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Ab Herbst 2022 wird die Arbeitszeiterfassung zur Pflicht

Neues Bundesgesetz für bestimmte Branchen

  • dpa/nd
  • Lesedauer: 7 Min.

Bereits seit 2019 gibt es ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH), das klarstellt, dass die genaue Erfassung von Arbeitszeit, die auf dem Europäischen Grundrecht jedes Arbeitnehmers aus Art. 31 Abs. 2 GRCh fußt, auch im nationalen Recht der Mitgliedsstaaten umzusetzen ist. Im deutschen Arbeitsrecht ist bisher nur vorgeschrieben, dass Überstunden und die Arbeitszeit an Sonn- und Feiertagen erfasst werden müssen. Eine generelle Pflicht zur Zeiterfassung gibt es noch nicht. Nun hat der Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) am 1. Februar 2022 für bestimmte Branchen einen Gesetzentwurf vorgelegt. Insbesondere die Bau- und Gastronomiebranche soll schnellstens verschärften Regelungen zur Zeiterfassung unterliegen. Auch andere Branchen sind davon betroffen. Versteckt im Gesetz für »Änderungen im Bereich der geringfügigen Beschäftigung« sind Regelungen zur Zeiterfassung, die auch Firmen betreffen, die keine Minijobber beschäftigen. Spezielle Regelungen betreffen vor allem auch Zeitarbeitsfirmen.

Allerdings ist die Einführung von Zeiterfassungssystemen durch Mitbestimmungsrechte oft langwierig. Dennoch sollten Arbeitgeber, die noch kein Zeiterfassungssystem eingeführt haben, sich zeitnah darum kümmern. Auch Arbeitgeber, die Zeiten bereits elektronisch erfassen lassen, sollten prüfen, ob ihr System den Vorgaben des EuGH und des künftigen Bundesgesetzes genügt.

Gesetzliche Regelungen zur Arbeitszeiterfassung sind Pflicht

Ein bahnbrechendes Urteil wurde 2019 durch den EuGH erlassen. Geklagt hatte die spanische Gewerkschaft (CCOO) gegen die Deutsche Bank SAE wegen des Fehlens eines betriebsinternen Systems zur Erfassung der von den Arbeitnehmern geleisteten täglichen Arbeitszeit. Nach Auffassung der Gewerkschaft ergäbe sich eine Pflicht zur Zeiterfassung. Ohne derartige Erfassungssysteme könnte die Einhaltung der Zeiten nicht überprüft werden.

In der Rechtssache C-55/18 stellte der EuGH fest, dass die europäischen Richtlinien klare Regelungen enthalten, die die Mitgliedsstaaten der Europäischen Union verpflichten, Arbeitszeitgesetze zu erlassen, die eine Regelung enthalten, mit der die Arbeitszeiten verbindlich und objektiv gemessen werden können. Dabei soll die Arbeitszeiterfassung im Gesetz des jeweiligen Mitgliedsstaats konkret geregelt werden. Einige Arbeitsgerichte in Deutschland haben jedoch, obwohl die gesetzliche Umsetzung noch aussteht, auf der Grundlage des EuGH-Urteils schon Recht gesprochen.

Die EU-Mitgliedsstaaten müssen auf der Grundlage des EuGH-Urteils nationale Gesetze erlassen. Denn ein Arbeitnehmer befände sich gegenüber dem Arbeitgeber in einer schwächeren Position und könne ohne eine objektive, überprüfbare Zeiterfassung seine Rechte nicht wirksam geltend machen. Daraus ergibt sich die eine Pflicht, für die Arbeitszeiterfassung gesetzliche Regelungen zu erlassen. Aber auch ohne gesetzliche Regelung sind die Gerichte in Deutschland als Träger der öffentlichen Gewalt grundsätzlich verpflichtet, bestehende Regelungen und Gesetze europarechtskonform auszulegen.

