Senegal wählt in der Krise

Die Parlamentswahlen stehen im Zeichen hoher Inflation und des Verbots der Oppositionsliste

  • David Bieber
  • Lesedauer: 4 Min.

Ob Präsident Macky Sall die Verfassung aushebelt, um 2024 ein drittes Mal für die Präsidentschaft zu kandidieren, obwohl nur zwei Amtszeiten erlaubt sind, ist noch nicht ausgemacht. Dass in Senegal mit juristischen Manövern Politik gemacht wird, ist indes nicht neu. Vor den Parlamentswahlen am 31. Juli wurde die nationale Spitzenkandidatenliste der wichtigsten Oppositionskoalition, Yéwi Askane Wi (Yaw, Befreit das Volk) nicht zugelassen. Yaw klagte dagegen, hatte aber keinen Erfolg. Das oberste Gericht bestätigte diese Entscheidung Mitte Juni. Es kam erneut zu Protesten und Demonstrationen, die allerdings verboten wurden. Ein Armutszeugnis für ein sonst relativ stabiles und demokratisches Land mit seinen 17 Millionen Einwohnern, so die Meinung von nicht wenigen Senegalesen.

Bereits direkt nach der ersten Entscheidung, die Liste nicht zuzulassen, kam es Anfang Juni zu gewaltsamen Auseinandersetzungen mit vier Toten sowie heftigen Demonstrationen gegen Präsident Macky Sall und seine Regierung. Der Polizeieinsatz forderte Hunderte Verletzte und erbrachte mehr als 200 Festnahmen. Darunter namhafte Oppositionspolitiker wie Déthié Fall, Mame Diarra Fam oder Ahmed Aïdara, die zum Teil bereits für mutmaßliche Straftaten im Rahmen der Proteste verurteilt worden sind.

Yaw, wie übrigens andere Listen auch, hat laut Wahlkommission Fehler bei der Aufstellung ihrer nationalen Spitzenkandidatenliste gemacht. So soll unter anderem das Gebot der paritätischen Besetzung der Wahllisten missachtet worden sein. In Senegal muss seit 2010 jede Liste abwechselnd von Männern und Frauen besetzt werden. Dennoch hätten die Behörden Yaw und andere Bündnisse die Möglichkeit einräumen müssen, diese zu korrigieren, meint Harouna Sall, ein in Lyon lebender Franco-Senegalese, der selbst in Frankreich politisch aktiv ist, gegenüber »nd«. »Ja, Yaw hat kleinere Fehler bei der Aufstellung der Kandidaten gemacht, dafür musste man sie aber nicht so hart bestrafen und letztlich für unzulässig erklären.«

Auf der Spitzenkandidatenliste standen auch Macky Salls größter Widersacher, Ousmane Sonko, und andere wichtige Oppositionspolitiker. Sie sind nun von der Parlamentswahl komplett ausgeschlossen. Sonko, charismatisch und der Hoffnungsträger der zu weiten Teilen perspektivlosen senegalesischen Jugend, wird aller Wahrscheinlichkeit nach erneut für das Präsidentenamt in zwei Jahren kandidieren. Präsident Sall darf offiziell nicht mehr kandidieren, da er 2024 dann die zwei verfassungsrechtlich vorgesehenen Amtszeiten erfüllt haben wird. Es wird aber gemutmaßt, dass Sall sich dennoch aufstellen lassen wird von seiner Regierungskoalition. »Dieser Gedanke treibt das senegalesische Volk um. Es protestierte auch dagegen. Die Opposition möchte eine erneute Kandidatur Salls unbedingt verhindern, am besten mit einer Mehrheit im Parlament. Sall würde ordentlich geschwächt werden, weil er durch die dann veränderten Machtverhältnisse im Parlament nicht mehr gestaltungsfähig wäre«, sagt Harouna Sall. Bisher hat Salls Regierungskoalition, Benno Bokk Yakaar (Zusammen für ein gemeinsames Ziel), eine satte Mehrheit im Parlament.

Für Harouna Sall hat die Nichtzulassung politisches Kalkül: »Dahinter steckt der politische Versuch von Macky Sall, seinen Hauptwidersacher für die Präsidentschaftswahl in zwei Jahren schon heute mundtot zu machen.« Sall glaubt, dass eine Mehrheit im Land genauso denkt wie er. »Ich tippe, dass es am Sonntag trotz der Nichtzulassung von Sonko und anderen Spitzenkandidaten einen Machtwechsel im Parlament geben wird.«

Das Land durchlebt aber nicht nur deshalb turbulente Zeiten. Sondern auch, weil die Effekte der globalen Krisen die Bevölkerung voll treffen. Ein heftiger Preisanstieg der Grundnahrungsmittel und Güter des täglichen Gebrauchs führt dazu, dass im armen Senegal nicht nur Lebensmittel knapp sind, sondern sich viele Menschen schlichtweg viele Grundnahrungsmittel nicht mehr leisten können. Die hohen Preise, gepaart mit der generellen Unzufriedenheit vieler junger Menschen mit Macky Salls Politik, sind gefährlicher gesellschaftlicher Sprengstoff, der sich noch weiter entladen könnte. »Die Akteure, vornehmlich die Jugend, gehen deshalb auf die Straße, weil sie keine materielle Sicherheit vorfinden und keine Perspektive mehr in dem Land sehen«, bestätigt Claus-Dieter König, langjähriger Leiter des Regionalbüros der Rosa-Luxemburg-Stiftung in Dakar.

Zudem könnte die Wahlbeteiligung am Sonntag niedriger als sonst sein, weil weite Teile des Senegals seit Tagen von außergewöhnlich heftigen Regenfällen heimgesucht werden. Diese sintflutartigen Regenfälle haben bereits jetzt zu Überflutungen ganzer Stadtteile in Dakar geführt. Straßen sind unpassierbar, Gebäude stark beschädigt. Viele Menschen können nicht zur Arbeit und womöglich auch nicht ins Wahllokal gehen.

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