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Zwischen Antisemitismus und weltweiter Solidarität

Vor 70 Jahren endete der sowjetische Geheimprozess gegen das Jüdische Antifaschistische Komitee mit der Hinrichtung führender Mitglieder

  • Reiner Tosstorff
  • Lesedauer: 14 Min.
Mitglieder des Jüdischen Antifaschistischen Komitees unterzeichnen den Appell an die Juden der ganzen Welt, sich dem Kampf gegen Hitler und jedem Faschismus anzuschließen. In der vorderen Reihe von links nach rechts: Samuil Marschak, Perez Markisch, David Bergelson, Solomon Mikhoels, Boris Iofan und Ilja Ehrenburg. Dahinter von links nach rechts: Yakov Flier, David Oistrakh, Isaak Nusinov, Jakow Sak, Benjamin Zuskin, Alexander Tyshler und Schachne Epstein.
Mitglieder des Jüdischen Antifaschistischen Komitees unterzeichnen den Appell an die Juden der ganzen Welt, sich dem Kampf gegen Hitler und jedem Faschismus anzuschließen. In der vorderen Reihe von links nach rechts: Samuil Marschak, Perez Markisch, David Bergelson, Solomon Mikhoels, Boris Iofan und Ilja Ehrenburg. Dahinter von links nach rechts: Yakov Flier, David Oistrakh, Isaak Nusinov, Jakow Sak, Benjamin Zuskin, Alexander Tyshler und Schachne Epstein.

Die Exekutionen gingen als »Nacht der ermordeten Dichter« in die Geschichte ein. Auch wenn tatsächlich nur fünf der 13 Angeklagten, die in der Nacht vom 12. auf den 13. August 1952 im Moskauer Geheimdienstgebäude Lubjanka erschossen wurden, im engeren Sinne Schriftsteller waren, traf es zweifellos die bedeutendsten der jiddischen Sprache. Mit den Hinrichtungen wurde das Urteil eines Geheimprozesses vollstreckt, der das Jüdische Antifaschistische Komitee (JAK) abstrafen sollte, das 1941 nach dem deutschen Überfall auf die Sowjetunion gegründet worden war. Das JAK war entgegen der Gründungsabsichten von einem Mittel der weltweiten Mobilisierung faktisch zur politischen Vertretung der jüdischen Bevölkerung in der Sowjetunion geworden. Stalin sah darin das staatliche Monopol auf Politik unterlaufen und das konnte für ihn im sich entwickelnden Kalten Krieg nur bedeuten, dass hier feindliche Agenten am Werk waren. Das Komitee war daher 1948 klammheimlich aufgelöst worden. Zahlreiche der führenden Mitglieder waren verhaftet und ein Geheimprozess gegen sie war eingeleitet worden. Dies war Teil einer antisemitischen Wende der sowjetischen Politik ab 1948.

Juden in der russischen Revolution

Jahrhundertelang war die politische und ökonomische Diskriminierung von Juden Alltag des Russischen Zarenreichs, in dem um 1900 etwa fünf Millionen Juden lebten. Dafür steht beispielhaft der Begriff »Pogrom«, der in die Sprachen der Welt eingegangen ist. Auf die Gewalt reagierten die russischen Juden in verschiedener Weise: Neben der Hinwendung zu religiöser Orthodoxie und Erlösungsbewegungen, Auswanderung oder vereinzelten Bemühungen um Assimilation hatte sich durch wachsende Verarmung und Proletarisierung auch eine einflussreiche sozialistische Bewegung auf der Grundlage der jiddischen Sprache und Kultur entwickelt. Die stärkste Partei – der Allgemeine Jüdische Arbeiterbund in Litauen, Polen und Russland, kurz Bund genannt – strebte im Kampf für den Sozialismus eine »nationalkulturelle Autonomie« an, da er sich auf kein geschlossenes jüdisches Territorium beziehen konnte.

