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»Akzeptanz ist keine Inklusion«
Eine Woche nach dem großen CSD startet in Berlin der Pride für trans, inter und nicht-binäre Menschen
Der CSD ist eine Veranstaltung für alle queeren Menschen – und trotzdem findet eine Woche später der Berliner Trans Pride statt. Am 30 Juli laufen trans, nichtbinäre und intersex Menschen (Tin) mit ihren Unterstützer*innen vom Kottbusser Tor zum Mariannenplatz, um für ihre Rechte zu demonstrieren. Es ist das zweite Jahr, in dem es in Berlin einen Pride explizit für Tin-Personen gibt. Warum braucht es diese eigene Veranstaltung? »Queere Gemeinschaften in Berlin haben sich um mehr Akzeptanz bemüht, versäumen es aber weiterhin, auf die spezifischen Bedürfnisse der Gemeinschaften zu achten. Akzeptanz ist keine Inklusion«, erklärt Arwen Armbrecht vom vierköpfigen Organistationsteam gegenüber »nd.DerTag«. Die Veranstaltung sei ein Ort, um explizit die konkreten Herausforderungen, Kämpfe und Schönheiten von trans, nichtbinären und intersex Menschen zu würdigen und zu feiern.
Trans und intersex Menschen sind in ganz Europa in besonderem Maße bedroht von queerfeindlichem Hass und Gewalt. Das belegt etwa die Studie »A long way to go for LGBTI equality« (Ein langer Weg zur LGBTI-Gleichstellung) der Agentur der Europäischen Union für Grundrechte aus dem Jahr 2019. Dort gab mehr als die Hälfte der befragten trans Personen und über 60 Prozent der intersex Personen an, im vergangenen Jahr diskriminiert worden zu sein. Im Vergleich: Bei lesbischen cis Frauen waren es 39 Prozent, bei schwulen cis Männern 32 Prozent. Eine Empfehlung der EU-Agentur: Eine Kultur der Nulltoleranz gegenüber Gewalt und Belästigung der LGBTI-Gemeinschaft. Doch davon kann keine Rede sein.
Trans Personen spielten beim historischen Christopher-Street-Day eine entscheidende Rolle. Am 28. Juni 1969 widersetzten sich zahlreiche queere Menschen einer Razzia der Polizei in der queeren Bar Stonewall Inn in der Christopher Street in New York. Darunter war auch die Schwarze trans Person Marsha P. Johnson, die als Pionierin der queeren Bewegung in den USA gilt. Dieser Tag war ein Wendepunkt für die LGBTIQ-Community. Trotzdem gibt es auch innerhalb der queeren Community Stimmen, die trans Personen ausschließen wollen. Auf dem Kölner Dyke* March (Slang für Lesbe) Anfang Juli, bei dem vor allem für die Rechte queerer Frauen demonstriert wurde und trans Menschen explizit willkommen waren, störten mehrere Menschen mit transfeindlichen Schildern und Parolen wie etwa: »Lesben haben keinen Penis!« Die Vertreter*innen dieser Denkrichtung werden als »Trans Exclusionary Radical Feminists« (Terf) bezeichnet, radikale Feminist*innen, die trans Menschen ausschließen. In London blockierten transfeindliche Aktivist*innen 2018 den Umzug mit der Forderung, das »L« aus LGBT zu entfernen, um (cis) Lesben so von trans Personen zu distanzieren. Teile dieser Strategie wurden im vergangenen Jahr auf dem Pariser Pride übernommen und führten dort sogar zu der vorübergehenden Festnahme einer geflüchteten trans Frau, die eines der transfeindlichen Banner zerreißen wollte.
Armbrecht blickt aber optimistisch auf die anstehenden Umzüge. Die Veranstalter*innen rechnen nicht mit derlei Vorfällen auf dem Trans Pride. Aktuell sei das größte Problem unter queeren Menschen in Berlin weniger offene Transfeindlichkeit als Ignoranz: »Es geht darum, dass wir auf Dating-Websites nach unseren Genitalien gefragt werden; es geht darum, dass schwulen trans Männern der Zutritt zu cis-schwulen Räumen verweigert wird oder sie aus diesen herausgeworfen werden. Es geht darum, dass man sagt ›Alle Geschlechter willkommen‹ und dann seine Party nach einem Körperteil benennt«, erklärt Armbrecht. Das Wichtigste für Verbündete sei es, transfeindliche Aussagen auch dann zurückzuweisen, wenn keine Tin-Person anwesend ist. »Verbündete müssen ihre cis Freunde zur Rede stellen und darauf bestehen, dass sie es besser machen«, sagt Armbrecht.
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