Campen für den Systemwechsel

Aktionen gegen Gasinfrastruktur und Lieferketten geplant

Die ersten Zelte stehen schon am Altonaer Volkspark in Hamburg. Seit Freitag bauen die Aktivist*innen des »System Change«-Camps ihre Infrastruktur auf. Neben großen Zirkuszelten für die Veranstaltungen entstehen auch Küchenzelte, Duschen, Toiletten und Waschgelegenheiten. Vor einer Woche war noch nicht klar, ob das möglich sein würde. Die Hamburger Polizei hatte das Camp mit scharfen Auflagen belegt. Es sollte nicht geduscht, gekocht und geschlafen werden. In einer Großstadt wie Hamburg seien solche Infrastruktureinrichtungen für ein Protestcamp nicht nötig. Essen und Schlafen, dafür gebe es genug andere Möglichkeiten.

Vor Gericht unterlag die Polizei dann gleich zweimal. Verwaltungs- und Oberverwaltungsgericht entschieden zugunsten des Camps. Die »demokratiefreie Zone« Polizei Hamburg habe »auf Biegen und Brechen« versucht, »demokratische Rechte einzuschränken«, heißt es von der Camp-Sprecherin Toni Lux. Die beiden gerichtlichen Entscheidungen bewertet sie als »Erfolg für die Demokratie und einen Erfolg für uns«. Einziger Wermutstropfen: Der Ort des Campes am Altonaer Volkspark ist viel kleiner als die ursprünglich angemeldete Fläche im Stadtpark. Es dürfte also eng werden beim »System Change«-Camp. Die Veranstalter*innen erwarten bis zu 6000 Menschen, die mit ihnen »für ein besseres und demokratisches Klima kämpfen«.

Ein erstes Ausrufezeichen will das Camp am Mittwochnachmittag mit einer Demonstration gegen den Aufbau von LNG-Infrastruktur setzen. Im Aufruf zur Demonstration wird die aktuelle Lage beschrieben. Die Flut im Ahrtal, Waldbrände in Brandenburg, dazu Klimakatastrophen, die ausgerechnet in den Gebieten die schwersten Folgen haben, die am wenigsten zur Klimakrise beigetragen haben. Der Befund des Aufrufs: »Die Klimakrise eskaliert.« Und ausgerechnet jetzt setze Deutschland, nachdem das Gas aus Russland nicht mehr fließt, auf den Ausbau der LNG-Flüssiggas-Infrastruktur. Dies schaffe neue fossile Abhängigkeiten.

Charly Dietz vom Klimagerechtigkeitsbündnis »Ende Gelände« erklärt gegenüber »nd«: »Es gibt verschiedene Gründe, um genau jetzt gegen die LNG-Infrastruktur zu protestieren.« Die Bundesregierung investiere als Reaktion auf den Ukraine-Krieg Milliarden in fossile Infrastruktur, anstatt den sofortigen Gas-Ausstieg einzuleiten. Das ist für Dietz »ein absolutes No-Go«. Das fossile Gas sei »ein absoluter Klimakiller, es besteht aus Methan und das ist vielfach schädlicher als CO2. Dazu kommt beispielsweise, dass beim Transport Gas freigesetzt wird, was auch einen klimaschädlichen Effekt hat. Außerdem ist das Gas stark mit neokolonialer Ausbeutung verknüpft.« Gerade LNG werde oft in Ländern des globalen Südens gefördert, in denen die indigene Bevölkerung darunter zu leiden habe. Ein aktuelles Beispiel sei Ecuador, dort seien Aktivist*innen »Repressionen, Verfolgung und Ermordung« ausgesetzt, wie es im Aufruf zur Demonstration heißt. Ein anderer Kritikpunkt: LNG-Gas wird oft per Fracking gefördert. Diese Technik kritisiert Charly Dietz als »extrem umweltzerstörerisch«.

Für Dietz ist klar, das der weitere Ausbau der fossilen Infrastruktur nur geschieht, »damit der Wirtschaftsstandort Deutschland geschützt wird und hier weiter Profite eingestrichen werden können«. Dietz und ihre Gruppe plädieren für »einen radikalen Systemwandel. Wir brauchen eine klare Energiewende mit dezentraler Energieproduktion in den Händen der Bevölkerung. Wir müssen darüber nachdenken, Schlüsselindustrien zu vergesellschaften, und müssen auch darüber nachdenken, welche Industrien nicht mehr sinnvoll für ein gutes Leben für alle sind.«

Das passt gut zum Fokus, den sich das kommunistische Bündnis »… ums Ganze« für das Camp und die Aktionstage gesetzt hat. »Statt einer Verkettung von Konkurrenz und Zerstörung durch die Logistik brauchen wir eine globale Vernetzung der Solidarität und Sorge«, fordert Bündnissprecherin Liv Rothe. Die Klimagerechtigkeitsbewegung werde in dieser Woche »Infrastrukturen des fossilen Kapitalismus« blockieren und für »eine solidarische und gerechte Welt« kämpfen. Als neuralgischen Punkt in der kapitalistischen Infrastruktur sehen die Kommunist*innen den Hamburger Hafen. Dort hatte das Bündnis schon 2017 während des G20-Gipfels eine Blockade durchgeführt. Dabei entstanden Millionenschäden für die Wirtschaft.

Liv Rothe ist sich sicher: Klimaschutz und Kapitalismus, das geht nicht zusammen. Mit seinem »inhärenten Wachstumszwang« sei der Kapitalismus für die Klimakrise verantwortlich. Wachstum lasse sich nicht vom Ressourcenverbrauch entkoppeln. »Wird die Produktion effizienter, werden nicht weniger Ressourcen verbraucht oder Emissionen ausgestoßen: Effizienzsteigerung wird genutzt, um mehr zu produzieren«, erklärt Rothe. Die Weltwirtschaft sei »nie weiter von einer ressourcenschonenden Produktion entfernt« gewesen als heute.

Bei »… ums Ganze« plant man in der Campwoche, wieder in den Hafen zu gehen und diesen zu blockieren. Von »Ende Gelände« werden Aktionen des zivilen Ungehorsams im Großraum Hamburg angekündigt. Schon im letzten Jahr war das schwimmende LNG-Terminal in Brunsbüttel Ziel der Aktivist*innen.

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