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Pflege ist nicht nur Krankenhaus
Der Erfolg des wochenlangen Streiks an den Universitätskliniken ist hart erkämpft. Doch was bedeutet das für andere Bereiche der Pflege?
Nach den erfolgreichen Streiks in Berlin und an den Unikliniken in NRW keimt die Hoffnung auf substanzielle Verbesserungen im Pflegebereich. Der Ärztliche Direktor der Universität Münster, Alex W. Friedrich, glaubt an eine »deutliche Zeitenwende«, Katharina Wesenick von Verdi spricht, etwas vorsichtiger, von einem »wichtigen Etappensieg«.
Die Erfolge fallen in eine Zeit der verschärften Auseinandersetzungen. »Die Konfliktintensität ist hoch«, sagt Jörg Nowak, Politikwissenschaftler an der Universität Brasilia, der zu Streiks forscht. »Seit zehn Jahren ist da eine Zunahme auszumachen.« Allerdings liegen viele der Streiks unterhalb der Wahrnehmungsgrenze überregionaler Berichterstattung; die meisten Auseinandersetzungen finden auf Betriebsebene statt.
»Folgendes haben wir gelernt: Wenn wir erfolgreich sein wollen, muss es ein starker Streik sein«, sagt Silvia Habekost, Anästhesiepflegerin in Berlin und Verdi-Aktivistin. Noch vor zehn Jahren seien viele Streiks eher symbolischer Natur gewesen. Erst der Arbeitskampf an der Berliner Charité 2015 habe zu einem strategischen Wechsel geführt. »Bahnbrechend« nennt Silvia Habekost ihn heute. »Die Auseinandersetzungen werden in den Medien oft noch als Pflegestreiks bezeichnet«, sagt sie. Tatsächlich aber seien es Streiks im Krankenhaus. Es sei wichtig, alle Bereiche miteinzubeziehen, auch Reinigungskräfte, Laborassistent*innen, Küchenmitarbeitende; das ganze Haus eben. Das sei an der Charité schon so gewesen, und in Nordrhein-Westfalen sei es sogar gelungen, sechs Häuser zu koordinieren. »Das ist nochmal eine Nummer größer.«
Gerade in Krankenhäusern sei die Mobilisierung nach innen eine der Herausforderungen. In vielen Bereichen gelingt sie immer besser, aber es gibt auch Ausnahmen. »Es wäre wirklich schön, wenn die Ärzt*innen mal zu Potte kommen könnten«, sagt Habekost. »Was die zum Teil mit sich machen lassen, da fehlt mir auch das Verständnis. Wenn sich die Ärzt*innenschaft mit einbringen würde, wäre das noch einmal eine neue Qualität.«
Eine weitere Herausforderung sei es, die Strukturen, die während eines Streiks aufgebaut wurden, zu halten. »2016 ist uns das zum Beispiel nicht gelungen«, bilanziert sie. Es bestehe immer die Gefahr, dass motivierte Mitarbeiter*innen nach einem erfolgreichen Streik hofften, nun werde schlagartig alles besser werden. Wenn sich dann herausstelle, dass das ein langwieriger Prozess sei, komme schnell Frust auf. Dann verständlich zu machen, dass nicht der Tarifvertrag gescheitert sei, sondern die Arbeitgeber die Umsetzung blockierten, sei eine Herausforderung. »Wir bereiten uns auch jetzt schon auf den Winter vor, wenn die Tarifverhandlungen zum TVöD anstehen.«
»Die Krankenhäuser sind gerade Vorreiter, und dort sind kommende Konflikte bereits vorgezeichnet«, sagt auch Jörg Nowak. Zum Beispiel durch die von der Bertelsmann-Stiftung 2019 vorgeschlagene Schließung kleinerer Krankenhäuser: eine Idee, für die auch Gesundheitsminister Karl Lauterbach bereits mehrfach geworben hat. Es werden also nicht nur Auseinandersetzungen zur Verbesserung der Pflege geführt werden müssen, sondern auch Abwehrkämpfe.
