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Zur Ausbildung auf Umwegen
Die Berliner Wasserbetriebe sind zufrieden mit ihrem Förderprogramm für benachteiligte Gruppen – auch ukrainische Flüchtlinge könnten profitieren
Zwei lange Jahre hing Tala nach ihrem Schulabschluss in der Luft. Obwohl kaum ein Tag vergeht, ohne dass sich Betriebe und Verbände über den Fachkräftemangel in der Hauptstadt beklagen, gelang es ihr nicht, einen Ausbildungsplatz zu finden. »Bei vielen Unternehmen hatte ich nicht so viel Glück – wegen meines Kopftuchs«, sagt die 21-Jährige zu »nd«. Die Corona-Pandemie habe den Einstieg zusätzlich erschwert. Schließlich sei sie auf das Qualifizierungsprogramm »Horizonte« der Berliner Wasserbetriebe aufmerksam geworden: »Und dann habe ich meine Ausbildung bekommen.« Tala strahlt förmlich, als sie das sagt. Nach elf Monaten Praktikum hat sie ihren Ausbildungsvertrag zur Kauffrau für Büromanagement in der Tasche.
Das Ausbildungsprogramm der Berliner Wasserbetriebe, das sich an junge Menschen mit Migrationsgeschichte oder schwierigen Bildungsbiografien richtet, befindet sich mittlerweile schon im siebten Durchgang. Ins Leben gerufen wurde das Projekt 2016 unter dem Eindruck der steigenden Flüchtlingszahlen. »Ich bin ganz bewegt«, sagt Kerstin Oster, Personalvorständin der Berliner Wasserbetriebe, am Dienstag auf dem Werkstättengelände des Unternehmens. »Wir haben nicht das verflixte siebte Jahr, sondern ein erfolgreiches siebtes Jahr.« Frühere Azubis des Programms seien bereits zu »richtigen Profis« geworden. Oster ist davon überzeugt, dass es auch bei dem vor ihr stehenden Jahrgang nicht anders laufen wird.
Insgesamt 81 junge Frauen und Männer haben das elfmonatige Programm bisher absolviert, 51 begannen im Anschluss eine Ausbildung. Ihre Ausbildung erfolgreich beendet haben 21 von ihnen, denen daraufhin ein auf ein Jahr befristeter Arbeitsvertrag angeboten wird. »Hinter dieser Zahl steht eine Menge Arbeit«, sagt die Personalvorständin. »Arbeit, die wir gern machen, um uns Fachkräfte für die Zukunft zu sichern.« Die Übernahmequote liege bei fast 100 Prozent.
Neben dem Erwerb technischer Fähigkeiten – die Personalchefin spricht vom »Schleifen und Fräsen« – wird den jungen Erwachsenen Sprachunterricht und naturwissenschaftliche Fortbildung geboten. »Es ist nicht immer ganz einfach«, sagt Oster. Die Lücken seien aufgrund des Unterrichtsausfalls in der Corona-Pandemie mitunter groß. Auch habe ein Teilnehmer in der Vergangenheit plötzlich vor seiner Abschiebung gestanden. Es habe sich jedoch eine Lösung gefunden: »Unser Ziel war es, alle durchzubringen, und wir haben es auch mit fast allen geschafft.«
Pädagogische Unterstützung erhalten die Berliner Wasserbetriebe von der Gesellschaft für berufsbildende Maßnahmen. »Es geht hier um junge Menschen, die oft von der Schule alleingelassen wurden«, sagt Projektleiterin Judith Hochstein. Das Programm ermögliche es, die Frauen und Männer individuell zu fördern. »In kleinen Gruppen arbeiten zu können, ist ein großer Luxus.« Einer Mutter von Zwillingen sei ermöglicht worden, das Programm in Teilzeit zu absolvieren – »eines der Erfolgserlebnisse«, wie Hochstein ergänzt.
Bisher sind die Männer allerdings in der Überzahl. Lediglich sieben Frauen haben bisher an dem Programm teilgenommen. Das könnte sich mit den nun ankommenden, überwiegend weiblichen Flüchtlingen aus der Ukraine ändern. Das Programm, so Hochstein, stehe auch ihnen im Prinzip offen. Voraussetzung seien jedoch eine Arbeitserlaubnis und Grundkenntnisse im Deutschen. Hieran könne es für die eine oder andere Neuangekommene scheitern.
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