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Extraprofite für Energiekonzerne
Seit sechs Monaten reagiert die EU auf die Ukraine-Aggression mit umfassenden Sanktionspaketen gegen Russland
Seit der Eskalation des Ukraine-Konflikts im Frühjahr 2022 wurden die wegen der Annexion der Krim und der Konflikte in der Ostukraine bestehenden Sanktionen der EU gegen Russland quantitativ und qualitativ massiv erweitert. Sie umfassen nun Exportverbote für Rüstungsgüter, Technologien für strategische Branchen wie die Gas- und Erdölförderung, umfassende Importstopps bei weiteren Rohstoffen und Produkten sowie den weitgehenden Ausschluss Russlands von dem durch die Sanktionsmächte beherrschten Teil der Finanzmärkte. Hinzu kommt der Ausschluss einer Reihe von russischen Banken aus dem Swift-System. Beispiellos ist die Sanktionierung der russischen Zentralbank und die faktische Beschlagnahmung ihrer Devisenreserven. Das Bestreben, Russland weltwirtschaftlich und politisch zu isolieren, verbindet sich mit der Absicht, die Politik von Nato und EU geopolitisch zu vereinheitlichen.
Nicht nur in Deutschland wächst jedoch mittlerweile die Sorge, dass die Sanktionen der eigenen Wirtschaft mehr schaden als der russischen. So schreiben Handwerker aus Sachsen-Anhalt an den Kanzler über ihre »Sorgen um den Fortbestand unserer Betriebe«. Doch weder Olaf Scholz noch der Bundestag können die Strafmaßnahmen aufheben. Hier zeigt sich ein bemerkenswertes Demokratieproblem, das bislang kaum Beachtung gefunden hat. Die Handelspolitik – und damit auch die Sanktionsbefugnis – fällt in die exekutive Zuständigkeit der EU. Erst mit den sechs Sanktionspaketen gegen Russland ist klar geworden, welch weitreichende Eingriffe in Kernbereiche der Wirtschaft der Mitgliedsstaaten dies ermöglicht.
Besondere Rücksichten auf Betriebe, Regionen oder die Bevölkerung der EU selbst sind in der Sanktionsrichtlinie des Europäischen Rates nicht vorgesehen. Wenn ihre Wirkung überprüft wird, geht es allein um »die Effizienz der (…) restriktiven Maßnahmen im Hinblick auf die festgelegten Ziele«. Die Befassung mit sanktionsbedingten Schäden für die eigene Seite wird vermieden, denn dies könnte für ihre Urheber rechtlich fatal werden. Die Richtlinie empfiehlt hingegen eine »aktive Kommunikation« gegenüber dem »Zielland und dessen Bevölkerung«. Entsprechend teilte EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen dem Zielland mit, man wolle dort die »Inflation erhöhen« und Russlands »industrielle Basis erodieren«. Die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) forderte, Russland »zu ruinieren«. Frankreichs Finanzminister Bruno Le Maire rief den »vollständigen wirtschaftlichen und finanziellen Krieg gegen Russland« aus und bescheinigte den Sanktionen eine »unbestreitbare Effizienz.« Ihre Funktion verdeutlichte auch US-Präsident Joe Biden in seiner Rede in Warschau am 26. März: Die Wirkung der Sanktionen, Schaden zuzufügen, komme der Anwendung militärischer Macht gleich, so Biden. Dies sei die neue »wirtschaftliche Staatskunst«.
Aufgrund der ökonomischen Verflechtungen mit Russland müssen nun die Bürger in der EU die Hauptlast eines Wirtschaftskrieges tragen, der sein vorgebliches Ziel, Russlands Aggression in der Ukraine zu beenden, verfehlt. Spürbaren Einfluss auf die Fähigkeiten der russischen Streitkräfte hat er nicht, eine Friedenslösung bringt er nicht näher. Effizient sind die Sanktionen hingegen in Bezug auf die immensen Extraprofite der Energiekonzerne, darunter auch der russischen. Es war von Anfang an absehbar, dass die verordnete Einstellung von Kohle-, Erdöl- und anderen Rohstoffimporten und die Option eines Erdgasembargos zu einem gewaltigen Inflationsschub führt – für die vage Aussicht, mittelfristig Russlands Ruin erleben zu dürfen. Mit den Sanktionen ist der Wunschzettel des früheren US-Präsidenten Donald Trump abgearbeitet: Der deutsche Wettbewerbsvorteil durch russische Energie- und Rohstofflieferungen ist passé, ebenso der Außenhandelsüberschuss. Der Dollar steigt, der Euro sinkt und Deutschland pumpt zusätzlich 100 Milliarden in die Rüstung.
Ein Ende der Wirtschafts- und Energiesanktionen ist nicht in Sicht. Sie führen zum Umbau des Wirtschaftsmodells für eine neue Runde der globalen Konkurrenz. »Wohlstandsverluste« werden dafür in Kauf genommen.
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