- Kultur
- Typisch Sommer!
Marmor, Stier und Rosen
Der Volkspark Humboldthain in Berlin entfaltet erst im Sommer sein ganzes Potential
Dieses Jahr öffnete der Rosengarten seine Pforten bereits im Mai. Wieder war das frühlingshafte Naturfeuerwerk – Krokusse, Tulpen, Flieder und Rhododendron – schon abgebrannt, fast war schon Pfingstrosenzeit. Als die ersten Rosenknospen aufbrachen, wurde der im Zweiten Weltkrieg verschollen geglaubte weiße Stier aus Marmor ausgegraben. Wovon ich rede? Vom Humboldthain.
1902 war mitten im Volkspark Humboldthain in Berlin-Wedding die lebensgroße Skulptur eines weißen Stiers aufgestellt worden, der seinen Kopf senkt und auf das rechte Vorderbein legt, als würde er nachdenklich beim Flanieren innehalten. Sein Aufstellort längs der großen Wiese auf einem Hügel war seinerzeit ein beliebter Treffpunkt, speziell bei Liebespärchen. Nachdem er bei Bombenangriffen zerstört wurde, verschwanden die Reste des Stiers. Die Geschichte der im Jahr 1900 vom Rixdorfer Bildhauer Ernst Moritz Geyger vollendeten Skulptur ließ zwei Menschen nicht ruhen: den Vorsitzenden des Vereins Berliner Unterwelten Dietmar Arnold und die Archäologin Claudia Melisch. Sie fanden bei Recherchen den Hinweis, die Reste der Skulptur seien »vor Ort vergraben« worden. Mitte April 2022 wurden nach zuvor erfolgten Sondage-Grabungen der Sockel und Bruchstücke des Stiers freigelegt, es fehlen nur die Schnauze und ein paar Fragmente der Beine sowie für die Restaurierung notwendige alte Aufnahmen des Stiers oder weitere Informationen zum Verbleib seiner Reste. (Falls Sie, liebe Lesende, etwas darüber wissen, melden Sie sich gerne beim Verein Berliner Unterwelten.)
Als ich mir die Grabungsarbeiten anschauen und natürlich einen Blick auf den weißen Stier erhaschen wollte, kam ich an meinem Lieblingsbaum vorbei, an einem der Querwege der großen Liegewiese. Der Kirschbaum stand in voller Blüte. Ich vergaß den Stier, lief dufterfüllt, beschwingt und nichtsahnend weiter, als ich gleich hinter Krokuswiese das geöffnete Scherengitter erblickte. Mein Herz machte einen Sprung. Das Schwimmbad. Offen? Anfang Mai? Ich stürmte los, um gleich wieder in den Spazierschritt zu verfallen, es standen Menschen an der Kasse. Eine ältere und eine junge Frau mit ähnlicher Kleidung und Körperhaltung. Während eine Nachtigall uns von links aus dem Gebüsch anschrie und über uns eine Nebelkrähe lärmte, hörte ich im Herantreten deutlich, wie die Frau mittleren Alters in die Löcher der Trennscheibe rief: »Was? Sie ist ja Studentin, was kostet denn die Jahreskarte? Und wenn ich mehrere Zehnerkarten nehmen würde, ist das dann billiger?«
Die Tochter blickte peinlich berührt auf den Boden, die Bademeisterin verdrehte die Augen. Von rechts waberte der Sommer-Schwimmbadgeruch an mich heran und ich wurde ganz kribbelig. Pommes und Sonnencreme glaubte ich zu riechen und hörte jetzt deutlich das »taktaktak« des Rasensprengers. Irgendwo dahinter lag das Blau des Sommers. Die Frau hob den Zeigefinger und öffnete den Mund. Das dauerte mir eindeutig zu lange, »Sind die Duschen dies Jahr wieder offen?« fragte ich über sie hinweg in das Kassenhäuschen. »Ja.« Der Sommer konnte beginnen.
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