Russland liefert wieder – aber genug?

Durch die Nord-Stream-Pipeline fließt wieder Gas nach Deutschland. Nächstes Jahr könnte es aber knapp werden. Eine Rezession ist wahrscheinlich

Aufatmen in Europa: Seit Donnerstag liefert Russland wieder Gas über die Pipeline Nord Stream 1, durch die rund 60 Prozent der deutschen Gasimporte fließen. Der befürchtete Lieferstopp ist zwar ausgeblieben, er droht aber weiter. Zudem sind die Liefermengen vorerst reduziert. Gas bleibt damit knapp und teuer. Zusammen mit anderen Faktoren macht dies eine Rezession in Deutschland und Europa wahrscheinlich.

Ab dem 10. Juli hatte Russland für zehn Tage kein Gas mehr durch Nord Stream 1 geschickt, da die Pipeline turnusgemäß gewartet wurde. In diesem Zeitraum wurden Warnungen laut, die Lieferungen könnten nach Ende der Wartung nicht wieder aufgenommen werden. Ein vollständiger Lieferstopp würde die deutsche Wirtschaft in eine tiefe Krise stürzen. Laut einer Prognose des Internationalen Währungsfonds (IWF) von dieser Woche ließe dies das Bruttoinlandsprodukt (BIP) zwischen 2022 und 2024 um drei bis zehn Prozent schrumpfen.

Nun fließt das Gas zwar wieder. Allerdings »ist zu befürchten, dass Russland in den kommenden Monaten die Lieferungen immer wieder verringern oder zeitweise ganz einstellen wird«, so die Commerzbank. Auch für die Ökonomen der Deutschen Bank »ist nicht recht vorstellbar, warum das Land das Instrument des Lieferstopps nicht weiter einsetzen sollte, zumal es den westeuropäischen Ländern dadurch so schwerwiegende Probleme bereiten kann«. Schließlich lösten die westlichen Sanktionen und die Unterstützung für die Ukraine zunehmend »Frustrationen« in Russland aus. Erst diese Woche hatte die EU eine Verschärfung der Sanktionen beschlossen, unter anderem ein Einfuhrverbot für russisches Gold. Laut Deutscher Bank werde die Reaktion Moskaus allerdings nicht unbedingt in einem vollständigen Gaslieferstopp bestehen. Denn durch einen solchen Schritt würde Russland sich die Möglichkeit nehmen, mit weiterer Eskalation zu drohen.

Vorerst aber kommt Gas durch die Pipeline, allerdings zu reduzierten Mengen. Trotz sinkendem Verbrauch in Deutschland dürfte damit der angepeilte Füllstand der Gasreserven von 95 Prozent knapp verfehlt werden. Die Frage ist nun, ob das Gas reicht und wie lange.

Sparen und Flüssiggas

Die Versorgung für den kommenden Winter scheint gesichert. »Im März sind die Speicher jedoch bereits weitgehend leer«, prognostiziert die Deutsche Bank, die allerdings darauf hinweist, dass alle Vorhersagen mit großer Unsicherheit behaftet sind. Die Bundesregierung ist daher dabei, die Abhängigkeit von russischen Lieferungen zu verringern. Ob und wie stark das gelingt, hängt zum einen am Gasverbrauch und zum anderen an der Erschließung neuer Lieferquellen.

Im bisherigen Verlauf des Jahres ist der deutsche Gasverbrauch bereits deutlich gesunken. Die Commerzbank unterstellt in ihren Projektionen, dass der Verbrauch auch in diesem und den nächsten Halbjahren jeweils um fünf Prozent schrumpft. Entlastung bringen zudem Lieferungen aus Belgien, Norwegen und den Niederlanden, die allerdings kaum stark steigen dürften. Ein Teil davon wird re-exportiert, die Commerzbank rechnet mit 45 Prozent. Entscheidend werde am Ende sein, wie viel Gas über die geplanten schwimmenden Flüssiggas-Terminals nach Deutschland komme. Unter der Annahme konstanter Importe aus Russland dürfte das Gas laut Commerzbank für das zweite Halbjahr 2022 reichen, eine Rationierung wäre unwahrscheinlich. 2023 dann allerdings wird es knapp, ab 2024 wiederum könnte die Lücke gefüllt werden.

Die Folgen für das Wirtschaftswachstum allerdings wären trotzdem spürbar. Denn die Energiepreise bleiben hoch, dazu kommen steigende Zinsen, globale Lieferengpässe und eine sich abzeichnende Rezession in den USA, von denen die deutsche Wirtschaft stark abhängig ist. »Der Gaspreis müsste fallen, damit die deutsche Wirtschaft auf Erholungspfad schwenken kann«, analysiert Thomas Gitzel, Chefökonom der VP Bank. Laut Gitzel steht damit die »Eurozone vor einer Rezession«. Ihre Ursache wären nicht die hochverschuldeten südlichen Euroländer, sondern Deutschland.

Die Deutsche Bank ist sich »nahezu sicher«, dass im zweiten Halbjahr 2022 hier die Wirtschaftsleistung schrumpfen wird. Ein Grund dafür sei die Inflation, die dieses Jahr bei acht und nächstes Jahr bei sechs Prozent liegen werde. Daher werde »das real verfügbare Einkommen der Haushalte in diesem Jahr um etwa vier Prozent schrumpfen«. Einen Teil der verlorenen Kaufkraft könnten die Haushalte zwar durch den Abbau ihrer Ersparnis in Höhe von 185 Milliarden Euro auffangen. Dennoch »dürfte das deutsche BIP 2023 um rund ein Prozent sinken«, vor allem wegen eines schwächeren Konsums und teurerer Importe. »Insgesamt rechnen wir nicht mit dramatischen Rückgängen, sondern mit einer über mehrere Quartale andauernden, moderaten Kontraktion.«

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