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Barcelona macht es vor
In der Hauptstadt Kataloniens startet bald ein Pilotprojekt zum Bedingungslosen Grundeinkommen
Aida Martínez spricht nicht über das System Hartz IV, wenn sie sagt: »Transferleistungen können das Armutsrisiko nicht abwenden und die Armut nicht beenden.« Martínez spricht über die Lage einer wachsenden Zahl von Spanier*innen. Die junge Katalanin vertritt bei einer Online-Veranstaltung der Berliner Kampagne »Expedition Grundeinkommen« das Pilotprojekt Renda Bàsica Universal der Regierung Katalaniens – das in seiner Form bisher größte Vorhaben, ab Januar 2023 Bürger*innen der Metropole Barcelonas eine gesetzlich festgelegte und vom Staat ausgezahlte finanzielle Zuwendung zukommen zu lassen, ohne dass diese dafür eine Gegenleistung erbringen müssen.
Was muss, was kann Berlin von Barcelona lernen, wenn es darum geht, ein solches Pilotprojekt für soziale Absicherung und Armutsbekämpfung auch für die Hauptstadt zu erstreiten? Ein Projekt, von dem sich Sozialpolitik-Expert*innen deutliche Aussagen darüber versprechen, wie den Existenznöten vieler Menschen nachhaltig und sinnvoll begegnet werden kann?
300 Leute fehlen, sagt Joy Ponader von der Initiative »Expedition Grundeinkommen«. 300, die noch bis zum 5. September in Berlin einmal wöchentlich auf die Straße gehen würden, um Unterschriften zu sammeln – und damit das Projekt, für das Ponader seit Jahren brennt und mobilisiert, auf die nächste politische Ebene demokratischer Beteiligung und Entscheidung zu heben: Ein Volksbegehren über die Erprobung eines Bedingungslosen Grundeinkommens (BGE) im Land Berlin, Titel: »Expedition Grundeinkommen«.
Dafür wurden bis vor knapp einer Woche insgesamt 40 950 Unterschriften abgegeben, hatte die Landeswahlleitung Anfang der Woche mitgeteilt. Von diesen hätten die Berliner Bezirkswahlämter mittlerweile 33 561 Unterschriften geprüft, 25 074 und somit etwa 74,7 Prozent davon seien gültig. Etwa 44 Prozent der als ungültig klassifizierten Unterschriften wurden demnach von Personen geleistet, die nicht die deutsche Staatsbürgerschaft innehaben und die somit nicht zum Volksentscheid stimmberechtigt sind. Gut zehn Prozent der ungültigen Unterschriften wurde von Personen geleistet, die ihren Haupt- oder alleinigen Wohnsitz nicht in Berlin haben. »Für den Erfolg des Volksbegehrens müssen mindestens sieben Prozent der zum Abgeordnetenhaus Wahlberechtigten innerhalb der viermonatigen Eintragungsfrist eine Unterschrift leisten. Es sind danach etwa 175 000 gültige Unterschriften erforderlich«, erklärt die Behörde. Die Eintragungsfrist endet in einem Monat, am 5. September 2022.
»Wir brauchen ein August-Wunder«, sagt dazu Ponaders Mitstreiterin und Mitgründerin von »Expedition Grundeinkommen«, Laura Brämswig. Zumal es gemäß der Logik zu erwartender ungültiger Unterschriften nicht um 175 000 Unterschriften, sondern eher um 240 000 geht – will man sichergehen, durch die Prüfung der Landeswahlleitung zu kommen. Auch Brämswig ist der Meinung, dass es in der Hauptstadt nicht an Unterschriftenwilligen mangele, sondern an Leuten, die diese auch einsammeln.
Letzterer Eindruck ließe sich zumindest oberflächlich bestätigen. Während die rosa unterlegten Plakate mit mal ernst (»Weniger Bürokratie – probieren wir’s aus«), mal mehr oder weniger kessen Sprüchen (»Mehr Zeit für Oma – probieren wir’s aus«, »Mehr Sex – probieren wir’s aus«) im Straßenbild zuweilen seit Wochen sehr präsent sind, hat man von den Aktivitäten der letzten großen Unterschriftensammlung in Berlin andere Erinnerungen: In den Wochen vor der Auszählung des Volksentscheids für eine Vergesellschaftung großer Wohnungskonzerne am 26. September 2021 waren die Sammler*innen im Namen der Kampagne »Deutsche Wohnen und Co. enteignen« in Berlin scheinbar überall. Der »Drive« kann sicher auf das allgemeine Wahlkampffieber angesichts von Bundes- und Abgeordnetenhauswahlen zurückgeführt werden, aber nicht zuletzt auch auf eine einzigartige stadtweit agierende mietenpolitische Initiative, der es gelungen war, in ihrem Anliegen den Mietenwahnsinn und den Verdrängungsdruck von Millionen Menschen zu kanalisieren.
