Abschiebedrehkreuz mit Grünen am Tisch

Oppositionelle Landtagsabgeordnete enthüllt Beschluss im Koalitionsausschuss

  • Andreas Fritsche
  • Lesedauer: 3 Min.

Der Vorwurf der Landtagsabgeordneten Andrea Johlige (Linke) wiegt schwer. Die Brandenburger Grünen stimmten demnach bereits im November 2021 den Plänen zur Errichtung eines Abschiebedrehkreuzes am Flughafen BER in Schönefeld zu. Der Grundsatzbeschluss sei damals im Koalitionsausschuss mit SPD und CDU gefasst worden »und der Rest ist hübsche grüne Show«. Johlige zitiert zum Beweis aus dem Beschluss: »Am Flughafen BER wird ein Behördenzentrum zur gemeinsamen Aufgabenerfüllung von Land, Bund und Kommunen im Zusammenhang mit der Ein- und Ausreise von Migranten errichtet.« Die Koalition sichere dafür die erforderlichen Gelder zu. Vor dem Abschluss bindender Verträge und vor dem Baubeginn sei ein Kabinettsbeschluss erforderlich.

Der Flüchtlingsrat Brandenburg nennt es »skandalös«, dass innerhalb von 30 Jahren unglaubliche 470 Millionen Euro Miete für das Abschiebedrehkreuz an einen privaten Investor gezahlt werden sollen, statt die Mittel in Teilhabe und Soziales zu stecken. Nach Informationen von »nd« plante die Landesregierung ursprünglich, bereits in der kommenden Woche eine Absichtserklärung mit dem Investor zur Errichtung und Anmietung des Zentrums zu beschließen. Das Innenministerium habe der Linksfraktion aber nun bestätigt, dass es im August dazu nicht mehr kommen werde, sagt Johlige dem »nd«.

Die Grüne Jugend lehnt ein Abschiebezentrum klar ab – und wenn von dem Plan nicht Abstand genommen werde, sehe sie sich gezwungen, »den Fortbestand der Koalition offen in Frage zu stellen«. So hat es Sprecher Tammo Westphal unmissverständlich angekündigt. Der Nachwuchs der Grünen fordert die Mutterpartei auf, ihre Zustimmung zu dem Projekt zu verweigern und auf keinen Fall der Unterzeichnung des Mietvertrags zuzustimmen.

»Klar ist: Mit uns wird es keinen Abschiebeknast geben«, verspricht Grünen-Fraktionschef Benjamin Raschke. Klar ist damit aber noch wenig. Denn am Flughafen BER eine Abschiebehaftanstalt errichten, das wollte der alte Innenminister Karl-Heinz Schröter (SPD). Diese Absicht ist aber längst zu den Akten gelegt. Der neue Innenminister Michael Stübgen (CDU), seit Ende 2019 im Amt, will stattdessen einen beschönigend als Behördenzentrum bezeichneten Komplex errichten lassen, in dem bis zu 64 Personen in Ausreisegewahrsam genommen werden könnten. Weitere 54 könnten im Flughafenasyl festgehalten werden. Raschke präzisiert und dementiert deshalb: Auch eine Zustimmung seiner Grünen zum Investor und zur Finanzierung eines Behördenzentrums habe es noch nicht gegeben. »Vielmehr haben wir in allen bisherigen Gesprächen über ein solches Projekt enge Grenzen gezogen«, sagt er. Diese Äußerungen hält Linke-Politikerin Johlige für einen Verschleierungsversuch. Das hat sie dazu gereizt, öffentlich aus dem Koalitionsbeschluss von November 2021 zu zitieren.

»Die Aufregung um das geplante Behördenzentrum am BER kann keiner nachvollziehen, der sich einmal in Ruhe mit dem Projekt beschäftigt hat«, versucht CDU-Generalsekretär Gordon Hoffmann abzuwiegeln. Mit der Schließung des Flughafens Berlin-Tegel und der Eröffnung des BER im Oktober 2021 hätten sich »ganz neue Realitäten« ergeben. Man sei nun zuständig für den gesamten Flugverkehr in Berlin und Brandenburg und die damit verbundenen Ein- und Ausreisen. »Dass dafür ganz andere Strukturen notwendig sind als vorher am kleineren Flughafen Schönefeld, sollte jedem einleuchten.« In der Regierung bestehe darüber grundsätzlich Einigkeit. Manche Grüne bekämpften das Vorhaben nun offenbar nur deshalb vehement, um sich innerparteilich zu profilieren, mutmaßt Hoffmann.

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
- Anzeige -

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.