»Politische Lösungen müssen nicht immer ideal sein«

Finnischer Sinneswandel, schwedische Standhaftigkeit – die Haltung linker Parteien zur Nato-Mitgliedschaft

  • Jukka Pietiläinen
  • Lesedauer: 7 Min.

Nach dem russischen Angriff auf die Ukraine im Februar beschlossen sowohl Finnland als auch Schweden, die Mitgliedschaft in der Nato zu beantragen. Bis zu diesem Zeitpunkt hatten sich beide Länder gegen einen Nato-Beitritt ausgesprochen, auch wenn sie schon seit Jahrzehnten eng mit der Nato zusammenarbeiten. Was die Linke angeht, fiel der Wandel in Finnland drastischer aus. Finnlands wichtigste radikale linke Partei Vasemmistoliitto (deutsch: Linksbündnis), die an der Mitte-links-grünen Regierung beteiligt ist, ist in der Frage der Nato-Mitgliedschaft gespalten. Im Mai stimmten 9 von 16 ihrer Abgeordneten für den Nato-Beitritt, während sich sechs dagegen aussprachen (eine Person war abwesend).

Ebenfalls im Mai wurde auf einer gemeinsamen Sitzung des Parteirats und der Fraktion des Linksbündnisses mit einem klaren Votum (52 zu 10, eine Enthaltung) beschlossen, dass der Nato-Beitrittsantrag kein Grund mehr sei, die Regierung zu verlassen. Als 2019 die Regierung gebildet wurde, war das Nein zur Nato eine der Hauptbedingungen für die Beteiligung des Linksbündnisses gewesen, wenngleich die Partei im Koalitionsvertrag die Nato-Option akzeptierte, sprich die Möglichkeit, die Mitgliedschaft zu beantragen, wenn es für notwendig befunden wird.

Mit dem Krieg in der Ukraine haben sich die Auffassungen zur Sicherheit in Finnland verändert, wo die Gefahr eines Krieges vormals als sehr unwahrscheinlich galt. Meinungsumfragen zufolge lag die langfristige Unterstützung für eine Nato-Mitgliedschaft zu keinem Zeitpunkt über 30 Prozent, sondern meistens zwischen 22 und 25 Prozent. Im Jahr 2020 sprachen sich ganze 86 Prozent der Wähler*innen des Linksbündnisses gegen eine Nato-Mitgliedschaft Finnlands aus, im Herbst 2021 allerdings war dieser Anteil bereits auf 67 Prozent geschrumpft.

Nach Beginn des Krieges änderten sich die Einstellungen zur Nato radikal. Im Frühjahr 2022 stieg die Unterstützung für die Nato-Mitgliedschaft insgesamt von einem Stand von 50 Prozent (Ende Februar) auf 75 Prozent (im Mai und Juni). Bei den Wähler*innen des Linksbündnisses stieg die Unterstützung für die Nato-Mitgliedschaft von etwa 40 Prozent im März auf mindestens 47 Prozent (je nach Umfrage) im Mai. Im selben Monat bewerteten 69 Prozent der Wähler*innen des Linksbündnisses eine militärische Zusammenarbeit mit der Nato als sehr oder eher positiv, und nicht weniger als 97 Prozent der Wähler*innen der linken Partei stuften eine militärische Zusammenarbeit mit der EU als positiv ein.

Auch wenn sich dieser Meinungsumschwung rasant vollzog, fällt die Unterstützung für die Nato-Mitgliedschaft geringer aus als erwartet. Bei einer im Januar 2022 durchgeführten Meinungsumfrage stimmte die Hälfte (49 Prozent) der Wähler*innen des Linksbündnisses (ganz oder teilweise) zu, dass sie den Antrag Finnlands auf eine Nato-Mitgliedschaft akzeptieren würde, wenn Russland einen offenen Krieg gegen die Ukraine beginnt. Diese Zahl lag nur geringfügig unter dem Durchschnitt in der Gesamtbevölkerung (60 Prozent).

Die Abgeordneten des Linksbündnisses, die für den Beitritt stimmten, waren meist jünger als diejenigen, die sich dagegen aussprachen – ohne weitere Differenzierung nach Geschlecht, Region oder anderen Faktoren. Die Parteiführung akzeptierte die Nato-Mitgliedschaft weitgehend und führende Abgeordnete stimmten dafür.

Bei der Bekanntgabe ihrer positiven Entscheidung für die Nato erklärten die Abgeordneten des Linksbündnisses im Allgemeinen, dass die Entscheidung schwierig gewesen sei. Die Nato-Mitgliedschaft sei zwar nicht ideal, aber ein notwendiger Schritt angesichts einer veränderten Sicherheitslage. Das Hauptargument der Nato-Befürworter*innen war, dass Finnland die weniger schlimme Alternative wählen müsse.

So erklärte Hanna Sarkkinen, Ministerin für Soziales und Gesundheit: »Ich würde gern glauben, dass eine andere Welt möglich ist, aber Lösungen müssen in der realen Welt gefunden werden, und diese Lösungen sind nicht immer ideal.« Und der ehemalige stellvertretende Parteivorsitzende Jussi Saramo bezeichnete das positive Votum für die Nato-Mitgliedschaft als „politischen Realismus». 