Doch in Berlin scheint irgendwie der Drive zu fehlen, zu wenige Menschen sprechen über das Vorhaben, machen Werbung dafür. Dabei hat die Kampagne breite Unterstützung in der Initiativen-Landschaft, sogar die Sammler*innen für das Volksbegehren Berlin klimaneutral 2030 machen auch für die »Expedition Grundeinkommen« Werbung.
Also will man das Beispiel Barcelona bekannter machen. Obwohl Ponader in der Diskussion betont, dass »nicht jedes Modell in jedem Land« funktioniere, gelte doch: »Die Leute wollen mit ihren eigenen Augen sehen, was passiert. Deshalb ist es so wichtig, verschiedene Pilotprojekte in verschiedenen Ländern und Städten zu haben.« Diese beobachte man sehr genau. »Wir wollen schließlich nicht dieselben Fragen noch einmal stellen, sondern spezifische Fragen, basierend auf den Erfahrungen, die schon gemacht wurden«, sagt Ponader. Noch sei alles theoretisch, das Anliegen der Armutsbekämpfung vor allem akademisch geprägt. Vorschläge und Annahmen gebe es genug, man müsse endlich in die Praxis kommen. Um so mehr schaut man jetzt auf die Katalan*innen, die schon viel weiter sind.
Zwei Jahre lang sollen dort ab Januar 2023 insgesamt 5000 Menschen in zwei Gemeinden den Betrag von 800 Euro für Erwachsene und 300 Euro für Minderjährige erhalten. In beiden Gemeinden werden sowohl 2500 Personen die Renda Bàsica Universal, wie es auf katalanisch heißt, erhalten und zugleich 2500 Personen an der Studie teilnehmen, die es nicht bekommen. Davon verspricht man sich Aussagen darüber, wie unterschiedlich die Auswirkungen auf ähnliche Gruppen sein können. Als Zielgruppe anvisiert sind 90 Prozent aller Einwohner*innen, ausgeschlossen hat man die zehn Prozent der Bevölkerung mit dem höchsten Einkommen, erklärt Aida Martínez.
In Berlin wie in Barcelona ist die einzige geforderte Gegenleistung für das Grundeinkommen die Teilnahme an einer dazugehörigen Studie. Mit qualitativen und quantitativen Daten solle die entscheidende Argumentationsgrundlage für eine tatsächliche Umsetzung geschaffen werden, wie Bernhard Neumärker vom Freiburger Institut zur Erforschung des Grundeinkommens sagt. In Berlin soll es drei Jahre lang monatlich 1200 Euro geben.
Die entscheidenden Fragen seien, wie die Beteiligten auf Gesundheitsversorgung, Schulbesuch, gesellschaftliche Teilnahme, Zugang zum Arbeitsmarkt blickten, erklärt Ponader. Aber man wolle auch wissen, ob häusliche Gewalt eine Rolle spielt oder ob sie beispielsweise rechten Parteien nahestünden und wenn ja, warum. Gerade das Thema Arbeitsmarkt ist dabei interessant, weil sich daran oft konservative und wirtschaftsliberale Kritik entzündet: Wenn Menschen Geld zum Leben haben, ohne dafür arbeiten zu müssen, warum sollten sie es dann tun, so die Frage. Das Gegenteil sei der Fall, betont Bernhard Neumärker. Menschen, die nicht mehr unter Druck stehen, gelingt es viel besser, passende Tätigkeiten zu suchen und zu finden. In Barcelona werde man, das steht fest, bei allem nicht allein auf die einzelnen Individuen schauen, sondern auf den gesamten Haushalt, erklärt Martínez.
Als Joy Ponader seine Begeisterung darüber zum Ausdruck bringt, dass die katalanische Regierung das Anliegen offensichtlich so stark teile und unterstütze, betont Martínez die Rolle der Zivilgesellschaft und der außerparlamentarischen Bewegungen: »Es ist nicht allein der Wunsch der politischen Verantwortlichen und kein Projekt, das ›von oben‹ durchgeführt wird. Es ist stark auf der horizontalen Ebene verankert. Viele Gruppen, die sich für bessere Bildungschancen oder für die Rechte von LGBTI einsetzen, viele feministische Gruppen, haben gerade angesichts der Pandemie und der sozialen Folgen ein Bedingungsloses Grundeinkommen eingefordert.«
Die »Expedition Grundeinkommen« war furios gestartet. Im Dezember noch hatten Brämswig und Ponader den Deutschen Engagementpreis entgegengenommen – der Dachpreis für bürgerschaftlichen Einsatz in der Republik. Jetzt braucht die Kampagne einen echten Düsenantrieb, um auf nicht einmal halbem Weg plötzlich steckenzubleiben. Sogar 42 Euro Ehrenamtspauschale wird man Sammler*innen nun pro Einsatz zahlen, erklären die Engagierten. Vier Wochen sind schnell vorbei. Eine tragfähige gesellschaftliche Verankerung braucht Zeit. Aber die Hoffnung auf ein »August-Wunder« ist groß.
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