- Politik
- Mord an Walter Lübcke
Rechter Terrorist unterm Radar der Behörden
Warum wurden die Akten zu Stephan E. gelöscht?
Obwohl der Mörder des CDU-Politikers Walter Lübcke den hessischen Sicherheitsbehörden schon länger bekannt war, wurde seine Akte intern gelöscht. In der Sitzung des Untersuchungsausschusses des hessischen Landtags, der sich mit dem Fall beschäftigt, wurde am Mittwoch eine Mitarbeiterin des hessischen Landesamts für Verfassungsschutz (LfV) befragt, die an diesem Vorgang beteiligt war. In der vorhergehenden Sitzung musste die Vernehmung unterbrochen werden. In der aktuellen Sitzung wurde die Frau erst geheim angehört. In ihrer Zeugenaussage hatte sie sich auf einen von ihr angefertigten Aktenvermerk aus dem Jahr 2015 bezogen, der allerdings von der Akte entfernt wurde und im LfV nicht auffindbar ist.
Die Zeugin bewertete damals die bevorstehende Aktenlöschung als problematisch. Denn Stephan E. stand auf einer Mitgliederliste der neonazistischen Organisation »Artgemeinschaft – Germanische Glaubensgemeinschaft« von Ende 2011. Sie hatte diesen Vermerk selbst an die Akte angeheftet. Die Akte trägt auch noch die Tackernadeln, aber der relevante Vermerk, der eine Löschung hätte verhindern sollen, fehlt.
Dieser Hinweis wurde, wenn es ihn gegeben hat, bei der Weiterbearbeitung der Akte nicht beachtet. Das wäre ein Beweis dafür, dass das Landesamt für Verfassungsschutz den späteren Mörder von Lübcke trotz Hinweisen aus dem Blick genommen hat.
Die Zeugin wurde vom Ausschussmitglied Michael Müller (CDU) in einer besonders forschen Art der Befragung unter Druck gesetzt. Sie gestand, dass es ihr Fehler gewesen sei, die Akte nicht mehr verfolgt zu haben. Dienstlich war sie allerdings auch nicht zwingend dazu verpflichtet. Die Akte lag ohnehin bei der Abteilungsleiterin, sodass es sich um kein schuldhaftes dienstliches Verhalten von ihr gehandelt habe.
Mitglieder des Ausschusses sehen den Umstand, dass der Aktenvermerk nicht weiter verfolgt wurde, als besonders problematisch an, zumal dem Ausschuss scheinbar auch weitere Unterlagen vorenthalten wurden. Die handschriftlichen Prüfnotizen fehlen weiterhin.
Die Ausschussarbeit wird wegen der parlamentarischen Sommerpause erst im Oktober fortgesetzt. Im März nächsten Jahres muss der Ausschuss einen Abschlussbericht fertigstellen und dem Landtag vorlegen.
Für den Linkspartei-Politiker Hermann Schaus war dies die letzte Sitzung im Untersuchungsausschuss. Der stellvertretende Vorsitzende des Gremiums legt Ende August sein Landtagsmandat aus Altersgründen nieder. Er geht davon aus, dass »Zeugen aus dem LfV entweder neu oder nochmals geladen werden müssen, weil es Widersprüche zum Themenkomplex Aktenlöschung gibt. Die Frage, wieso die Akte von Stephan E. bei all den Informationen, die wir jetzt haben, gelöscht werden konnte, beschäftigt den Untersuchungsausschuss weiterhin.«
Es habe »offensichtlich reihenweise Fehler bei den Behörden gegeben, was die Einschätzung und die Beobachtung oder Nichtbeobachtung von Stephan E. anging und dass auch die Ermittlungsarbeit beim versuchten Mord an Ahmed I. 2016 sehr zu wünschen übrig lässt und man damals hätte erkennen müssen, welches Gewaltpotenzial und welche Gefahr von Stephan E. und Markus H. ausgeht«, so Schaus abschließend.
Ahmed I. war in der Nähe der Flüchtlingsunterkunft Lohfelden in Hessen mit einem Messer niedergestochen und schwer verletzt worden. Stephan E. war erst nach dem Mord an Lübcke angeklagt worden, auch für den Angriff auf Ahmed I. verantwortlich zu sein. Allerdings wurde er in diesem Fall freigesprochen.
Markus H. war im Lübcke-Prozess wegen Beihilfe angeklagt worden. Wegen eines Verstoßes gegen das Waffengesetz wurde er zu einer Bewährungsstrafe verurteilt. Stephan E. erhielt wegen des Mordes an dem Kasseler Regierungspräsidenten, der im Juni 2019 verübt wurde, eine lebenslange Freiheitsstrafe. Das Gericht stellte die besondere Schwere der Schuld fest und behielt sich eine anschließende Sicherungsverwahrung vor. Am Donnerstag wird der Bundesgerichtshof über die Revisionen in dem Mordfall verhandeln. Lübckes Witwe und die beiden Söhne wollen, dass Markus H. noch einmal vor Gericht kommt.
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