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- Energiepreise und Inflation
Ein Deckel auf den Gaspreis
Gewerkschaften und Sozialverbände fordern weitere Entlastungspakete
Ginge es nach der AfD, wäre die Lösung der Energiekrise leicht. Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) müsse die russische Erdgaspipeline Nord Stream 2 einfach in Betrieb gehen lassen, »dann gäbe es preiswertes Gas im Überfluss«, behauptet zumindest AfD-Parteichef Tino Chrupalla – ganz so, als gäbe es den russischen Überfall auf die Ukraine und die daraus resultierenden komplexen politischen, ökonomischen sowie sozialen Folgen nicht. Co-Parteichefin Alice Weidel meint dann auch, es müsse um »die Interessen der deutschen Bürger« gehen.
Von solchen vereinfachten Denkmustern in einer komplizierten Situation hält der Sozialverband Deutschland (SoVD) nichts. »Den Menschen das Gefühl zu vermitteln, dass die Solidarität mit der Ukraine auf Kosten der sozialen Gerechtigkeit in Deutschland stattfinden würde, ist einfach absolut unangemessen«, sagt SoVD-Vizepräsidentin Ursula Engelen-Kefer. Für den SoVD steht fest, dass die Ukraine-Solidarität »zu keinem Zeitpunkt in Frage gestellt werden darf«.
Engelen-Kefer warnt, dass in der Energiekrise einzelne Gruppen in der Bevölkerung gegeneinander ausgespielt werden könnten: »Wir befinden uns als Gesellschaft gerade in einer äußerst schwierigen Lage, die wir nur gemeinsam bewältigen können.« Dazu brauche es konstruktive Lösungsvorschläge aus allen demokratischen Parteien und keine weiteren Schreckensszenarien.
Mit wachsender Sorge beobachtet der SoVD die verstärkt stattfindenden politischen Verteilungskämpfe. »Wenn der Bundeskanzler Solidarität zur Bewältigung der Gas- und Energiekrise einfordert, können wir ihn dabei nur unterstützen. Gleichzeitig muss ihm aber auch klar sein, dass die Bundesregierung selber einen großen Beitrag leisten muss, indem sie bei der Verteilung der Lasten für echte soziale Gerechtigkeit sorgt«, so Engelen-Kefer.
Just an dieser Stelle gibt es allerdings Streit in der Ampel-Koalition. Bundeswirtschaftsminister Christian Lindner (FDP) lehnt eine Übergewinnsteuer kategorisch ab, die laut einer Studie der Rosa-Luxemburg-Stiftung bis zu 100 Milliarden Euro einbringen könnte. Die Summe brächte zusätzlichen finanziellen Spielraum im Bundeshaushalt, der für weitere Entlastungen fehlt, wie sie auch Ökonom*innen für Haushalte mit kleinen und mittleren Einkommen vehement fordern.
Sebastian Dullien, wissenschaftlicher Direktor des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung der Hans-Böckler-Stiftung, kann sich etwa die Auszahlung einer weiteren Energiepauschale und einen Gaspreisdeckel für einen Grundverbrauch pro Haushalt vorstellen. »Der Energiepreisanstieg trifft Menschen bis in die Mitte der Gesellschaft hart«, sagt Dullien. Marcel Fratzscher, Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), spricht sich gegenüber der Deutschen Presseagentur für regelmäßige, finanzielle Entlastungen aus: »Das beste Instrument sind direkte Transferzahlungen wie ein Energiegeld von 100 Euro pro Person und pro Monat für die kommenden 18 Monate.« Wichtig sei, dass ein weiteres Entlastungspaket Menschen mit kleinen und mittleren, aber nicht mit hohen Einkommen berücksichtige.
Ähnliche Vorschläge kommen auch vom Sozialverband VdK. »Was wir jetzt brauchen, ist ein Wärmekontingent von 10 000 Kilowattstunden pro Haushalt zu einem fairen Preis, den jeder bezahlen kann«, fordert VdK-Präsidentin Verena Bentele. Darüber hinaus müsse die finanzielle Unterstützung von Haushalten mit geringem Einkommen grundsätzlich verbessert werden. »Künftig müssen wesentlich mehr Menschen ein reformiertes Wohngeld bekommen, in dem eine Heizkostenpauschale enthalten ist«, so Bentele. Wichtig sei, dass die Hilfen die tatsächlichen Energiekosten berücksichtigten und entsprechend jährlich angepasst würden.
Deutliche Kritik äußerte die Gewerkschaft Verdi an den Plänen von Finanzminister Lindner, mit einer Reform der Einkommenssteuer für finanzielle Entlastungen zu sorgen. Daran herumzuschrauben, sei keine Lösung, um Menschen vor Energiearmut zu schützen, mahnt Verdi-Vorsitzender Frank Werneke. Genauso wie die Sozialverbände fordert die Gewerkschaft einen Gaspreisdeckel für einen haushaltsüblichen Verbrauch. »Die Kosten hierfür müssen auf dem Niveau von 2021 gedeckelt und für die Energieversorger ausgeglichen werden«, so Werneke.
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