- Berlin
- Sicherheitsbahnhof Südkreuz in Berlin
Sicherheit auf Knopfdruck
Am Südkreuz sollen neue, technologische Projekte das Sicherheitsgefühl der Fahrgäste stärken
Am Gleis 1 am Südkreuz blinkt die Bahnsteigkante. LED-Lichter, in Betonplatten eingelassen, leuchten rot auf, als die S-Bahn langsam zum Stehen kommt. Eigentlich soll das Lichtsignal Fahrgäste vor dem einfahrenden Zug warnen und dadurch Unfälle verhindern, dafür startet es allerdings ein paar Sekunden zu spät. Vorführeffekt.
Die beleuchtete Bahnsteigkante gehört zu den drei Hauptaspekten eines Sicherheitskonzeptes, das am Donnerstagmorgen vorgestellt wurde. Die Deutsche Bahn hat in Zusammenarbeit mit der Bundespolizei und der Bahnhofsmission technologische Ansätze entwickelt, um den sogenannten Sicherheitsbahnhof Südkreuz noch sicherer zu machen – und die Ideen für eine breite Nutzung zu testen. Innovation ist das Stichwort, allein Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) bezeichnet das Projekt in der Pressekonferenz viermal als »innovativ«. Weil Bahnhöfe unter die Bundeszuständigkeit fallen, ist neben Faeser auch Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP) anwesend. Das gemeinsame Ziel von Politik, Bahn, Polizei und Bahnhofsmission ist klar: Eine sichere Atmosphäre an Bahnhöfen, damit öffentlicher Verkehr attraktiver wird.
Die LEDs stellen den sichtbarsten Teil des Projektes dar. Mit Sensoren verknüpft sollen die Lichter in Zukunft auch die Halteposition von Zügen und in den Ampelfarben eine niedrige, mittlere oder hohe Auslastung des jeweiligen Waggons anzeigen. Christopher Schubert, Projektleiter der Deutschen Bahn, sieht in den Lampen einen Weg, um Bahnhöfe auf steigende Fahrgastzahlen vorzubereiten. Das Ziel der Deutschen Bahn, bis 2030 die Zahl der Passagiere zu verdoppeln, bedeute auch »Herausforderungen für die Infrastruktur«.
Was bei aller Innovations-Begeisterung nicht erwähnt wird: Bereits 1998 wurden im Rahmen der Stadtbahn-Sanierung Leuchtelemente mit demselben Prinzip in die Bahnsteige der S-Bahnhöfe Alexanderplatz und Friedrichstraße integriert. »Das wurde nach ein paar Jahren wieder ausgebaut, weil es kaputt war«, erzählt Jens Wieseke vom Berliner Fahrgastverband. Heute ist nichts mehr von dieser leuchtenden Innovation zu sehen.
Eine Alarmruf-App, zweiter Bestandteil des Sicherheitskonzeptes, hat es so vor 30 Jahren wohl noch nicht gegeben. Mit der App »SafeNow« können Menschen in einer Gefahrensituation schnell und leise einen Hilferuf an die DB-Sicherheitsleute und die Bundespolizei senden. Die App besteht hauptsächlich aus einem großen, blauen Button, »wenn es zum Beispiel eine Personengruppe gibt, die mir unheimlich erscheint, kann ich drauf drücken«, erklärt Dominik Schäfer, Projektleiter bei der Deutschen Bahn. Wenn man tatsächlich Hilfe braucht, wird durch Loslassen des Buttons ein Alarm an das »Sicherheitslabor« gesendet, dort sehen Polizei und Security dann auf ihren Monitoren den GPS-Standort.
Während der dreimonatigen Testphase, die am Donnerstagnachmittag beginnt, sitzen Tag und Nacht zwei Bundespolizist*innen und zwei Sicherheitsleute im Büro, um auf Alarme zu reagieren. Um alle Schichten abzudecken, braucht es 22 neue Stellen. Wie es mit der App nach der Testphase weitergeht, ist noch offen. »Es steht und fällt damit, wie die Reisenden das Angebot annehmen«, so Schäfer, denn am Ende käme es auf die Download-Zahlen an. Ein großes Banner in der Bahnhofshalle wirbt für die App.
Eine weitere Technologie soll ebenfalls im »Sicherheitslabor« erprobt werden: Künstliche Intelligenz, die Gefahrensituationen erkennt und meldet. Ein Koffer, der verlassen herumsteht, eine Person, die sich verdächtig lange am Bahnsteigrand aufhält, eine Gruppe, deren Dynamik zu eskalieren droht – derartige Fälle soll die KI mithilfe bereits installierter sowie neuer Kameras identifizieren und ebenfalls an das Büro melden.
Auch hierbei ist die Deutsche Bahn nicht Vorreiterin: Die Ostdeutsche Eisenbahn GmbH (Odeg) stellte bereits vergangenen Monat neue Fahrzeuge vor, die mit einem sogenannten »Fahrgastssicherheitssystem« ausgestattet sind. Kameras erfassen brenzlige Situationen, die Zugführerin kann dann per Durchsage deeskalieren oder die Bundespolizei rufen.
Die Frage ist, ob sich Menschen am Bahnhof sicherer fühlen, wenn das Sicherheitspersonal im Hinterzimmer auf einen Alarm der KI oder der App wartet. Wieseke ist skeptisch, ob die KI wirklich funktioniert und zwischen gefährlichen und lediglich außergewöhnlichen Bildern unterscheiden kann: »Da laufen Menschen mit Möbeln und Matratzen rum.« Auch was die App angeht, ist Wieseke nicht überzeugt. »Eine App-Lösung ist immer der letzte Schrei, aber am wichtigsten ist das Personal vor Ort.«
Niklas Schrader, innenpolitischer Sprecher der Berliner Linksfraktion, sieht das ähnlich. »Das Sicherheitsgefühl erhöht sich eher, wenn in den Bahnhöfen ansprechbares Personal ist, und das muss nicht zwangsläufig die Polizei sein.« Er fürchtet viel eher die Konsequenzen derartiger Sicherheitstechnologie. »Ich finde es eine ziemliche Gruselvorstellung, solche Technik einzusetzen, weil sie potenziell jedes abweichende Verhalten kriminalisiert«, so Schrader zu »nd«. Wie bei automatisierter Gesichtserkennung, die 2018 am Südkreuz getestet wurde, bestehe auch bei algorithmisierter Überwachung das Risiko einer sozialen wie rassistischen Schieflage.
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