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Klassenbewusste Kicker
Eine Ausstellung und ein Buch feiern das 111. Jubiläum des Berliner Arbeitervereins Sparta Lichtenberg
Eine Schnapszahl ist nicht der schlechteste Grund für eine Feier. Das dachten sich die Berliner Sportfreunde von Sparta Lichtenberg 1911. Also beschlossen sie, zum 111. Jahrestag ihres Sportvereins mehr als nur einen Umtrunk zu organisieren. Es sollte gleich auch eine Ausstellung gestaltet sowie ein Buch über die Geschichte ihres Vereins herausgegeben werden.
Gesagt, getan. Bei der Eröffnung der Ausstellung am 1. Juli im Museum Lichtenberg gab es so viele Besucher, dass die Stühle nicht ausreichten. »So viele Gäste sind ja noch nie zu einer Ausstellungseröffnung hierhergekommen«, sagte Lichtenbergs Bezirksbürgermeister Michael Grunst (Die Linke) ehrlich verwundert als erster Redner der Veranstaltung. Nachdem alle Reden gehalten und Ehrungen absolviert waren, durfte der Ausstellungsraum eine Etage höher begangen werden. In der vom Autor Frank Willmann kuratierten Schau finden sich große Bild- und Texttafeln zu den verschiedenen Zeitabschnitten des Arbeitersportvereins.
Dazu gibt es Fußballschuhe und einige alte Vereinsbanner, die man auch anfassen kann. Ein vielfältiges Veranstaltungsprogramm begleitet die Ausstellung.
Der Fußball spielte bei der Gründung des Vereins die entscheidende Rolle. 1911 hatte der 17-jährige Schriftsetzer Wilhelm Wendt die Idee, unter Schülern der 1. Gemeindeschule und unter jungen Arbeitern in Rummelsburg Kicker für eine Mannschaft zu werben. Über das genaue Gründungsdatum gibt es unterschiedliche Angaben. Inzwischen gilt der 30. Juni 1911 als offizielles Datum, an dem der SC Sparta 1911 Lichtenberg gegründet wurde. Der Verein beschränkte sich bald nicht nur auf die Balltreter, sondern hatte auch Handballer, Hockeyspieler und Leichtathletik, männlich wie weiblich.
In den 1920er Jahren entwickelte sich Sparta zu einem der führenden Arbeiterfußballsportvereine in Berlin. Die Fußballer wurden Anfang der 1930er Jahre sogar eine der besten Mannschaften des »Roten Arbeitersports« in Deutschland. 1931 wurden sie Meister der Märkischen Spielvereinigung und kamen ins Endspiel der 1. Fußball-Reichsmeisterschaft der Kampfgemeinschaft für rote Sporteinheit. Das Endspiel am 29. August 1931 auf dem Nord-West-Platz in Berlin-Gesundbrunnen gegen den Dresdner Sportverein wurde dann aber unglücklich mit 2:3 verloren.
Nach der Machtübergabe an die NSDAP war offiziell Schluss. Der Verein mit seinen mehr als 600 Mitgliedern war stark kommunistisch geprägt und stand ganz oben auf der Liste der Nazis. Er wurde verboten, aber gründete sich als SC Empor wieder. Im Verein waren auch viele Widerstandskämpfer. Der bekannteste war Werner Seelenbinder, der als Ringer bei Olympia 1936 den vierten Platz erkämpfte. Er wie auch Ernst Grube, Alfred Kowalke, Paul Zobel, Felix und Käthe Tucholla sowie Erwin Nöldner, Vater des späteren DDR-Fußballnationalspielers Jürgen Nöldner, wurden später von den Nazis ermordet.
Nach dem Krieg waren alle Sportvereine in Berlin von den Alliierten zunächst verboten worden. Erst im Juni 1945 wurde der Sport neu organisiert. Viele einstige Spartaner, die den Krieg überlebt hatten, fanden sich in der SG Lichtenberg wieder. Im Februar wurde aus dieser Sportgruppe die ZSG Sparta Siemens Lichtenberg als »Sportgemeinschaft mit mehreren Sparten auf breitester Basis«, wie damals in der Tageszeitung »Tribüne« zu lesen war. Vor allem 1947/48 herrschte Hunger. Manch guter Fußballer ließ sich mit Verpflegungsrationen von einem zum anderen Verein locken.
Auch Jürgen Nöldner, der 1941in diesem Kiez geboren wurde und seinen Vater mit drei Jahren verlor, kam mit etwa zehn Jahren zu Sparta. Sein Weg führte später zum FC Vorwärts Berlin bis in Europapokalwettbewerbe und in die Nationalmannschaft der DDR. Heute agieren die Kicker von Sparta in der sechstklassigen Berlin-Liga. In der vergangenen Saison wurde die erste Mannschaft Tabellen-Dritter.
Wer alles ganz genau über die bewegende Geschichte der Spartaner wissen will, der greife zu dem Büchlein »SV Sparta Lichtenberg 1911« von Marco Bertram, das im Rahmen der Reihe »Fußballfibel« erschienen ist. Es ist eine Chronik der Vereinsgeschichte und erzählt von den ersten Fußballkämpfen der Spartakicker, den unterschiedlichsten Spielstätten der Mannschaft oder davon, wo Stammkneipen zu finden waren und was die Legenden des Vereins in ihrer Spielerzeit erlebten. Abgerundet wird dies durch zahlreiche Interviews mit Vereins-Ikonen. Bertram fand eine Anzeige vom 16. Juni 1931 zum zwanzigjährigen Jubiläum. Da heißt es über Sparta: »Für jeden klassenbewußten Arbeiter des Berliner Ostens ist dieser Name ein Begriff geworden. Er umfasst nicht nur 20 Jahre sportlichen Erfolgs, der gerade in diesem Jahre durch die Erringung der Berliner Fußballmeisterschaft seine Krönung fand, sondern er bedeutet 20 Jahre ununterbrochenen Klassenkampf, 20 Jahre marschieren in der revolutionären Front des Weltproletariats.«
»111 Jahre Sparta Lichtenberg«, bis zum 29. Januar, Museum Lichtenberg im Stadthaus, Berlin.
Marco Bertram: SV Sparta Lichtenberg 1911 Fußballfibel. Culturcon Medien, 160 S., brosch., 13,99 €.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
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