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Keine Erfolgsgeschichte
Griechenland steht nicht mehr unter der verstärkten Kontrolle der EU
Für Griechenland wurde am Samstag ein wichtiges Kapitel abgeschlossen: Nach zwölf Jahren endete die verstärkte Überwachung des Landes durch die EU-Kommission. Griechenland beginne ein »neues Kapitel«, twitterte der Finanzminister des Landes Christos Staikouras Mitte August und schrieb seiner Partei, der konservativen Nea Dimokratia (ND) eine entscheidende Rolle bei der Umsetzung »der umsichtigen wirtschafts- und reformorientierten Politik« zu. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen bedankte sich auf Griechisch, ebenfalls auf Twitter, für die »Entschlossenheit und Stärke des griechischen Volkes«, welches nun, »die EU immer an seiner Seite«, »optimistisch in die Zukunft blicken« könne.
2010 trat Griechenland im Zuge der Schuldenkrise in ein Kreditprogramm ein. Zusammen mit zwei weiteren erhielt das Land von einer internationalen Gläubiger-Troika aus Europäischer Zentralbank, Internationalem Währungsfonds und EU-Kommission Kredite von insgesamt fast 289 Milliarden Euro. Dafür wurden dem Land aber harte Sparmaßnahmen aufgezwungen, wie Renten- und Gehaltskürzungen und die Privatisierung von Staatseigentum. Die Maßnahmen führten zu einer tiefen Rezession, einer manifesten sozialen Krise sowie einer Welle von Armut.
Laut statistischen Angaben von 2020 ist noch jede*r Dritte von Armut bedroht. Auch wanderten Griech*innen massenhaft aus, weshalb die Arbeitslosenquote von etwa 13 Prozent in diesem Jahr im Vergleich zu 28 Prozent im Jahr 2013 nur unter Vorbehalt betrachtet werden kann. Im Anschluss an das dritte Kreditprogramm, das Alexis Tsipras, Ministerpräsident der von 2015 bis 2019 regierenden linken Syriza, im August 2018 abschloss, folgte ein engmaschiges Monitoring der griechischen Wirtschaft durch die EU-Institutionen.
Seit dem Wahlsieg von ND im Juli 2019 versucht die griechische Regierung das Narrativ vom krisengebeutelten, aufrührerischen Land zusehends in eine Aufstiegsgeschichte des folgsamen, fleißigen Partners zu wandeln. Mit dem Ende der verschärften Finanzaufsicht soll es künftig »frei über die eigene Wirtschaftspolitik entscheiden können«, hieß es Mitte August in einem Bericht der staatlichen Nachrichtenagentur ANA-MPA.
Obgleich die Wirtschaft allmählich wächst, steigt auch der Schuldenstand. Galt Griechenland im Jahr 2010 mit Schulden in Höhe von 140 Prozent des Bruttoinlandsprodukts noch als »pleite«, bereitet es sich mit einer Staatsverschuldung von 193 Prozent im vergangenen Jahr auf den Absprung in die Kreditwürdigkeit vor – unter widrigen Umständen: Erst setzte die Corona-Pandemie dem Tourismus überraschend zu, nun belasten der Ukraine-Krieg und der Energieverteilungskampf die Wirtschaft. Dennoch hat die Regierung zum nationalen Ziel erklärt, an den Finanzmärkten mitmischen zu können. 2023 will man wieder eine bessere Bewertung durch die Rating-Agenturen erhalten, dabei ist die Aufnahme neuer Schulden auch für Griechenland offenbar kein Manko mehr.
Für Privatschuldner*innen ist das keine Option. Noch immer ist die Zahl der notleidenden Kredite von Privatpersonen enorm. Tausende Kreditnehmer*innen werden Prognosen zufolge in den kommenden Jahren ihre Wohnung verlieren, auch durch das neue Insolvenzgesetz: Dieses erlaubt den Banken, auf das Wohneigentum der Schuldner*innen zuzugreifen, sofern sie mehr als 30 000 Euro Ausstand haben. Damit hebelte die ND das sozialverträgliche »Katseli-Gesetz« von 2010 aus, das den Schutz des ersten Wohnsitzes bedeutet. Gleichzeitig verabschiedete die griechische Regierung verhältnismäßig viele umstrittene Gesetze während der Lockdowns in der Corona-Pandemie, die dem neoliberalen Kurs der Kreditprogramme folgen: So wurde beispielsweise die Privatisierung des Hochschulwesens vorangetrieben. Auch die Arbeitnehmer*innenrechte werden beschnitten: Einzelverträge und das Verbot von Tarifverhandlungen senken das Lohnniveau und ermöglichen unbezahlte Überstunden. Für den Teil der lohnarbeitenden Bevölkerung, der zur Miete wohnt, stellen die steigenden Mietkosten eine zusätzliche Schwierigkeit dar. In Griechenland sind die Wohnkosten besonders hoch, sie betragen im Verhältnis zum Durchschnittslohn beinahe die Hälfte.
Den Etat für die innere Sicherheit erhöhte die ND letztes Jahr um 30 Prozent. Dem stehen Einsparungen von 572 Millionen Euro im öffentlichen Gesundheitswesen gegenüber. Für Aufruhr sorgte das auf die Wirtschaft ausgerichtete Umweltgesetz, das es erlaubt, auch in Naturschutzgebieten Erdöl, Erdgas und Kohle zu fördern, und den Bau von Windparks erleichtert. Für Windkraftanlagen liegt derweil eine große Zahl von raschen Genehmigungen vor, die regionale Gegebenheiten wie Ökosysteme und die Bevölkerung vor Ort zu übergehen drohen. Der Ausbau der Erneurbaren geht nunmehr Hand in Hand mit den Vorhaben und Konzepten des EU-Wiederaufbaufonds, durch den bis 2027 rund 32 Milliarden Euro ins Land kommen sollen. Somit werden die »Reformbemühungen nach Ende der verstärkten Aufsicht fortgesetzt«, erklärte Finanzminister Staikouras jüngst.
Griechischen Zeitungen wie »Efsyn« und »Nafemporiki« wird die Aufbruchstimmung der Regierung mittlerweile immer suspekter. Sie berichten lieber über eine Analyse der US-amerikanischen Zeitschrift »Politico« zu den anhaltenden Schwächen der griechischen Wirtschaft. Auch nach den Kreditprogrammen basiert diese weiterhin zu großen Teilen auf den Einnahmen aus dem Tourismus. Zudem ist Griechenland dann doch nicht gänzlich aus der Überwachung durch die EU-Institutionen heraus. Diese dauert noch bis 2059 an, bis 75 Prozent der Kredite aus den Kreditprogrammen zurückgezahlt sind, und soll künftig statt viertel- nun halbjährlich erfogen.
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