In anderen Bereichen des Gesundheits- und Sozialwesens stellen sich die Arbeitskämpfe anders dar. Häufig fehlt der Hebel, durch Streiks finanziell Druck aufzubauen. »Wenn in Kitas gestreikt wird, dann spart der Träger in der Regel Geld, weil er die Beschäftigten nicht bezahlt, aber weiterhin die Mittel kassiert«, sagt Matthias Gruß, Gewerkschaftssekretär im Gesundheitswesen bei Verdi. Sein Spezialgebiet ist die Altenpflege, und auch da seien die Bedingungen besondere. »Die Betriebseinheiten sind im Vergleich eher klein, und es gibt eine hohe Fluktuation unter den Mitarbeitenden und wenig Streikbereitschaft.« Gruß schätzt, dass jährlich ein Drittel der Belegschaften die Einrichtungen wieder verlässt. »Die Menschen verlassen den Beruf oder wechseln zur Konkurrenz beziehungsweise in die Leiharbeit. Deswegen ist es schwer, Strukturen zu schaffen, die eine strukturelle Verbesserung der Arbeitsbedingungen zum Ziel haben.« Noch komplizierter sei die Situation bei den mobilen Pflegediensten, von denen es bundesweit um die 15 000 gebe, oft mit unter 20 Beschäftigten.
»Wir müssen die Kämpfe dort führen, wo wir erfolgreich sein können.« In der Hinsicht habe bei den Gewerkschaften ein Umdenken stattgefunden. Neue Tarifauseinandersetzungen seien an bestimmte Bedingungen geknüpft. »Es brauchte das klare Mandat der Beschäftigten und einen guten Organisationsgrad, um auf Augenhöhe in die Verhandlungen gehen zu können.«
Die Löhne im Gesundheitssektor sind abhängig von den Abschlüssen, die in Tarifrunden zwischen Bund, Ländern und Kommunen als Arbeitgebern und den Gewerkschaften erreicht werden. An diesen Löhnen orientieren sich kirchliche Träger, die in der Altenhilfe ein Drittel der Einrichtungen innehaben. Bei vielen privaten Trägern hingegen müsse man schon mit Streik drohen, damit sie Verhandlungen überhaupt in Betracht zögen, sagt Gruß. Gerade der Arbeitgeberverband BPA mit seinem Präsidenten Rainer Brüderle halte seit Jahren Tarifverträge für überflüssig und blockiere mit allen Mitteln; selbst dann, wenn die Arbeitgeber selbst davon profitieren könnten. »Aufgrund der Tariflohnpflicht, die ab September 2022 für Pflege- und Betreuungskräfte in der Altenpflege greift, sind inzwischen viele Träger sehr genervt von der vielen Bürokratie, die sie sich selbst eingebrockt haben. Statt eines Tarifvertrages müssen große Betreiber zehntausende Arbeitsverträge ihrer Beschäftigten regelmäßig anpacken und deren Entlohnungsniveau mit den Kassen abstimmen. Das ist ein irrsinniger Aufwand.« Diese Einsicht könnte bei den Trägern zu einem Umdenken führen und die Erkenntnis reifen lassen, dass ein Tarifvertrag das richtige Mittel ist, um Arbeitsbedingungen kollektiv zu regeln.
Nichtsdestotrotz müsse man konstatieren, dass die Streikbereitschaft in der Altenpflege oft sehr gering sei. Einer der oft angeführten Gründe sei, dass man die pflegebedürftigen Menschen nicht im Stich lassen könne, ein anderer, dass aktuell jeder Euro, der in die Gehälter der Beschäftigten fließe, direkt den Bewohner*innen in Rechnung gestellt werde. »Bei Streiks kommt selbstverständlich kein pflegebedürftiger Mensch zu Schaden, dafür gibt es Notdienstvereinbarungen. Und das finanzielle Dilemma ließe sich durch eine Vollversicherung aushebeln«, meint Gruß. Teilweise allerdings müsse man das sogar den Beschäftigten selbst erst noch vermitteln.
Kann aus den Streiks an den Krankenhäusern eine größere Bewegung entstehen, die das Gesundheitssystem insgesamt im Blick hat? »Im Gesundheitssektor gibt es historisch gesehen zwar eine Tradition der Arbeitskämpfe«, sagt Streikforscher Jörg Nowak, »aber keine Tradition einer breiteren Bewegung für eine bessere Finanzierung des Gesundheitssektors.« Außerdem sei der Politisierungsgrad aktuell nicht so hoch wie etwa in den siebziger Jahren, was es schwierig mache, zum Beispiel Massendemonstrationen auf die Beine zu stellen. »Es bräuchte eine größere Kampagne, in die diese Konflikte eingebettet sind.« Ausgeschlossen ist das nicht: Auch das Thema Klima hat lange Zeit nicht mobilisiert. Eine stärkere Vernetzung zwischen lokalen Bündnissen und Patient*innenorganisationen könnte sich da als hilfreich erweisen. Aber ob das gelingt, ist aktuell noch nicht abzusehen.
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