Es bleibt beim Einzeltäter

Bundesgerichtshof lehnt Revision im Mordfall Walter Lübcke ab. Viele Fragen sind weiterhin offen

  • Joachim F. Tornau
  • Lesedauer: 4 Min.

»Sehr schmerzhaft und nur sehr schwer zu verkraften.« Mit diesen Worten fasste Dirk Metz, Sprecher der Familie von Walter Lübcke, am Donnerstag in Karlsruhe zusammen, was die gerade verkündete Entscheidung des Bundesgerichtshofs (BGH) für die Angehörigen des ermordeten Kasseler Regierungspräsidenten bedeutet. »Es ist sehr bitter, dass jetzt viele Dinge offen bleiben und die Familie sehen muss, wie sie damit umgeht.«

Die immer wieder geäußerte Hoffnung der Familie, in einem neuen Strafprozess der Wahrheit über den Tod Walter Lübckes näherzukommen, ist mit dem BGH-Entscheid dahin. In vollem Umfang bestätigte der 2. Strafsenat, was das Oberlandesgericht (OLG) in Frankfurt am Main vor gut anderthalb Jahren geurteilt hatte: Dass der Kasseler Neonazi Stephan Ernst allein gehandelt habe, als er den CDU-Politiker am 1. Juni 2019 auf dessen privater Terrasse erschoss. Und dass seinem der Beihilfe angeklagten Gesinnungsgenossen Markus H. nicht mehr als der illegale Besitz eines Waffenteils nachgewiesen werden könne.

»Alle Rechtsmittel bleiben ohne Erfolg«, sagte Senatsvorsitzender Jürgen Schäfer und bescheinigte dem OLG eine »fehlerfreie Beweiswürdigung«. Zur Erklärung machte er noch einmal deutlich, wie hoch die Messlatte bei Revisionsanträgen hängt: Solange die Schlussfolgerungen, zu denen ein Gericht am Ende eines Prozesses komme, nicht eklatant widersprüchlich seien, müsse man sie hinnehmen – »auch wenn eine andere Beweiswürdigung möglich oder sogar naheliegend wäre«.

Der Lübcke-Mörder, dessen Verurteilung zu lebenslanger Haft mit anschließend drohender Sicherungsverwahrung jetzt ebenso rechtskräftig ist wie die anderthalbjährige Bewährungsstrafe für Markus H., hatte seine Darstellung des Tatablaufs immer wieder verändert und dabei auch seinen Mitangeklagten zunehmend belastet. Das OLG folgte in seinem Urteil dann im Wesentlichen dem allerersten Geständnis kurz nach der Tat – ohne allerdings zu glauben, was Ernst bereits damals über die Unterstützung durch Markus H. gesagt hatte. Dafür wären zusätzliche Beweise nötig, befand das Frankfurter Gericht.

Was die Bundesanwaltschaft und die Anwälte der Familie Lübcke als »rechtsfehlerhafte Verengung des Blicks« anprangerten, erklärte der BGH für unproblematisch. Schließlich habe das OLG auch Ernst ohne weitere Beweise nur das geglaubt, was er über seine »Innenwelt« gesagt habe, also über seine rechtsextreme Tatmotivation, seinen Hass auf den angeblich zu flüchtlingsfreundlichen CDU-Politiker.

»Es ist verständlich, dass die Nebenkläger eine noch genauere Aufklärung des Tatablaufs wünschen«, sagte Senatsvorsitzender Schäfer. Doch dass das nicht gelungen sei, habe allein an der dünnen Beweislage gelegen, nicht an einem Unwillen des Oberlandesgerichts. Das gilt nach Ansicht des BGH genauso für den zweiten Tatvorwurf gegen Stephan Ernst: den Mordversuch an dem irakischen Geflüchteten Ahmed I., der im Januar 2016 von einem Fahrradfahrer hinterrücks niedergestochen worden war.

Bei Ernst wurde später ein Messer mit DNA-Spuren gefunden, die zu dem Opfer passen. Doch der einschlägig vorbestrafte Neonazi konnte mit einer Quittung nachweisen, dass er ein solches Messer erst rund drei Wochen nach der Tat erworben hatte. Ob es wirklich dasselbe Messer war oder ob es sich um einen »Legendierungskauf« gehandelt haben könnte, wie Bundesanwaltschaft und Nebenklage geltend machten, war im Frankfurter Prozess nur oberflächlich erörtert worden. Dennoch erhob der BGH gegen den ergangenen Freispruch keine Einwände.

Rechtsanwalt Alexander Hoffmann, der Ahmed I. vertritt, reagierte mit deutlichen Worten: »Die nun getroffene Entscheidung dient erkennbar dazu, schnellstmöglich einen Schlussstrich zu ziehen und weitere Zweifel an den Ermittlungen und dem Handeln des Verfassungsschutzes im Fall Stephan Ernst zu unterbinden«, sagte Hoffmann und sprach von einem »tief verwurzelten gesellschaftlichen Rassismus«.

»Der Mord an Walter Lübcke war nicht die Tat eines Einzelnen«, twitterte die Linke-Bundestagsabgeordnete Martina Renner. »Es bleibt eine Leerstelle, dass die Mitwirkung weiterer Neonazis und die Tat an Ahmed I. ungesühnt bleiben.« Torsten Felstehausen, innenpolitischer Sprecher der Linken im Hessischen Landtag, nannte es »bitter«, dass die Rolle von Markus H. nun nicht erneut vor Gericht beleuchtet werden könne: »Dies wäre nötig gewesen, um dessen Einbindung in die rechte Szene, Waffenhandelsnetzwerke und dessen Beitrag zum Mord an Walter Lübcke beurteilen zu können.«

Die Grünen im Hessischen Landtag zeigten sich hingegen »erleichtert«, dass der Bundesgerichtshof die Verurteilung von Ernst bestätigte. Und sie verwiesen auf einen Effekt des Urteils: Weil sie jetzt rechtskräftig verurteilt sind, haben Stephan Ernst und Markus H. kein Aussageverweigerungsrecht mehr, wenn sie bald im Untersuchungsausschuss des Hessischen Landtags als Zeugen auftreten müssen. Die beiden Angeklagten hatten ebenfalls Revision eingelegt. Ernst wollte eine Verurteilung wegen Totschlags statt wegen Mordes erreichen, H. wendete sich gegen seine Verurteilung wegen eines Waffendelikts.

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