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»Ein großes Spektakel« - die Frankreich-Rundfahrt der Frauen
Rennchefin Marion Rousse über die erste Tour de France der Radsportlerinnen und gute Aussichten für die Zukunft
Wie erleben Sie selbst diese historische Woche der ersten Tour de France der Frauen?
Marion Rousse hat bei der Tour de France schon viel erlebt. Die frühere Profiradsportlerin arbeitete als Hostess bei Siegerehrungen und war in der Rennjury. Die 30-Jährige kommentiert im französischen Fernsehen die Tour de France der Männer. Jetzt ist sie Direktorin der ersten Tour de France der Frauen.
Mit sehr vielen Emotionen. Schon der Anfang auf den Champs-Elysées gemeinsam mit den Männern war sehr besonders. Aber auch die anderen Etappen sind alle gut gelaufen. Die Strecke ist abwechslungsreich. Es gab Gelegenheiten für alle Typen von Rennfahrerinnen, zuerst die Sprinterinnen, dann die Klassikerspezialistinnen. Jetzt schlägt am Wochenende die Stunde der Bergfahrerinnen. Es war auch sportlich hochklassig bisher, ein großes Spektakel in vielen Dimensionen. Ich bin den gesamten Kurs ja schon vorher abgefahren, allerdings ohne Publikum. Und jetzt freue ich mich darüber, wie gut die gesamte Strecke besucht ist. Ich sehe auch viele Kinder, das gefällt mir. Die Städte und Ortschaften entlang der Strecke haben sehr gut gearbeitet. Dank aber auch an die Fahrerinnen, ohne die eine solche Tour ja gar nicht stattfinden könnte.
Das stimmt. Aber es handelt sich nicht um die Massen, die man bei der Tour de France der Männer gewohnt ist. Sehen Sie das als Rückschlag?
Gar nicht. Was wir bemerken, ist, die Leute haben auf diese Tour de France der Frauen gewartet. Sie freuen sich darüber. Und jetzt müssen wir noch mehr daran arbeiten, dass auch die Frauen-Tour mehr in den Alltag der Menschen eintritt, stärker verankert ist. Aber wir stehen ja auch erst am Anfang dieser Entwicklung. Ich denke, das wird noch weiter um sich greifen. Was ich auch sehe: Die Leute haben sich an der Strecke nicht gelangweilt. Es ist ein Rennen mit viel Spannung, bei dem viel passiert. Ich denke, die Resonanz wird immer weiter wachsen.
Leider gab es auch viele Stürze. Woran lag das? War der Parcours zu riskant angelegt?
Ich denke, viel war dem Wind zuzuschreiben, der besonders in einige offene Streckenabschnitte stark hineinblies. Es gab Positionskämpfe und viel Nervosität. Aber das gab es in den ersten Tagen auch bei der Tour der Männer.
Sie kennen das ja auch als Kommentatorin im französischen Fernsehen. Wie haben Sie den Rollenwechsel von der journalistischen Begleiterin der Männer-Tour zur Chefin der Frauen-Tour bewältigt?
Am Sonntag, dem ersten Tag der Tour de France Femmes, war ich ja noch beides, habe da noch im Fernsehen zur letzten Etappe der Männer gearbeitet. Aber der Wechsel fällt mir leicht. Ich übe beide Rollen mit der gleichen Energie aus. Ich kann auch von dem Wissen profitieren, das ich bei beiden Tätigkeiten erwerbe. Was mich vor allem antreibt, ist die Leidenschaft für den Radsport. Und die ist in beiden Rollen gleich. Ich muss aber auch sagen, dass ich in Christian Prudhomme, dem Direktor der Tour de France, einen sehr guten Mentor habe. Er macht mich auf viele Details aufmerksam, die wichtig sind bei der Organisation eines großen Rennens. Das hilft einfach. Und natürlich sind auch die Kontakte, die ich in der Medienwelt gesammelt habe, wertvoll.
Bei der Männer-Tour sah man immer wieder handgemalte Plakate mit der Aufschrift: »Wir lieben Laurent Jalabert, wir finden Thomas Voeckler gut, aber die beste Kommentatorin ist für uns doch Marion Rousse«. Wie kam das bei Ihnen an?