Mit der russischen Revolution wurden die antisemitischen Bestimmungen beseitigt und dies schuf ganz neue Voraussetzungen für die jüdische Bevölkerung – auch wenn der Antisemitismus im Bürgerkrieg ab 1918 wieder eine große Rolle spielte. Zwar waren davor auch Teile der bolschewistischen Basis nicht vor antisemitischen Ressentiments gefeit, doch im Unterschied zu allen anderen Bürgerkriegsseiten wurde dies von der bolschewistischen Führung scharf bekämpft. So tendierten schließlich auch große Teile der jüdischen Bevölkerung, die keineswegs pro-bolschewistisch waren, zu den Sowjets als dem »kleineren Übel«. Ein Gros der jüdischen sozialistischen Bewegung schloss sich direkt den Bolschewiki an und bildete eine »Jüdische Sektion« (Jewsekzija) in der Partei. Dies ermöglichte es auch, dass jüdische Kultur und Jiddisch als Sprache insbesondere innerhalb der Sowjetrepubliken mit hohem jüdischen Anteil (Weißrussland, Ukraine) aufblühten, etwa durch eine breite Presse oder durch Schulen und Hochschulen mit dieser Unterrichtssprache. Die Sektion wandte sich allerdings auch gegen die traditionelle, religiöse hebräische Kultur und »säkularisierte« entsprechend die Schreibweise des Jiddischen.

Innerhalb einzelner Unionsrepubliken wurden sogar auch kleinere jüdische Territorialeinheiten mit Jiddisch als Amtssprache gebildet. Vorübergehend kam die Idee auf, ein geschlossenes jüdisches Siedlungsgebiet auf der Krim zu schaffen. Doch gegen Ende der 1920er Jahre begann Stalin sich durchzusetzen. Seine Kontrolle über die Partei verstärkte den Zentralismus, was auch Einschränkungen gegenüber allen nichtrussischen Nationalitäten bedeutete. So wurde die UdSSR faktisch zu einer Neuauflage des russischen Staats. Dabei waren die Juden ohne eigene Unionsrepublik in einer besonders schwierigen Lage. Schritt für Schritt wurden im Lauf der 1930er Jahre die jiddische Sprache und jüdische Kultur zurückgedrängt: Zeitungen wurden eingestellt, kulturelle Institutionen geschlossen und die jüdischen Territorialstrukturen aufgehoben. Der Druck zur Assimilierung verstärkte sich zwar nicht durch direkte Verbote, aber die Anpassung an eine zentral verordnete russische »Leitkultur« versprach sozialen Aufstieg. Der stalinistische Staat wurde auf diese Weise homogenisiert. Auch wenn die offizielle Politik Antisemitismus scharf verurteilte und als wesentliches Element des Faschismus bekämpfte, ist inzwischen bekannt, dass die sozialen Erschütterungen im Alltagsleben antisemitische Stimmungen wieder aufblühen ließen. Nicht zuletzt setzte Stalin diese Ressentiments im Kampf gegen die innerparteiliche Opposition ein.

Als Ersatz für eine Republik wurde bereits 1928 ein Jüdisches Autonomes Gebiet ausgerufen, ausgerechnet im unwirtlichen Gebiet an der Grenze zu China mit dem Ort Birobidschan im Mittelpunkt. Dafür waren letztlich strategische Gesichtspunkte ausschlaggebend. In der sowjetischen Propaganda wurde dies allerdings als Alternative zum zionistischen Projekt in Palästina ausgegeben. Eine der ersten Folgen war aber zunächst die Auflösung der Jewsekzija, womit die institutionelle jüdische Vertretung innerhalb der bolschewistischen Partei verschwand. Mit der Annexion der östlichen Gebiete des polnischen Staates in Folge des Hitler-Stalin-Pakts im September 1939 fielen weitere zwei Millionen Juden dem Staatsgebiet der UdSSR zu. Aber die einsetzende jüdische Fluchtbewegung aus dem deutschen Besatzungsgebiet wurde bald unterbunden. Die auch international bekannten Führer des »Bundes«, Wiktor Alter und Henryk Erlich, wurden auf der Flucht von Warschau über das sowjetische Besatzungsgebiet in das noch unabhängige Litauen vom sowjetischen Geheimdienst verhaftet.

