Gute Wälder brauchen Zeit

Die vom Feuer gezeichneten Wälder in Brandenburg sollen widerstandsfähiger werden, doch dem Umbau stehen etliche Hindernisse im Weg

»Jeder Wald hat seine Geschichte«, sagt Martin Guericke zu »nd«. Der Professor für Waldwachstumskunde an der Hochschule für nachhaltige Entwicklung Eberswalde (HNEE) weiß, dass viele der Bäume, die dieser Tage in Flammen stehen, unmittelbar nach dem Krieg gepflanzt wurden. Es sei der Wunsch nach schnell verfügbarem Feuerholz gewesen, der dafür gesorgt habe, dass die Brandenburger Wälder zu rund 70 Prozent aus leicht brennbaren Kiefern bestünden. »Aus heutiger Sicht eine fatale Entscheidung.«

Klar ist: Brandenburgs Wälder sollen und müssen widerstandsfähiger werden, nicht zuletzt mit Blick auf das, was der Klimawandel für sie in Zukunft bereithalten wird. Doch die Brände der vergangenen Wochen, so Guericke, hätten einen alten Streit neu entfacht: »Es gibt die eine Fraktion, die in Aktionismus verfällt und damit beginnt, die Flächen maschinell zu räumen und möglichst schnell neu zu bepflanzen. Ein bisschen so ähnlich wie nach dem Krieg.« Eine sorgfältige Auswahl der Baumarten finde nicht immer statt.

Kluge Aufforstungsarbeit müsse dem Wald jedoch genügend Freiraum und Zeit lassen, sich von alleine zu erholen, führt Guericke aus. »Naturgemäße Waldwirtschaft wurde in den vergangenen Jahren auf großen Flächen erfolgreich durchgeführt.« Nicht zuletzt das Forschungsprojekt der HNEE bei Treuenbrietzen (Potsdam-Mittelmark), das im Juni einem der neuerlichen Brände zum Opfer gefallen ist, habe das »immense Verjüngungspotenzial« des Brandenburger Waldes belegt.

Im Konkreten bedeutet das: Weniger ist mehr. Wird ein betroffenes Waldstück nach dem Brand erst einmal in Ruhe gelassen, wachsen laut Guericke sogenannte Pionierbaumarten nach, die natürliche Sukzession nimmt ihren Lauf. »Da kommen dann Birken, da kommen Pappeln, da kommen Ebereschen«, zählt Guericke auf. Erst nach zwei bis drei Jahren empfehle es sich, Ergänzungspflanzungen vorzunehmen.

Die Nachteile von Monokulturen sind bekannt. »Mischwälder sind deutlich weniger brandgefährdet und bilden stabilere Waldökosysteme«, sagt Guericke. Obwohl es den Brandenburger Böden an Nährstoffen und Wasser mangele, sei es keineswegs unmöglich, auch Baumarten wie Birken oder Eichen heranzuziehen. »Trotzdem gibt es bis zum heutigen Tage genügend Menschen, die nach einer Kiefer eine neue Kiefer pflanzen. Es geht schlicht und ergreifend um monetäre Interessen.«

Denn am Anfang der Aufforstung steht die Frage des Eigentums. Über die Hälfte des Brandenburger Waldes befindet sich dem Ministerium für Landwirtschaft, Umwelt und Klimaschutz zufolge in privater Hand. Dabei teilen sich viele Vieles: Rund 100 000 Eigentümer*innen besitzen zusammen 671 000 Hektar Land. Sie verfolgen bei der Bepflanzung ihre eigenen Interessen. »Die Wiederbewaldung ist Sache des Eigentümers. Er ist in seiner Entscheidung frei, ob er Waldbrandflächen aufforstet oder einer natürlichen Sukzession überlässt«, teilt das Ministerium auf Anfrage mit. Den Waldumbau voranzutreiben, sei dementsprechend schwierig. Eine vermittelnde Rolle, so wird gehofft, könnten Förster*innen einnehmen.

Ob Flächen aufgeforstet werden, hängt laut Land von Faktoren wie Standort, Flächengröße und der Verfügbarkeit von Saatgut ab. Sowohl bei der Förderung privater Waldbesitzer*innen als auch bei Landeseigentum setze man auf Laubbaumarten, heißt es. Geplant sei außerdem eine Empfehlung für Waldbrandflächen zur Wiederbewaldung. »Diese ist dann für die Bewirtschaftung des Landeswaldes verbindlich und für den Privatwald Grundlage für Betreuung und Beratung.«

Bei der Aufforstung selbst bereiten die hohen Wildbestände Schwierigkeiten. Die Tiere machen sich dem Ministerium zufolge über junge Bäume her, ehe diese heranwachsen können. Zudem sorge die zunehmende Trockenheit dafür, dass Bäume häufig nicht genug Samen bilden. Guericke spricht deshalb von der »Blackbox Klimawandel«: »Die Zustände sind jetzt schon dramatisch und keiner von uns kann sagen, wie schlimm es noch kommen wird.« Beim Anpflanzen heute zu wissen, welche Baumarten es in 100 Jahren brauche, sei unmöglich. »Wir haben leider keine Glaskugel.«

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