Natürlich gut. Es ist sympathisch, ich freue mich darüber. Und es zeigt auch, wie populär Radsport ist. Darauf können wir aufbauen.
Sie waren selbst Rennfahrerin. Eine Tour de France sind Sie aber nie gefahren, Sie gehören zur sogenannten »verlorenen Generation«. Wie traurig stimmt Sie das persönlich?
Es stimmt, eine Tour de France gab es in meiner aktiven Zeit leider nicht. Als es 1989 die damals letzte Frauen-Tour gab, war ich noch nicht einmal geboren. Wenn ich jetzt noch Rennfahrerin sein würde, wäre ich natürlich supergern dabei. Aber ich habe meine Karriere beendet. Und jetzt fahre ich gern im roten Begleitwagen, auch das geht manchmal in die Beine. Und natürlich bin ich glücklich über die Rolle, die ich jetzt bei dieser ersten Ausgabe der Frauen-Rundfahrt habe. Der Wunsch nach diesem Rennen bestand ja schon viel länger. Und für die Weiterentwicklung des Frauenradsports ist es immens wichtig. Wir profitieren dabei von der Resonanz der Tour.
Sind Sie dennoch traurig, dass Sie selbst nicht in Rennkleidung am Start stehen? Sie waren ja selbst Profiradsportlerin, wurden französische Meisterin und sind sogar vier Jahre jünger als Marianne Vos, die im Gelben Trikot in das Abschlusswochenende geht. Reizt Sie da nicht ein Comeback?
Nein, ich werde nicht zurückkommen, ich habe einmal diese Entscheidung getroffen. Ich bin glücklich, jetzt eine andere Rolle im Radsport zu übernehmen.
Sie haben mit 24 Jahren mit der aktiven Laufbahn aufgehört, warum so früh?
Es war einfach zu kompliziert. Ich war damals beim Team Lotto Soudal, habe aber auch schon für das Fernsehen gearbeitet, um meine Rechnungen bezahlen zu können. Morgens habe ich trainiert, und danach kam der Job. Das war schon ermüdend. Und am Ende merkte ich, dass man, wenn man zwei Dinge parallel macht, man beides nicht gut macht. Ich musste eine klare Entscheidung treffen.
Wie sehen Sie die weitere Zukunft der Frauentour? Wird sie wachsen, auf 12 Tage ausgedehnt wie der Giro Donne oder gar drei Wochen wie die Grand Tours der Männer? Oder wird die Frauentour eher ein Anhängsel der Männertour bleiben?
Wir müssen natürlich erstmal diese erste Ausgabe beenden. Dann müssen wir analysieren, was gut gelaufen ist und wo noch Potenziale liegen. Sicher kann man sie auf zehn Tage ausbauen, das würde der Entwicklung des Frauenradsports ganz bestimmt guttun. Man muss aber auch mit Bedacht vorgehen, darf nicht zu schnell wachsen wollen. Ökonomisch ist es derzeit nicht leicht, das Sponsoreninteresse ist eher schwach. Aber es gibt immer mehr Frauen, die in WorldTour-Rennställen fahren. Das ist eine gute Entwicklung. Ich glaube aber nicht, dass man unbedingt das Ziel einer dreiwöchigen Rundfahrt anstreben sollte. Rein sportlich wären die Frauen dazu sicher in der Lage. Aber in den Männerteams gibt es um die 30 Profis, bei den Frauen ist es eher die Hälfte. Die größere Anzahl erlaubt es den Männerteams, mehrere Rennen, die parallel stattfinden, zu bestücken. Bei den Frauen ist dies nicht möglich. Die Athletinnen müssen ja auch Zeit zur Regeneration haben. Und es ist nicht sinnvoll, dass die Tour de France drei Wochen im Rennkalender der Frauen blockiert und verhindert, dass da andere Rennen stattfinden. Wir müssen der Entwicklung Zeit geben. Priorität hat, den Frauenradsport nachhaltig aufzubauen.
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