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- European Championships 2022
Münchner Dreckstage
Die Schweizer Mountainbikerinnen gehen bei der EM leer aus. Das Wetter und ein Dopingfall belasteten das Team
Der Dreck, der sich über Linda Indergands Rad, Körper und Gesicht verteilt hatte, passte sinnbildlich für den Zustand der Schweizer Mountainbikerinnen. In das EM-Rennen in München am Samstag waren sie nicht nur als Favoritinnen gegangen. Mit gleich sieben Fahrerinnen, darunter mit Jolanda Neff, Sina Frei und eben Indergand alle drei Medaillengewinnerinnen der Olympischen Spiele im vergangenen Sommer, war der Verband Swiss Cycling auf dem Olympiaberg auch in der großen Überzahl. Am Ende aber kam keine Schweizerin aufs Siegerpodest. Sie waren gleich in mehrerer Hinsicht im Schlammbad untergegangen.
»Es war unglaublich hart heute. Die Strecke ist eigentlich megaschnell, aber der Regen hat sie so aufgeweicht, dass das komplette Gegenteil am Ende dabei herauskam. Es war ein reiner Kampf, denn die Anstiege waren zum Teil unfahrbar«, beschrieb Indergand das Rennen, das am Samstag spätestens in der zweiten von sieben Runden bergauf wie bergab zur Rutschpartie verkommen war. Und die Favoritinnen aus dem in diesem Sport dominierenden Land kamen damit nicht klar. Olympiasiegerin Neff wurde als beste Schweizerin Vierte, allerdings völlig chancenlos bei der Titelvergabe. Der ging an die Französin Loana Lecomte, 3:33 Minuten vor Neff.
Der Rückstand wäre wohl noch größer ausgefallen, wäre der klar in Führung liegenden zweiten Französin, Ex-Weltmeisterin Pauline Ferrand-Prévot, nicht die Kette vom Blatt gesprungen. Erst als sie mit dem Wasser aus ihrer Trinkflasche den angetrockneten Schlamm abgespritzt hatte, konnte sie nach gut einer Minute weiterfahren. Da war ihre Teamkollegin aber längst vorbeigezogen.
Ferrand-Prévot blieb immerhin noch Silber. Tränen, wie manche Schweizerin, vergoss sie im Ziel daher nicht. »Ich mag solche Bedingungen, weil ich mich gut darauf anpassen kann. Wir sagen oft, dass unser Sport eine menschliche und eine Material-Komponente hat. Die zweite hat bei mir heute leider nicht funktioniert. Das ist schade, aber am Ende ist es doch auch nur Radsport. Und zum Glück wurde ich ja auch nur von meiner Teamkollegin überholt«, sagte die 30-jährige siebenfache Weltmeisterin im Mountainbike, Cross und auf der Straße.
Mit dieser Vielfältigkeit war die Französin prädestiniert für einen Erfolg im Münchner Matschrennen. Die meisten anderen Starterinnen, darunter eben auch die favorisierten Schweizerinnen, mussten auf dem immer rutschiger werdenden Untergrund dagegen häufig sogar von ihren Rädern absteigen und sie den Berg hinauf oder um enge Kurven schieben. »Da war heute schon viel Wandern dabei. Da denkt man schon mal, dass das doch eigentlich Radfahren sein soll und nicht Radschieben«, erging es der Deutschen Lea Schrievers nicht anders. Sie wurde am Ende 27. mit mehr als zehn Minuten Rückstand auf die neue Europameisterin.
Die deutschen Fahrerinnen waren ohnehin nicht mit Medaillenambitionen ins Rennen gegangen, ganz anders die Schweizerinnen, doch es in ihrer Bilanz bei »nur« einer Bronzemedaille von Filippo Colombo im Männerrennen. Das Wetter jedoch war nicht der einzige Grund, warum das Team diese European Championships wohl möglichst schnell wieder vergessen will. Denn just am Tag vor dem ersten EM-Rennen war die positive A-Probe eines Dopingtests von Mathias Flückiger bekanntgeworden. Der 34-jährige Berner ist Vizeweltmeister und Vizeolympiasieger, und so war die Nachricht nicht weniger als ein Schock für alle Schweizer in München. Die Probe wurde bereits im Juni, also nicht bei der EM genommen. Flückiger reiste bei Bekanntwerden sofort vom Training zurück nach Hause. Wortlos.
Ob er sich bei der gefundenen anabolen Substanz Zeranol wie viele vor ihm bei ähnlichen Mitteln auf den Konsum kontaminierten Fleischs berufen wird, ist demnach noch reine Spekulation, ebenso wie andere Erklärungstheorien, wonach etwa der ewige Zweite zum Ende seiner Karriere endlich doch noch einen großen Titel holen wollte und daher etwas nachhalf, wie in Schweizer Medien schon kommentiert wird. »Wir wissen einfach noch nicht genug und müssen die nächsten Tage abwarten«, sagte Jolanda Neff auf den Fall angesprochen. »Aber es war schon extrem schwer in den letzten Tagen, sich auf das eigene Rennen zu konzentrieren. Natürlich stand das Thema sehr im Fokus, und die Leichtigkeit war sicher nicht mehr da.«
Im Mountainbikesport sind Dopingfälle seltener als bei den Profis auf der Straße. »Natürlich haben wir damit nicht gerechnet«, sagte Neffs Landsfrau Alessandra Keller gegenüber »nd«. Auch sie hatte sich mehr ausgerechnet als EM-Rang sechs und brach später im Zielareal in Tränen aus. Vielleicht war es die Anspannung der vergangenen drei Tage, die sich nun Bahn brach.
Teamkollegin Linda Indergand nahm es stattdessen mit Galgenhumor: »Ich muss mir erst mal den Dreck abwaschen. Ich glaube, ich springe mal schnell in den Olympiasee.« Der Dopingverdacht, der durch Flückigers positive Probe in der Heimat plötzlich über dem gesamten Team hängt, lässt sich wohl nicht so einfach abwaschen.
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