Das Jüdische Antifaschistische Komitee

Der Überfall Deutschlands auf die Sowjetunion am 22. Juni 1941 bedeutete eine vollkommen neue Situation, besonders für die sowjetischen Juden. Der Eroberungs- und Unterwerfungskrieg zielte am unmittelbarsten auf die sofortige Ermordung der jüdischen Bevölkerung. Daher kam sehr schnell die Frage der Organisierung einer internationalen jüdischen Solidaritätskampagne auf. Alter und Erlich waren im Sommer 1941 aus der Haft entlassen worden und schlugen nun die Gründung eines internationalen jüdischen Anti-Hitler-Komitees vor. Es sollte nicht rein sowjetisch, sondern international zusammengesetzt sein und die Beteiligung aus anderen Ländern, vor allem aus den USA und von deren Arbeiterbewegung, einschließen. Doch Anfang Dezember 1941 wurden Alter und Erlich erneut verhaftet. Beide kamen im Gefängnis um. Ihre Ermordung wegen des Vorwurfs der Agentenschaft gestand die sowjetische Führung erst Anfang 1943 ein.

Damit war auch die Idee eines solchen Komitees von »unten« gestorben. Was daraufhin verwirklicht wurde, geschah unter direkter Kontrolle des sowjetischen Staatsapparats mit ausschließlich sowjetischer Beteiligung. Nach einer ersten großen Kundgebung Ende August 1941 in Moskau wurde das Jüdische Antifaschistische Komitee Ende desselben Jahres formal gegründet. Die etwa 70 Mitglieder umfassten einen Querschnitt jüdischer Intellektueller, mit einigen Staats- und Parteifunktionären sowie Militärs, nicht exklusiv, aber vorwiegend jiddischsprachig. Nur wenige Frauen gehörten dem Komitee an. Vorsitzender war der auch international bekannte Schauspieler und Leiter des Staatlichen Jüdischen Theaters, Solomon Michoels. Generalsekretär wurde der jiddische Schriftsteller Schachne Epstein. Ein weiteres prominentes Mitglied war der Dichter Itzchak Fefer, der im Komitee zugleich als Informant des sowjetischen Geheimdienstes wirkte. An den Aktivitäten des Komitees beteiligten sich praktisch alle bedeutenden jiddischsprachigen Intellektuellen. Das Komitee umfasste aber ebenso auf Russisch schreibende jüdische Schriftsteller und Journalisten wie Ilja Ehrenburg, der ab 1941 einer der wichtigsten sowjetischen Kriegskorrespondenten wurde und damit zur Verkörperung des Feindbilds des »jüdischen Bolschewismus« in der Nazipropaganda. Ein weiterer populärer Kriegskorrespondent im Komitee war der später durch seinen Stalingrad-Roman Bekanntheit erlangende Schriftsteller Wassili Grossman. Die direkte politische Kontrolle über das JAK übernahm der ranghöchste Parteifunktionär im Komitee, das ZK-Mitglied Solomon Losowski.

Hatte vor dem Krieg die Marginalisierung des Jiddischen eingesetzt, erfolgte jetzt gewissermaßen eine Rehabilitierung: Zeitungen und Veröffentlichungen erschienen, Radio Moskau sendete wieder auf Jiddisch und richtete sich damit auch an die internationale jüdische Öffentlichkeit, insbesondere in den USA. Im Mittelpunkt stand die Verbreitung von Informationen über das jüdische Schicksal unter der Naziherrschaft. Dies gehörte zu den ersten umfassenderen Berichten über den Holocaust. Da das Komitee international für die Bildung einer gemeinsamen Kampffront wirken sollte, verzichtete die sowjetische Führung auf die frühere politische Konfrontation mit dem Zionismus. In dieser Situation, in der das Schicksal der Sowjetunion auf dem Spiel stand, wirkte dieser Wandel wie direkter Zuspruch zu einem jüdischen Nationalismus, der aber auch mit der Aufwertung eines spezifisch russischen Patriotismus einherging.

