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Präsident der enttäuschten Hoffnungen
In Peru hat Pedro Castillo auch viele von seiner ländlichen Basis ernüchtert
Mit dem Slogan »Keine Armen mehr in einem reichen Land« (No más pobres en un país rico) ist Pedro Castillo am 28. Juli 2021 als erster Dorfschullehrer in den Präsidentenpalast in der Altstadt von Lima eingezogen. Seine Präsidentschaft werde Veränderung in Form einer neuen Verfassung bringen, versprach der 52-jährige Pädagoge. »Diesmal ist eine Regierung des Volkes gekommen, um mit dem Volk und für das Volk zu regieren«, erklärte Castillo bei seiner Vereidigung.
Viele Peruaner*innen aus den ländlichen Regionen des Landes, darunter viele indigener Herkunft, drückten dem Mann aus der Agrarregion Cajamarca die Daumen. Darunter auch Melania Canales von der indigenen Frauenorganisation Onamiap, die in Ayacucho in den zentralen Anden lebt. Dort, aber auch in anderen Verwaltungsbezirken im Süden des Landes schwelen die Konflikte zwischen Bergbau und indigenen Gemeinden, so Canales.
»Pedro Castillo hat eine zweite Agrarreform angekündigt, die viele Hoffnungen geschürt haben. Unter anderem die Anerkennung kollektiver Landtitel indigener Gemeinden. Doch das Projekt ist nicht vorangekommen, es hat sich nichts geändert für uns Indígenas, noch weniger für uns Frauen«, kritisiert Canales. Dafür macht sie nicht allein den Präsidenten verantwortlich, sondern auch die politischen Verhältnisse im Land. »Peru steht am Rande der Unregierbarkeit, denn es gibt massive Konflikte zwischen Exekutive, Legislative und Judikative. Bestes Beispiel sind die drei Amtsenthebungsverfahren gegen Präsident Castillo.«
Castillo ist angeschlagen, laviert und ist ständig auf der Suche nach Mehrheiten, was sich auch im Kabinett niederschlägt. Mehr als 60 Ministerinnen und Minister haben in knapp zwölf Monaten unter Castillo das Kabinett durchlaufen. Ein Grund für die fehlende Kontinuität, die sich durchaus negativ niederschlägt, ist die poröse Machtbasis Castillos. Der trat zwar als Kandidat der marxistisch-leninistischen Partei Perú Libre (Freies Peru) an, ohne dort aber über großen Einfluss zu verfügen. Die Partei, gegründet und geführt von Vladimir Cerrón, ist mittlerweile zerstritten. Von ursprünglich 37 Abgeordneten halten derzeit nur noch 16 der Partei die Treue, der Rest ist wie auch Präsident Castillo ausgetreten.
Um eine eigene Fraktion im Congreso, dem Parlament des Landes, zu haben, plant Castillo die Gründung einer neuen Partei, der Partido Magisterial (Lehrerpartei). Doch das allein wird dem ehemaligen Dorflehrer kaum das politische Überleben sichern, denn die rechte Mehrheit im Kongress bastelt stetig an neuen Initiativen, um den Präsidenten und seine Minister aus dem Amt zu werfen.
Pedro Castillo strebt eine Verfassungsreform an, auch um sich gegen solche Angriffe aus dem Parlament besser schützen zu können. Sie sind seit Jahren ein strukturelles Problem des demokratischen Systems, das dringend reformiert werden müsste. Schon einer seiner Vorgänger, Martín Vizcarra, scheiterte daran und warf nach einem Misstrauensvotum des Congreso das Handtuch.
Fünf laufende Ermittlungen wegen Korruption laufen gegen den Präsidenten, sieben Innenminister hat er in zwölf Monaten verschlissen, schreibt das investigative Medium »Ojo Público«. Einem erfahrenen, politisch geschickteren Präsidenten wäre das kaum passiert, und Castillo hat in einem seiner seltenen Interviews längst zugegeben, dass er auf das Präsidentenamt nicht vorbereitet gewesen sei. Doch viel gravierender ist: Alle Reformvorhaben sind auf die lange Bank geschoben worden, einige scheinbar nicht mehr aktuell. Das ist das eigentliche Desaster seiner Regierung ohne dezidierte Reformagenda. Das wirft auch Melania Canales dem Mann im Präsidentenpalast vor. Castillo sei komplett vom Kurs abgekommen. »Er hat für die breite Bevölkerung nichts auf die Reihe bekommen. Auch nicht für die 30 Prozent der Bevölkerung, die von der kleinbäuerlichen Landwirtschaft leben«, kritisiert Canales. Exakt für die war Pedro Castillo als erster Präsident mit kleinbäuerlichem Hintergrund angetreten.
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