Nachzahlungen aufgrund unzureichender Zeiterfassung

Vor den deutschen Arbeitsgerichten wurden aufgrund der EU-Rechtsprechung bereits mehrere Arbeitgeber zu hohen Zahlungen verurteilt. So hat das Arbeitsgericht Emden Anfang 2020 entschieden, dass ein objektives, verlässliches und zugängliches System zur Erfassung der täglichen Arbeitszeit erforderlich sei, um die tatsächlich geleistete Arbeitszeit nachzuweisen. Dies entspricht im Wesentlichen dem Wortlaut des EuGH. Der beklagte Bauunternehmer berief sich auf ein Bautagebuch zum Nachweis der Stunden. Dies war nicht ausreichend und er musste die vom klagenden Bauhelfer selbst dokumentierten Stunden bezahlen, da er kein entsprechendes Zeiterfassungssystem zur Verfügung gestellt hatte.

In einem weiteren Urteil verurteilte diese Kammer im September 2020 einen Arbeitgeber zur Auszahlung von über 1000 Überstunden im Wert von über 20 000 Euro. In diesem Fall herrschte beim Arbeitgeber »Vertrauensarbeitszeit«. Es wurde zwar ein vom Arbeitgeber zur Verfügung gestelltes Zeiterfassungssystem genutzt, dieses genügte aber nicht den Anforderungen des EuGH. Es erfolgte keine Kontrolle der zulässigen Höchstarbeitszeiten, die dem Gesundheitsschutz der Mitarbeiter dient. Ein drittes Urteil des Arbeitsgerichts Emden wurde durch das Landesarbeitsgericht Niedersachsen abgeändert. Dieses geht nicht davon aus, dass der EuGH eine Beweislastumkehr geregelt hat. Das letzte Wort ist in der Sache jedoch nicht gesprochen, da eine Berufung zum Bundesarbeitsgericht zugelassen wurde. Unabhängig davon bleibt die Festlegung des EuGH gültig, dass die nationalen Gesetzgeber zur Einführung eines Gesetzes verpflichtet sind, welches die elektronische, manipulationssichere Arbeitszeiterfassung verbindlich vorschreibt.

Arbeitszeiterfassungsgesetz soll 2022 in Kraft treten

Die Ampelkoalition hat in ihrem Koalitionsvertrag festgelegt, sich der Arbeitszeiterfassung anzunehmen, so dass für die elektronische Arbeitszeiterfassung 2022 ein neues Gesetz auf den Weg gebracht wird. Darin soll die digitale Arbeitszeiterfassung nach den Vorgaben des EuGH gesetzlich verankert werden. In der Pandemie wurde der Wunsch nach flexiblen Arbeitszeiten verstärkt geäußert. Die Ermöglichung von mehr Flexibilität wurde ebenfalls von der Ampelkoalition in den Koalitionsvertrag aufgenommen. Auch diese ist nur durch eine verlässliche Zeiterfassung möglich, will man die gesetzlichen Vorgaben einhalten und nachweisen. Es kann davon ausgegangen werden, dass in dieser Legislaturperiode bei der angestrebten Modernisierung des Arbeitsrechts auch Regelungen zur Arbeitszeiterfassung für alle Branchen entsprechend der Rechtsprechung des EuGH erlassen werden.