Die weltweite Solidaritätskampagne zielte insbesondere auf die USA, wo sich eine Art Parallelkomitee gebildet hatte. Sie wurde vor allem durch die Kommunistische Partei getragen, die damals in der jüdischen Arbeiterschaft über großen Einfluss verfügte, aber auch durch liberale und zionistische Kreise. Auf Anregung von Albert Einstein gegenüber dem sowjetischen Botschafter schickte das JAK im Sommer 1943 seine prominentesten Repräsentanten Michoels und Fefer auf eine Welttournee, auf der sie neben den USA auch Großbritannien, Kanada und Mexiko besuchten. Auf unzähligen Veranstaltungen berichteten sie über die Folgen der deutschen Besatzung sowie über den Kampf der Roten Armee und forderten zur Unterstützung auf. Millionen US-Dollar und umfangreiche Sachspenden kamen zusammen. Selbst in Palästina wurde erfolgreich gesammelt. Diese Reise hatte allerdings einen weiteren politischen Zweck. Inzwischen hatte sich die Nachricht vom Tod Alters und Erlichs verbreitet, zudem kursierten auch erste Informationen über das Schicksal der polnischen Soldaten, die 1939 von der Sowjetunion gefangengenommen worden waren. Diese Nachrichten sollten vom Ruf nach Solidarität übertönt werden. Michoels und Fefers Auftritte und ihre Berichterstattung wirkten weit über die jüdische Bevölkerung in den jeweiligen Ländern hinaus, sodass diese internationale Tour wohl auch eine der erfolgreichsten sowjetischen Propagandaaktionen in der kapitalistischen Welt während des Kriegs gewesen sein dürfte.

Ein eigenständiger Akteur?

Innerhalb der Sowjetunion erschien das JAK nun wie eine offizielle Repräsentation der sowjetischen Juden. Zahlreiche Berichte über die deutsche Vernichtungspolitik gingen dem Komitee zu, ebenso wie Informationen über das Verhalten von Teilen der nichtjüdischen Bevölkerung, die – freiwillig oder unter Zwang – Beihilfe leistete. In den Berichten ging es auch um die Gebiete nach der Befreiung, in denen sich die überlebende jüdische Bevölkerung mühsam ihre Existenzmöglichkeiten gegen antisemitische Stimmungen innerhalb der sowjetischen Bevölkerung erkämpfen musste. Die deutsche Besatzung hatte entsetzliches Leid und Verluste erzeugt, die alle auf verschiedene Weise betrafen. Die durch den Krieg hervorgerufene Not führte schnell zur Suche nach Sündenböcken und zu einem verschärften Verteilungskampf, in dem Gerüchte kursierten, dass in bestimmten Bereichen der Gesellschaft der jüdische Anteil zu hoch sei. Antisemitische Ressentiments wurden zusätzlich dadurch geschürt, dass der Staats- und Parteiapparat die Ideologie des russischen Nationalismus zur politischen Mobilisierung nutzte.

Trotz allem erreichte das Komitee bei Kriegsende den Höhepunkt seines Einflusses. Es schien fast schon in der Lage, eigenständig agieren zu können. Dem kam auch zugute, dass sich die sowjetische Führung über die Richtung der Nachkriegsentwicklung noch nicht ganz sicher war. So begann das Komitee – auch als Ergebnis von Absprachen mit Michoels und Fefer während ihrer Reise –, den Holocaust umfassend zu dokumentieren. In einem »Schwarzbuch« sollten Augenzeugenberichte und Dokumente zusammengetragen werden. Herausgeber wurden Ilja Ehrenburg und Wassili Grossman. Doch die Edition und Drucklegung verzögerten sich und die Veröffentlichung wurde dann im Zuge des Politikwechsels ab 1946/47 verhindert. Eine vollständige russische Fassung konnte erst nach dem Ende der Sowjetunion erscheinen, zunächst noch außerhalb Russlands und dort schließlich 2015.

Die wichtigste Initiative des Komitees nach Kriegsende bestand darin, die alte Idee eines jüdischen Siedlungsgebiets auf der Krim erneut aufzugreifen. Eine entsprechende Eingabe wurde der sowjetischen Führung übergeben. Der Vorschlag war nicht nur Folge von Diskussionen des JAK, sowohl in der Sowjetunion als auch in den USA, sondern war auch in Teilen des Partei- und Staatsapparats erwogen worden. Dies kam einem Eingeständnis gleich, dass von Birobidschan im Fernen Osten keine wirkliche Anziehungskraft ausging. Der Krim-Plan wurde jedoch bald von Stalin als »jüdischer Nationalismus« verworfen und sollte ab 1948 zum Hauptanklagepunkt gegen das Komitee werden.

