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Lockdown nein, Maskenpflicht vielleicht
Die neuen Corona-Schutz-Regeln für Herbst und Winter bleiben weitgehend Ländersache
Die Zeiten, als man die tagesaktuelle Zahl von Coronaneuinfektionen noch wusste, sind für viele lange vorbei. Fraglich ist ohnehin, wie aussagekräftig sie noch sind. Das Dunkelfeld der Infizierten, deren Infektion nicht gemeldet wird, ist hoch. Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) rechnet damit, dass ab Oktober weitere »Schwierigkeiten«, sprich: eine angespanntere Infektionslage, auf die Bevölkerung zukommen werden. Das Kabinett hat am Mittwoch neue Regeln für das Infektionsschutzgesetz beschlossen. Darin ist eine bundesweite FFP2-Maskenpflicht in Flugzeugen und Fernzügen vorgesehen. Nur Kinder zwischen 6 und 14 Jahren sowie Personal sollen auch medizinische Masken tragen dürfen. Außerdem sollen strengere Regeln in Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen gelten. Für diese Bereiche sind eine FFP2-Maskenpflicht sowie eine Testpflicht vorgesehen. Neu ist die Regelung, dass Pflegeheime künftig Beauftragte für Testen, Impfen und Hygiene benennen müssen – diese bekommen dafür dann 750 Euro im Monat zusätzlich ausbezahlt.
Im Fall hoher Ansteckungszahlen bekommen die Länder die Möglichkeit, in begrenztem Rahmen weitergehende Maßnahmen zu beschließen. Darüber, wann diese Grenze erreicht ist, entscheiden die Landesparlamente. Mögliche striktere Maßnahmen sind auf einer ersten Stufe Maskenpflichten in Bussen und Bahnen im Nahverkehr sowie in öffentlich zugänglichen Innenräumen. Eine zwingende Ausnahme von einer Maskenpflicht soll es geben, wenn man beim Besuch von Kultur-, Freizeit- oder Sportveranstaltungen und in der Gastronomie einen negativen Test vorzeigt. Erlaubt werden können zudem Ausnahmen von der Maskenpflicht mit Nachweisen als vollständig geimpft und genesen. Damit sollen wohl auch Anreize zum Impfen gesetzt werden. Eine Rückkehr zu kostenlosen Tests für Bürger*innen schloss Lauterbach zunächst aus.
In Gefahrenlagen können die Länder per Parlamentsbeschluss in einer zweiten Stufe zusätzliche, härtere Maßnahmen vorschreiben, wenn sie eine konkrete Gefahr für die Funktionsfähigkeit des Gesundheitswesens oder der sonstigen kritischen Infrastruktur sehen. Eine Gefahrenlage sei verwaltungspraktisch klar definiert, sagte Buschmann. In dem Fall könne eine Maskenpflicht auch in Außenbereichen angeordnet werden, wenn dort ein Mindestabstand von 1,5 Meter nicht eingehalten werden kann. Dann entfallen auch die Ausnahmen für Geimpfte, Genesene und Getestete.
Bundeseinheitliche klare Vorgaben gibt es also so gut wie keine. Klar ist vor allem, was nicht kommen soll: »Lockdowns, Kontaktbeschränkungen, pauschale Schulschließungen und staatliche 3G-Zugangsregeln wird es nicht geben«, sagte Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP). Er lobte das gemeinsam mit Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach erarbeitete Papier als »Paket maßvoller Regelungen« und »hochflexibles Instrument«. Auch Lauterbach zeigte sich sicher, mit diesem Instrumentarium die absehbare Corona-Welle im Herbst bewältigen zu können. »Maskenpflicht, Impfungen und Obergrenzen im Innenraum könnten der Lage angepasst eingesetzt werden«, so der Gesundheitsminister. Ziel der neuen Regeln sei es, hohe Todeszahlen, viele Arbeitsausfälle und schwere Langzeitfolgen zu vermeiden. Er kündigte außerdem eine Aufklärungskampagne zu Longcovid an.
Der rechtspolitische Sprecher der Union im Bundestag, Volker Ullrich (CSU), kritisierte die Vorlage am Mittwoch als »nicht zustimmungsfähig«. Ullrich bemängelte fehlende Klarheit in der Frage, »ab wann Länder strengere Regeln aufstellen dürfen«. Anlass zur Diskussion gab neben der fehlenden Einheitlichkeit am Mittwoch auch die Tatsache, dass Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD), Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) sowie Medienvertreter*innen in einem Flug der Luftwaffe ohne Maske nach Kanada gereist waren. FDP-Fraktionschef Christian Dürr hatte daraufhin angekündigt, die Maskenpflicht auch in anderen Flugzeugen auf den Prüfstand stellen zu wollen. Buschmann kritisierte seine Kabinettskollegen am Mittwoch. Er empfehle der Bundesregierung, »dass wir überall die gleichen Regeln anwenden, die auch sonst gelten«, sagte der Bundesjustizminister. »Sonst entsteht das Gefühl, dass man bereit ist, den Bürgerinnen und Bürgern etwas zuzumuten, das man sich selbst nicht zumuten möchte«.
Die neuen Corona-Maßnahmen sollen vom 1. Oktober 2022 bis zum 7. April 2023 gelten. Das Bundeskabinett beschloss die Neuregelung als sogenannte Formulierungshilfe für den Bundestag. Auf deren Grundlage sollen nun die Koalitionsfraktionen im Bundestag einen Gesetzentwurf erarbeiten und beschließen. Dieses Verfahren wird oft angewendet, wenn die Gesetzgebung schnell gehen soll. Nach einer Anhörung im Parlament soll der Bundestag die Neuregelung in der ersten Septemberwoche beschließen, am 16. September dann der Bundesrat. Die Gremien stehen unter Zeitdruck, weil die bislang geltenden Regelungen am 22. September auslaufen. Mit Agenturen
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