, mein deutsches Lieblingswort. Das ist eine Möglichkeit für Reiche, sich arm zu rechnen. Wenn man ein Betriebsvermögen von mindestens 26 Millionen netto erbt, aber am Stichtag der Erbschaft nicht flüssig ist, kann man Bedürftigkeit anmelden. So hat das zum Beispiel Mathias Döpfner mit seinen Springer-Aktien gemacht. Ich will eine Erbschaftsteuer in Österreich – aber nicht so eine.
Steuern sind nicht der einzige Weg zur Umverteilung. Brauchen wir auch eine Arbeitsmarktreform oder generell: ein anderes Wirtschaftssystem?
Wir brauchen alles. Aber ich bin keine Arbeitsmarktexpertin. Vor allem braucht es eine Möglichkeit, die Bevölkerung in derlei Entscheidungen einzubinden. Das ist das Versprechen der Demokratie. Wenn man das nicht hält, darf man sich nicht wundern, wenn der Rückhalt verloren geht. Wenn es nach einem Bürgerrat zum Beispiel ein Referendum gäbe, würden sich Menschen beteiligt fühlen. Im Gegensatz zu jetzt, wo in jeder neuen Legislaturperiode die Regierung alle Gesetze wieder umwirft.
Die Ergebnisse von Referenden sind aber auch nicht in Stein gemeißelt.
Genau, aber mit einem dem vorangestellten Bürger*innenrat ist Beteiligung nicht nur ein einzelner Tag, an dem du ein »Kreuzerl« setzt.
Sie sagten vorhin, Transparenz zu Vermögen sei wichtig. War es eine bewusste Entscheidung, die Nazi-Verbrechen der IG Farben in der öffentlichen Debatte außen vorzulassen?
Das ist ein wichtiges Thema, zu dem ich selten befragt werde. Seit 1883 ist die BASF nicht mehr mit meiner Familie verbandelt. Danach war die BASF Teil der IG Farben. Und danach kam Zyklon B. Ich habe sehr bewusst versucht klarzustellen, dass ich nicht die BASF-Erbin bin, damit das nicht vermischt wird. Mir ist aber absolut klar, dass auch der später gegründete Engelhorn-Konzern, Boehringer Mannheim, ein problematisches Unternehmen war. Weil ich nicht alles auf einmal machen kann, habe ich den Fokus bewusst auf Rückverteilung gelegt. Trotzdem: Die Geschichte des Unternehmens, die Verwicklung der Familie und die Struktur, in der sich das bewegt, aufzuarbeiten, ist sehr wichtig – weil das kein Einzelfall ist. Wir müssen uns als Gesellschaft die Frage stellen, wie Unternehmen so ausbeuterisch sein können. Wer sich mit meiner Beschäftigung damit auseinandersetzen möchte, dem würde ich das Theaterstück empfehlen, bei dem ich mitmache. Da fließen Überlegungen zu meiner Familie und der Unternehmensgeschichte mit ein.
In dem Stück von Volker Lösch verkörpern Sie sich selbst auf der Bühne. Warum spielt Marlene Engelhorn Marlene Engelhorn?
Ich gebe in »Geld ist Klasse« Einblicke in die Welt der Vermögenden und bürge für die Aussagen, die ich treffe. Ich kann das Thema persönlich greifbar machen und skandalisieren. So wie weiße Menschen die Aufgabe haben, anderen weißen Menschen Antirassismus beizubringen, ist meine Aufgabe, einem klassenprivilegierten Publikum zu erklären, dass Klassenprivilegien schädlich sind.
Gibt es, in Anlehnung an »weiße Schuld«, ein Konzept aus der antirassistischen Forschung, so etwas wie »Schuld von Reichen«?
Auf jeden Fall. Es gibt viel Scham bei Vermögenden. Ich kenne das auch von mir. Das darf nicht dazu führen, dass man die eigene Rolle nicht hinterfragt und untätig bleibt.
Sie sagen, Sie fühlen sich mit der Diskurshoheit unwohl, die Ihnen ihr Reichtum verleiht. Jetzt geben Sie das Geld ab und gehen danach ans Theater. Das ist doch ein Widerspruch.
Mir geht nicht nur meine eigene Diskurshoheit auf die Nerven, sondern die von reichen Menschen generell. Gerade bei Steuerfragen werden oft Unternehmer*innen auf Podien eingeladen, die keine Ahnung von Steuerrecht haben. Wo sind die Steuerberater*innen auf den Podien? Ich habe begonnen, eine gewisse Rolle einzunehmen. Ich bin die Person, die sich für die Reichensteuer einsetzt. Wenn ich jetzt Einladungen aus Prinzip ausschlage, ist das Ergebnis, dass das Thema nicht besprochen wird. Aber keine Sorge, ich mache nicht noch ein Theaterstück.
Und was dann? Lohnarbeit?
Ende 2025 muss ich auf eigenen Beinen stehen. Sonst muss ich meine Familie anrufen. Dass ich das kann, ist ein verdammtes Privileg. Will ich aber nicht. Vielleicht fällt mir ja eine Erwerbsarbeit in Kontinuität zu dem ein, was ich bisher gemacht habe. Eine, bei der man sich dann das Maul darüber zerreißen kann, auf welche absurde Art »rich kids« ihr Geld verdienen.
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