Dabei war die sowjetische Führung zunächst noch unschlüssig, wie sie auf den Zionismus und die sich abzeichnende Schaffung Israels reagieren sollte. Zum einen hatten sowjetische Vertreter bereits im Krieg entsprechende Kontakte geknüpft. Nach 1945 gab die Sowjetunion sogar verdeckte militärische Unterstützung auf dem Umweg über Waffenlieferungen durch die Tschechoslowakei, was im Krieg um die Gründung des jüdischen Staats 1948/49 wahrscheinlich entscheidend war. Ebenfalls hatte der damalige sowjetische Botschafter Andrej Gromyko in der Uno-Vollversammlung 1947 entschieden für die Annahme des Teilungsplans für Palästina – die Voraussetzung für die Gründung Israels – plädiert. Eine »horizontale Verbindung« der sowjetischen Juden mit Palästina in Form von Kontakten oder gar durch Auswanderung dorthin war allerdings völlig ausgeschlossen.

Immer stärker drehte sich bald der Wind. Jiddische Medien und jüdische Kultur wurden Schritt für Schritt eingeschränkt. Dies lief parallel zur Entwicklung des Kalten Kriegs und der Konfrontation in Europa, während Israel entgegen sowjetischer Erwartung kein Verbündeter im Nahen Osten wurde. So trat an die Stelle der Propaganda für eine internationale jüdische Zusammenarbeit die politisch-ideologische Konfrontation mit »dem Zionismus«, worunter auch alle nicht an der Sowjetunion und dem Stalinismus orientierten Ausdrucksformen jüdischen Lebens zusammengefasst waren.

Zerschlagung des Komitees

Insgeheim liefen die Vorbereitungen für die Zerschlagung des Komitees an. Es kam zu ersten Verhaftungen, Michoels wurde Anfang 1948 vom sowjetischen Geheimdienst umgebracht, getarnt als Unfall. Ein Besuch der späteren israelischen Ministerpräsidentin Golda Meir im September 1948 stieß auf ein unerwartet breites Echo unter der jüdischen Bevölkerung. Sicher nicht zufällig veröffentlichte Ehrenburg als prominentester sowjetischer Jude zeitgleich eine Stellungnahme gegen den Zionismus mit der Botschaft, dass in der Sowjetunion die Unterdrückung der Juden beseitigt und eine Auswanderung nach Palästina also überflüssig sei.

Dann ging es Schlag auf Schlag. Im November 1948 beschloss das Politbüro die Auflösung des Komitees und das Ende all seiner Publikationen. In den folgenden Monaten mussten alle jüdischen Kulturinstitutionen schließen, von Theatern über Museen bis hin zum jiddischen Programm von Radio Moskau. In Birobidschan wurde die Parteiführung abgesetzt und eine Russifizierung eingeleitet. In den Wochen vor und nach dem Jahreswechsel 1948/49 erfolgten die Verhaftungen der führenden Komiteemitglieder. Durch den Einsatz aller Mittel von Folter bis zum gegenseitigen Ausspielen der Verhafteten versuchte man, »Geständnisse« einer umfassenden »jüdisch-nationalistischen Verschwörung« in Zusammenarbeit mit ausländischen Kräften zu erpressen. All das, was sie zuvor im offiziellen Auftrag unternommen hatten, stand nun gegen sie, etwa der Krim-Vorschlag.

