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Pelosi-Besuch sorgt für Turbulenzen

Zwischenstopp der US-Politikerin in Taiwan versetzt chinesische Luftwaffe in Aufregung

  • Fabian Kretschmer, Seoul
  • Lesedauer: 5 Min.
Taiwan zeigt Flagge in seinem Luftraum. Nancy Pelosi wurde mit Spannung erwartet.
Taiwan zeigt Flagge in seinem Luftraum. Nancy Pelosi wurde mit Spannung erwartet.

Es war der wohl am stärksten antizipierte Flug seit Jahren: Auf den Online-Tracking-Diensten verfolgten am Dienstag Millionen Nutzer die »Spar19«-Boeing der US-Luftwaffe, wie sie sich ihren Weg von Kuala Lumpur nach Taipeh bahnte. Mit im Gepäck: Nancy Pelosi, immerhin dritthöchste Regierungsvertreterin aus Washington. Auf Live-Fernsehbildern war zu sehen, wie die US-Spitzenpolitikerin am Dienstagabend (Ortszeit) in Taipeh landete. Ihr seit Wochen hitzig debattierter Taiwan-Besuch lässt die bilateralen Spannungen zwischen den zwei führenden Weltmächten auf ein bedrohliches Maß ansteigen. Am Mittwoch soll die Demokratin gar auf Präsidentin Tsai Ing-Wen treffen.

In Peking ließ die Staatsführung keinen Zweifel daran, dass die Vereinigten Staaten damit eine ihrer berüchtigten »roten Linien« übertreten. Außenamtssprecherin Hua Chunying betonte, dass man »entschlossene Maßnahmen ergreifen wird, um unsere Sicherheitsinteressen zu gewährleisten«. Die US-Seite werde den Preis dafür zahlen, Chinas Souveränität zu untergraben. Doch auch unabhängige Beobachter werten Pelosis Reisepläne als überaus heikel: Staatschef Xi Jinping wirft der US-Regierung bereits seit Jahren vor, systematisch an der diplomatischen Anerkennung Taiwans zu arbeiten. Er hat also derzeit immense Anreize, ein nachhaltiges Machtwort zu sprechen.

Welche Form dies annehmen wird, lässt sich kaum seriös beantworten – zumal viele Beobachter erwarten, dass sich die Maßnahmen der Volksrepublik über Wochen, möglicherweise Monate erstrecken werden. »Die Reaktion Chinas wird mit ziemlicher Sicherheit auch eine militärische Komponente beinhalten, sogar Raketentests«, kommentiert Taylor Fravel, Leiter am Institut für Sicherheitsstudien des MIT.

Die wirtschaftliche Vergeltung hat bereits begonnen. Am Dienstag sperrte die chinesische Zollbehörde kurzerhand 100 taiwanesische Lebensmittelexporteure, Waren in die Volksrepublik einzuführen – angeblich wegen »veralteter Informationen zu Importdokumenten«. Doch ganz offensichtlich ist dies nur ein vorgeschobener Grund, denn Peking setzt immer dann seine ökonomischen Muskeln ein, wenn ein anderer Staat nicht nach der eigenen politischen Pfeife tanzt. Zuletzt wurden litauische Firmen mit einem Importverbot belegt, nachdem Vilnius ein Taiwan-Büro eröffnet hatte.

Doch auch die militärische Drohkulisse ist beachtlich. Chinas US-Botschafter Qin Gang, ansonsten eher moderat im Tonfall, warnte, dass die Volksbefreiungsarmee einem Besuch Pelosis »nicht tatenlos zuschauen« werde. Und Journalisten der Staatsmedien debattierten bereits offen darüber, dass man Pelosis Boeing mit Kampfflugzeugen eskortieren solle oder gar eine Flugverbotszone rund um Taiwan einrichten müsse.

Der Zeitpunkt von Pelosis Besuch ist auch aus einem ganz trivialen Grund besonders heikel. Chinas Volksbefreiungsarmee befindet sich nämlich gerade gegen Ende ihrer halbjährlichen Übungseinsätze, viele Einheiten sind also noch gerade aktiv im Feld – und könnten derzeit problemlos für zusätzliche Operationen mobilisiert werden. Am Dienstag waren die sozialen Medien bereits gefüllt mit Handyvideos, auf denen zu sehen ist, wie Panzerhaubitzen und weitere Militärausrüstung demonstrativ durch die südöstliche Küstenstadt Xiamen rollt, um sich in Stellung zu bringen. Wenig später flogen bereits mehrere chinesische Kampfflugzeuge ungewöhnlich nah an die inoffizielle Mittellinie heran, die als Puffer zwischen Taiwan und China dient.

Auf Chinas führender Online-Plattform Weibo überbieten sich die politischen Kommentatoren mit immer kühneren Aussagen. Der Blogger Zhan Hao schreibt etwa seinen knapp viereinhalb Millionen Followern: »China braucht eine gute Gelegenheit, um Taiwan zu vereinen. Eine gute Gelegenheit ist, wenn Chinas Volksbefreiungsarmee zum Handeln gezwungen wird – und die Schuld der militärischen Vereinigung ausschließlich den Regierungen der USA und Taiwans angelastet werden kann.« Seine Schlussfolgerung lautet: Der Pelosi-Besuch ist eine »gute Chance« für China, der Inselstaat wird Xi Jinping also de facto auf dem Präsentierteller serviert.

In Taiwan hingegen verfangen die Drohungen überraschend wenig. Auf der vorgelagerten Insel Kinming, von deren Küste man das chinesische Festland bereits mit bloßem Auge sehen kann, ließen sich die Touristen zwischen Museen und Restaurants treiben, die geopolitische Krise könnte gefühlt weiter nicht entfernt sein.

»Die USA sollten sich nicht von einer Diktatur bedrohen lassen«, kommentiert auch Fang Chen-Yu, Professor an der Soochow-Universität in Taipeh. Das potenzielle Risiko, welches der Besuch Pelosis darstellt, sei laut dem Politikwissenschaftler »gering«. Denn noch sei Chinas Militär nicht stark genug, den Inselstaat einzunehmen. Und die Drohungen, die Pekings Staatsführung regelmäßig gegen Taiwan ausspricht, würden ohnehin anhalten: »Ob sie nun kommt oder nicht«.

Dem stimmt auch Jiho Tiun zu. »Chinas rote Linien hängen vor allem davon ab, wie sehr die Welt bereit ist, den Tyrann anzuerkennen und ihn mit seinen Schikanen davonkommen zu lassen«, meint der Stadtrat von Keelung im Norden der Insel: »Das schlimmstmögliche Szenario für Taiwan ist es, wenn China uns angreift – und die Welt ignorant und gleichgültig bleibt. Aus geopolitischer Sicht ist daher jede Art von Publicity für uns gute Publicity«. Und Nancy Pelosis Taiwan-Besuch sei genau das: gute Publicity.

Die Gefahr ist vor allem, dass beide Seiten nur schwer eine gesichtswahrende Lösung finden werden, die Krise ohne weitere Eskalation zu beenden. Das gilt auch für Xi Jinping, der wenige Monate vor dem 20. Parteikongress in Peking seine größte politische Herausforderung meistern muss. Diese hat freilich nichts mit Taiwan zu tun, sondern mit der stillstehenden Wirtschaft daheim: Die »Null Covid«-bedingten Lockdowns und die anhaltende Immobilienkrise drohen die Volksrepublik mittelfristig in eine handfeste Rezession zu stürzen. Allzu bequem wäre es da, die Nationalismus-Karte zu spielen und einen externen Sündenbock auszumachen.

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