Am 12. Juni beschloss das Linksbündnis bei seinem Parteitag, seine Nato-Position zu ändern, und stimmte einem neuen Zielprogramm für die Jahre 2022 bis 2025 zu. Darin heißt es, dass die Partei die Nato-Mitgliedschaft als Realität akzeptiert und der Ansicht ist, sie werde die Sicherheitsbedrohungen für Finnland verringern. Im Gegenentwurf, der 25 Prozent der Stimmen erhielt, hatte es geheißen, dass Finnland neutral bleiben und keinem Militärbündnis beitreten solle und dass die Nato-Mitgliedschaft die Sicherheit Finnlands nicht verbessere.

Aus parteiinternen Quellen heißt es, dass eine kleine Anzahl von Mitgliedern nun ihren Austritt angekündigt hat: etwa die Hälfte, weil die Partei ihre frühere Anti-Nato-Position aufgegeben hat, und die andere Hälfte, weil sie sich eine positivere Einstellung zur Nato-Mitgliedschaft wünscht.

In Finnland haben inzwischen alle großen und mittleren Parteien die Nato-Mitgliedschaft akzeptiert, nur die kleinen rechtsextremen Parteien und die Finnische Kommunistische Partei sind weiter dagegen. Die Kommunistische Partei Finnlands spricht sich zudem gegen Waffenexporte in die Ukraine aus.

Auch in der schwedischen Linkspartei (Vänsterpartiet) hat der Krieg in der Ukraine eine interne Spaltung verursacht. Doch wenngleich sie ihren Widerstand gegen Waffenexporte in die Ukraine aufgegeben hat, haben weder die Partei selbst noch die Mehrheit ihrer Wähler*innen ihre Haltung zur Nato geändert, sondern sind ihrer ablehnenden Haltung gegenüber der Nato treu geblieben. Allerdings ist die Unterstützung für die Linkspartei seit Beginn des Krieges in der Ukraine von zehn auf acht Prozent zurückgegangen.

Auch in Schweden war die öffentliche Meinung gegenüber der Nato traditionell eher negativ, wenn auch in etwas geringerem Maße als in Finnland. Mittlerweile ist die Unterstützung für die Nato-Mitgliedschaft auf 30 bis 35 Prozent angewachsen, während der Anteil ihrer Gegner*innen 2018 auf ein Drittel abgefallen ist. Bei den Wähler*innen der Linkspartei lag die Unterstützung für die Nato-Mitgliedschaft zwischen 2005 und 2019 bei 6 bis 12 Prozent.

Der Sinneswandel verlief auch weniger dramatisch als in Finnland. Im Mai 2022 sprachen sich rund 50 bis 60 Prozent der Schwed*innen für eine Nato-Mitgliedschaft aus. Unter den Wähler*innen der Linkspartei lag die Unterstützung für die Nato-Mitgliedschaft bei nur 13 Prozent. So verwundert es nicht, dass die ablehnende Haltung geblieben ist und die Linkspartei fordert, ein Referendum solle über die Nato-Mitgliedschaft entscheiden.

In Schweden wird die russische Bedrohung nicht so stark empfunden wie in Finnland. Die Neutralität des Landes hat hier eine stärkere Tradition. Außerdem steht die schwedische Linkspartei der Europäischen Union kritischer gegenüber und ist nicht an der Regierung beteiligt, weshalb sie sich nicht an den politischen Konsens anpassen muss.

Eher marginale Gruppen der schwedischen Linken kritisieren sogar die Position der Linkspartei zur Unterstützung von Waffenexporten in die Ukraine. An einigen Friedensveranstaltungen, die von der außerparlamentarischen Linken besucht wurden, hat die schwedische Linkspartei nicht teilgenommen.

Die unterschiedlichen Positionen der finnischen und schwedischen linken Parteien beruhen auf den Meinungen ihrer Mitglieder und Wähler*innen — die in Schweden überwiegend negativ, in Finnland geteilt, aber überwiegend positiv eingestellt sind. Sie verdeutlichen auch die unterschiedlichen politischen Haltungen dieser Parteien. Das finnische Linksbündnis ist regelmäßig an Regierungskoalitionen beteiligt, während die schwedische Linkspartei die Minderheitsregierung nur widerwillig aus der Opposition heraus unterstützt. Hinzu kommt, dass der Konsens in der Außen- und Sicherheitspolitik in Finnland traditionell größer ist.

Jukka Pietiläinen, Jahrgang 1966, ist Direktor des finnischen Left Forum und Vorstandsmitglied der Stiftung »Transform! Europe«, die von mehr als 30 linken Organisationen aus mehr als 20 Ländern getragen wird. Er promovierte in Sozialwissenschaften an der Universität Tampere und arbeitete zu russischen Medien und der russischen Gesellschaft an der Universität Helsinki. Der hier veröffentlichte Text erschien zuerst auf der Webseite www.transform-network.net.

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