Doch mit der Konstruktion einer Anklage ging es nur zäh voran, da immer wieder erpresste Geständnisse widerrufen wurden. So konnte der Prozess schließlich erst nach drei Jahren von Mai bis Juli 1952 und nur im Geheimen stattfinden. In den auf Russisch geführten Verhandlungen wurde den Mitgliedern immer vorgehalten, ihre Verwendung des Jiddischen sei Ausdruck von Nationalismus und Ablehnung der – natürlich überlegenen – russischen Kultur und damit der Assimilation. Der Sekretär des Komitees, Solomon Losowski, antwortete, ob es denn gar um einen Prozess gegen die jiddische Sprache gehe. Bei einer öffentlichen Verhandlung wäre so und mit der Anklage eines »jüdischen Nationalismus« umgehend der Vorwurf des Antisemitismus entstanden. Erst nach 1991 wurde schließlich die Mitschriften zugänglich. Am 18. Juli 1952 wurden 13 der Angeklagten zum Tode verurteilt und am 12. August hingerichtet. Nur eine Beschuldigte, die Medizinerin Lina Stern, erhielt eine Haftstrafe.

Die Folgen

In diesen drei Jahren der Prozessvorbereitung hatte sich parallel dazu in der sowjetischen Führung eine dramatische Krise vorbereitet. Stalin plante eine erneute umfassende »Säuberungswelle«, für die antisemitisch mobilisiert wurde. Anfang 1949 setzte eine landesweite Kampagne gegen »wurzellose Kosmopoliten« ein, eine leicht durchschaubare Chiffre. Die Propaganda nahm in den folgenden Monaten zu und erreichte den Höhepunkt Anfang 1953 mit der Ankündigung, eine Ärzteverschwörung im Kreml-Krankenhaus – viele von ihnen trugen jüdische Namen – sei aufgedeckt.

Es ist unklar, wie weit dieser antisemitische Terror reichen sollte. Gerüchten zufolge, die aber nach 1991 nicht durch Dokumente gestützt werden konnten, war nach dem beabsichtigten Schauprozess gegen die »Mörderärzte« die Deportation der jüdischen Bevölkerung aus dem Westen der UdSSR nach Birobidschan geplant. Doch der Tod Stalins am 5. März 1953 setzte solchen Vorhaben ein Ende. Umgehend wurden alle Vorbereitungen gestoppt, die Angeschuldigten freigelassen, stillschweigend rehabilitiert sowie die verantwortlichen Geheimdienstler selbst verhaftet und vor Gericht gestellt. Die antisemitische Kampagne hatte auch in einer Reihe von Schauprozessen in Osteuropa ein Echo gefunden. Am bekanntesten war der Slánský-Prozess in Prag im November 1952, der gegen den Generalsekretär Rudolf Slánský und 13 führende Mitglieder der Kommunistischen Partei der Tschechoslowakei geführt wurde.

Eine Rehabilitierung der jüdischen Kultur, etwa durch die Wiederherstellung der öffentlichen Rolle für das Jiddische, erfolgte jedoch nicht. Der jiddischen Sprache wurde erst nach 1956 eine Nischenexistenz mit einer Zeitschrift und gelegentlichen Buchveröffentlichungen eingeräumt. Von dem Schlag, den die jüdische Kultur durch die Ereignisse der Jahre zwischen 1948 und 1952 erlitten hatte, sollte sie sich nie wieder erholen. Der Stalinismus hatte seit seiner Entfaltung in der zweiten Hälfte der 1920er Jahre gezeigt, dass er keine Möglichkeit einer eigenständigen säkularen jüdischen Kultur und Nationalität mit dem Jiddischen als Grundlage anbieten wollte. Hatte die Revolution zwar die Beschränkungen durch den Antisemitismus des Zarenreichs beseitigt und damit in ihren ersten Jahren eine gleichberechtigte gesellschaftliche Integration ermöglicht, so waren Schritt für Schritt Willkür und Einschränkungen erfolgt, die auf eine Art repressive Assimilation hinausliefen. Eine Verwirklichung des Versprechens von 1917 – eine sozialistische Alternative zum Zionismus dort, wo die Jüdinnen und Juden Russlands lebten – war das keinesfalls.

Der Artikel ist eine gekürzte Fassung eines Beitrags in der voraussichtlich im September erscheinenden Veröffentlichung der Rosa-Luxemburg-Stiftung »Jüdinnen und Juden in der internationalen Linken, Bd. 2«. Darin findet sich auch ein Beitrag von Gertrud Pickhan über die hier erwähnten Führer des Bundes, Wiktor Alter und Henryk Erlich.

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