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- Tod eines Asylbewerbers
Minister Reul schweigt zu Polizeigewalt
Landtag in Nordrhein-Westfalen soll zur Aufklärung des Todes eines jungen Senegalesen beitragen
Der Polizeieinsatz in Dortmund von Anfang August, der mit dem Tod des 16 Jahre alten senegalesischen Flüchtlings Mouhamed Lamine Dramé endete, beschäftigt nun auch den nordrhein-westfälischen Landtag. Der Hauptausschuss des Landesparlaments hatte sich in einer Sondersitzung am Dienstagnachmittag erstmals mit dem Thema befasst. Neue Details zu dem tödlichen Einsatz, an dem elf Dortmunder Beamte beteiligt gewesen waren, verkündete der zuständige NRW-Innenminister Herbert Reul jedoch nicht. Deshalb warf der Sozialdemokrat Sven Wolf dem CDU-Politiker Zögerlichkeit vor. »Sie müssen mit mehr Hochdruck auf solche Fälle eingehen«, forderte er. Reul versprach erwartungsgemäß eine »lückenlose Aufklärung«.
Das Vorgehen der Dortmunder Polizei, die Mouhamed mit fünf Schüssen aus einer Maschinenpistole tötete, nachdem dieser sie offenbar vor einer Jugendhilfeeinrichtung in der Dortmunder Nordstadt mit einem Messer angreifen wollte, wurde auch in Teilen der Zivilgesellschaft heftig kritisiert. Wieso es elf Beamten nicht gelungen war, mit Pfefferspray und Schüssen aus zwei Elektroschockgeräten einen Jugendlichen kampfunfähig zu machen, war nur eine der Fragen, denen sich auch Reul stellen musste. »Wissen alle Polizeibeamten um mögliche verschiedene Wirkungen der Elektroschockgeräte?«, fragte etwa Elisabeth Müller-Witt von der SPD.
Hinzu kam, dass die an den Westen der Beamten befestigten Bodycams den Einsatz merkwürdigerweise nicht gefilmt hatten. »Wir wollen wissen, ob die Bodycams der Polizei Akkuprobleme aufweisen und deshalb auch schon in Dortmund nicht einsatzfähig waren«, hieß es vonseiten der SPD-Fraktion. Grundsätzlich wollte sie zudem erfahren, ob die Polizeibeamten in NRW ausreichend ausgebildet seien, um auf eine Lage wie in Dortmund reagieren zu können. Die Polizei hatte von einer psychischen Auffälligkeit Mouhameds gesprochen. Dem widersprachen sein Vater im Senegal und der Leiter der Dortmunder Jugendhilfe. Fest steht allerdings: Der Junge war bis einen Tag vor seinem Tod kurzzeitig in einer Psychiatrie in Dortmund.
Der Einsatz der Maschinenpistole, die laut Innenministerium zur Standardausrüstung der Polizei gehört, war ebenfalls Gegenstand der Sondersitzung. Wurden aus ihr nur einzelne Schüsse abgefeuert, was erlaubt ist oder verbotenerweise sogenannte Feuerstöße? Reul versprach Aufklärung, wollte jedoch wegen der »laufenden Ermittlungen« die Fragen nicht konkreter beantworten. Die SPD kritisierte vor allem, dass der Innenminister sich die genannten Fragen bereits hätte selber stellen können, um eine aktive Rolle bei der Aufarbeitung zu übernehmen.
Derweil sehen die Grünen, die in NRW mit der CDU koalieren, nicht nur wegen des Einsatzes in Dortmund einen Vertrauensverlust gegenüber der Polizei. Und das besonders in »migrantischen Communities und bei schwarzen Deutschen«. Das müsse man ernst nehmen und dafür sorgen, dass das Vertrauen in die Polizei wieder gestärkt werde. Der Rassismusforscher Karim Fereidooni von der Universität Bochum hatte kürzlich in der »Westdeutschen Allgemeinen Zeitung« auf strukturellen Rassismus in der täglichen Polizeiarbeit hingewiesen. Bei der Polizei des Landes waren auch Chatgruppen mit rechtsextremen Inhalten publik geworden.
Dortmunds Polizeipräsident Gregor Lange stellte für seine Behörde jedoch fest, dass »die Dortmunder Polizei für Vielfalt, Toleranz und Demokratie steht«. Reul betonte am Dienstag, dass er der Arbeit von Polizei und Justiz vertraue. Aus Gründen der Neutralität hat die benachbarte Polizeibehörde in Recklinghausen die weiteren Ermittlungen übernommen. Sollten sich aber im Verlauf der Ermittlungen Zweifel an dem Kontrollsystem der Polizeibehörden ergeben, dann müsse man die Frage stellen, ob man es verbessern könne, räumte Reul ein. Auch etwaige Konsequenzen für die eingesetzten Beamten schloss er nicht aus: »Wenn Polizisten Fehler gemacht haben sollten, dann werden sie dafür selbstverständlich auch die strafrechtlichen oder disziplinarrechtlichen Konsequenzen tragen müssen.«
Mouhamed hat derweil seine letzte Ruhe gefunden. Am Freitag ist er in seiner Heimat bestattet worden. Die Kosten für die Überführung hat die Stadt Dortmund übernommen. Aber der junge Senegalese, der in Deutschland ein würdevolleres Leben als in seiner armen Heimat führen wollte, wird die Ruhrgebietsstadt nie ganz verlassen. Seit Kurzem erinnert in Innenstadtnähe ein Graffito mit seinem Gesicht an ihn.
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