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Ohne Bezug zur Realität

Silvio Berlusconi will Italien ein neues Wunder bescheren

  • Anna Maldini, Rom
  • Lesedauer: 4 Min.

In welchem Jahr sind wir? Eine dumme Frage, so könnte man meinen. Aber wenn man sich in diesen Tagen die Wahlkampagne von Silvio Berlusconi ansieht, fühlt man sich unweigerlich um fast 30 Jahre zurückversetzt, in das Jahr 1994, als der damalige Medienunternehmer in die Politik einstieg. Damals hatten seine Berater alles haargenau geplant und auch jetzt scheint jeder Auftritt des inzwischen 85-Jährigen einer präzisen Regie zu gehorchen: Die Italiener sollen sich an die vermeintlich goldenen Zeiten erinnern, in denen noch alles in Ordnung war und Berlusconi wie ein freundlicher König über sein glückliches Volk herrschte.

Beginnen wir mit den Äußerlichkeiten. Gut, es sind fast drei Jahrzehnte ins Land gegangen. Aber Berlusconi tut so, als gelte das nicht für ihn. Man weiß nicht, ob er jemals in den Spiegel schaut. Denn dann würde er sehen, dass die unzähligen Faltenglättungen und plastischen Operationen Spuren hinterlassen haben, die wahrscheinlich sehr viel schlimmer sind als die, die der Lauf der Zeit verursacht hätte. Aber egal, auch wenn Berlusconis Gesicht inzwischen unbeweglich und maskenhaft wirkt, auch wenn er über seine Füße und über seine Worte stolpert und auf öffentlichen Veranstaltungen gern mal einschläft: Wenn man die Augen etwas zusammenkneift oder viele Schritte rückwärts macht, meint man tatsächlich den Silvio Berlusconi von damals vor sich zu sehen. Die Haare sind genauso tiefschwarz, die selbstbewusste Haltung ist die Gleiche und auch der dunkelblaue Anzug mit dem hellblauen Hemd könnte noch der von vor 30 Jahren sein. Und um dieses Bild der stillstehenden Zeit noch zu verstärken, hat Berlusconi seine erste Ansprache in dieser Wahlkampagne praktisch vor der gleichen Kulisse aufgenommen: Er sitzt an einem Schreibtisch und hinter ihm sieht man ein Bücherregal mit vielen Fotos aus besseren Zeiten.

Aber dieses Bild der Zeitschleife macht sich nicht nur an Äußerlichkeiten fest. Auch die Wahlversprechen sind mit kleinen Abwandlungen die gleichen. 1994 versprach der Medienunternehmer eine massive Rentenerhöhung auf damals eine Million Lire; dieses Mal soll jeder Pensionär mindestens 1000 Euro erhalten und das in einem Land, in dem Millionen älterer Menschen nicht über die Mindestrente von 500 Euro hinauskommen. Und während es vor 30 Jahren hieß, jeder Rentner erhalte gratis ein Gebiss, sind es jetzt Implantate. Damals versprach Berlusconi eine Million neue Arbeitsplätze, dieses Mal will er eine Million Bäume pflanzen, um die Klimakrise aufzuhalten.

Wie immer ist Berlusconis Realität leicht verzerrt. So ist er davon überzeugt, dass seine Forza Italia mindestens 20 Prozent der Stimmen auf sich vereinigen wird. Laut den Prognosen sollen es höchstens zehn Prozent werden.

Die Partei hat eine Koalition mit der rechtsextremen Lega und der neofaschistischen Partei Fratelli d‹Italia gebildet. Es wurde beschlossen, dass bei einem Wahlsieg diejenige der drei Parteien, die am 25. September die meisten Stimmen erhält, auch den Ministerpräsidenten stellt. Will man den Prognosen glauben, wäre das auf jeden Fall Fratelli d‹Italia. Und da man ja nie genau weiß, was die Zukunft bringt, soll es, so berichten die Medien, auch einen Plan B geben: Falls Forza Italia nicht doch noch den unwahrscheinlichen Sprung in der Wählergunst macht, dann soll Berlusconi Senatspräsident werden – und das wäre immerhin das zweithöchste Amt im Staat. Er will wohl auf jeden Fall in den Senat einziehen, aus dem er 2013 nach seiner rechtskräftigen Verurteilung wegen Steuerhinterziehung ausgeschlossen wurde.

Wieder einmal möchte Berlusconi ein »italienisches Wunder« vollbringen und dabei ist es ihm egal, ob einige seiner engsten Mitstreiter von damals inzwischen anderen Parteien angehören. Er will eben, dass alles wieder so wird, wie es einmal war. Das Credo seiner Marketing-Abteilung: »Berlusconi muss keine neuen Wähler für sich gewinnen. Er muss nur die Stimmen wieder einfahren, die er schon mal hatte.« Er muss also nur die Italiener davon überzeugen, dass früher alles besser war und dass man die Zeit nur 30 Jahre zurückstellen muss, damit alle wieder glücklich werden. Silvio Berlusconi weiß ja, wie es geht.

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