Bereits auf den Weg gebracht wurde ein Bundesgesetz, das die Dokumentationspflichten für bestimmte Branchen zeitnah verschärft. Enthalten sind diese Regelungen im Gesetz für »Änderungen im Bereich der geringfügigen Beschäftigung«. Betroffen sind darin aber nicht nur geringfügig Beschäftigte, sondern auch Unternehmen, die gar keine Minijobber beschäftigen. Bislang gab es branchenübergreifend nach dem Arbeitszeitgesetz lediglich die Pflicht, Arbeitszeiten zu dokumentieren, die über die reguläre werktägliche Arbeitszeit hinausgehen (§ 16 Abs. 2 ArbZG). Nur für bestimmte Branchen gab es auch nach der noch geltenden Gesetzeslage die Pflicht zur Dokumentation der Arbeitszeiten. Ausreichend war es hier aber, dass bei einer Kontrolle innerhalb von einer Woche die Arbeitszeiten eingereicht werden müssen. Dies konnte sowohl in Papierform als auch elektronisch dokumentiert werden und auch im Nachgang noch erstellt werden. Künftig sollen alle Arbeitszeiten genau erfasst und dokumentiert werden. Betroffen sind auch die Pausenzeiten. Der EuGH verlangt hierzu, dass ein »objektives, verlässliches und zugängliches System zur Arbeitszeiterfassung« einzurichten ist. Im vorliegenden Gesetzesentwurf steht daher, dass die Dokumentation unmittelbar, elektronisch und manipulationssicher zu erfolgen hat. Diese Anforderungen müssen Zeiterfassungssysteme künftig generell erfüllen.

Welche Branchen von der neuen Regelung nicht betroffen sind

Grundsätzlich sind alle Branchen von der EuGH-Rechtsprechung betroffen. Ausnahmen bestehen wie bislang nur für besonders herausragende Positionen wie Manager oder Chefärzte. Folgende Branchen sollten sich auf eine Pflicht zur elektronischen Arbeitszeiterfassung per Gesetz einstellen:

  • Baugewerbe,
  • Gaststätten- und Beherbergungsgewerbe,
  • Personenbeförderungsgewerbe,
  • Speditions-, Transport- und damit verbundenen Logistikgewerbe,
  • Schaustellergewerbe,
  • Unternehmen der Forstwirtschaft,
  • Gebäudereinigungsgewerbe,
  • Unternehmen, die sich am Auf- und Abbau von Messen und Ausstellungen beteiligen,
  • Fleischwirtschaft,
  • Prostitutionsgewerbe,
  • Wach- und Sicherheitsgewerbe.

Von der Zeiterfassungspflicht betroffen sind auch folgende Arbeitgeber:

  • die als Entleiher Leiharbeitnehmer beschäftigen
  • von nach Maßgabe des AEntG entsandten Arbeitnehmer
  • von geringfügig Beschäftigten

Gut beraten ist man, sich schon jetzt um eine elektronische Zeiterfassung zu bemühen, auch wenn das Gesetz darüber noch aussteht. Auch die Gerichte sehen in vielen Fällen die Voraussetzungen als gegegeben und berücksichtigen das bei ihrer Rechtsprechung.

Was bei Arbeitszeiterfassung ab 2022 alles zu beachten ist

Die neuen Vorgaben zur Arbeitszeiterfassung sollen sicherstellen, dass alle Zeiten rechtssicher dokumentiert sind. Diese Dokumentationen sollen bei nun verschärften Kontrollen rechtssicher den Nachweis der tatsächlich erbrachten Arbeitszeit führen. Die Pflicht umfasst daher das tägliche Aufzeichnen der Arbeiten bereits bei Arbeitsbeginn sowie Pausen und das Arbeitsende in elektronischer Form. Die Aufzeichnungen müssen manipulationssicher sein und elektronisch aufbewahrt werden. Einfache Papierdokumentation ist unzureichend. Auch sind gewisse technische Anforderungen an elektronische Zeiterfassungssysteme zu stellen. Bei Kontrollen muss auf die Schnelle der Nachweis erbracht werden können, dass alle Beschäftigten das System nutzen. Arbeitgeber werden verpflichtet, die elektronisch erfassten, mindestlohnrelevanten Arbeitszeiten nach Beendigung des Abrechnungszeitraums bereitzustellen.

Verstöße gegen Arbeitszeitaufzeichnung sollen Ordnungswidrigkeiten darstellen und Bußgeldbewährt sein, wenn die Umsetzung nicht bis Oktober 2022 vollzogen ist. Der Arbeitgeber trägt das Beweislastrisiko, was beim fehlenden oder fehlerhaften Zeiterfassungssystem zu hohen Lohnnachzahlungen führen kann. 

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