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Asteroidendämmerung
Flug zum Metall-Asteroiden Psyche wird vertagt, dafür findet man neue Objekte in Sonnennähe
Sie sind keine Planeten, werden aber manchmal durchaus als »Kleinplanet« bezeichnet. Und auch wenn sie keine Sterne sind, schlug sich ihr »sternähnliches« Leuchten im antiken Griechenland im Namen nieder: Asteroiden (altgr. asteroeides, sternähnlich) sind astronomische Objekte, die sich auf keplerschen Umlaufbahnen um die Sonne bewegen und von der Größe zwischen Meteoroiden und Zwergplaneten liegen.
Der Großteil der heute bekannten Asteroiden zieht seine Bahnen zwischen Mars und Jupiter, im sogenannten Asteroidengürtel. Schätzungen gehen von bis zu zwei Millionen Asteroiden mit Durchmessern größer als einen Kilometer aus, hinzu kommen Millionen von kleineren Objekten. Trotz der großen Anzahl wird die Gesamtmasse des Hauptgürtels nur auf rund fünf Prozent der Masse des Erdmondes geschätzt – das Gürtelgetümmel hält sich somit sehr in Grenzen. Lange hatte man befürchtet, dass der Asteroidengürtel einen Weiterflug zu Zielen jenseits des Mars unmöglich machen könnte. Erst die Nasa-Raumsonde »Pioneer 10« schuf 1973 Klarheit, indem sie als erstes von Menschen herstelltes Objekt nicht nur den Asteroidengürtel erreichte, sondern ihn auch völlig unbehelligt durchquerte: Die größte Annäherung an einen registrierten Asteroiden (307 Nike) betrug knapp neun Millionen Kilometer, und einem Weiterflug stand somit (bis heute, auch wenn 2003 der Funkkontakt abbrach) nichts im Wege.
Nun braucht es für die Suche nach kleinen, nicht selbstleuchtenden Himmelskörpern, viele auch noch mit dunkler Oberfläche, schon einiges an Optimismus. Doch nachdem der Astronom Johann Titius (1729–1796) im Jahre 1766 eine Formel aufstellte, nach der die Sonnenabstände der Planeten einer einfachen mathematischen Folge entsprechen sollten, setzte eine Jagd nach dem Lückenfüller ein. Denn nach der Titiusschen Formel hätte zwischen Mars und Jupiter doch ein weiterer – bis dahin unentdeckter – Planet kreisen müssen. Selbst die Polizei, genauer die »Himmelspolizey« (im Jahr 1800 als erstes internationales Forschungsvorhaben ins Leben gerufen), suchte nach einem weiteren planetaren Mitfahrer. Doch statt eines vermuteten Planeten fand man erst einmal vier kleinere Objekte (Ceres, Pallas, Juno und Vesta), die sich, damals ziemlich überraschend, die unbesetzte Planetenbahn teilten. Rund 100 Jahre später waren dann schon mehr als 300 Objekte bekannt und seitdem wird der Gürtel jedes Jahr um eine gewaltige Anzahl an weiteren Asteroiden-Schmuckstückchen ergänzt.
Mit den heutigen Teleskopen und astrofotografischen Aufnahmen von sehr lichtschwachen Objekten ist die Asteroidensuche tatsächlich um einiges einfacher geworden – wenn man denn in Richtung äußeres Sonnensystem blickt und damit Körper sucht, die vor einem dunklen Hintergrund von der Sonne beleuchtet werden. Wer dagegen die Herausforderung sucht, wird beim »A-Team« fündig (oder eben auch nicht, doch dazu später mehr). Die Asteroiden der Typen »Apollo«, »Aten« und »Atira« (von außen nach innen) bewegen sich (teilweise) innerhalb der Erdbahn und sind damit vor dem gleißend hellen Sonnenlicht von unserem irdischen Beobachtungspunkt aus kaum zu entdecken. Höchstens in der Morgen- und Abenddämmerung besteht die Chance, einen der sonnennahen Asteroiden zu beobachten. Zusammen mit den Amor-Asteroiden, deren Bahnen gerade noch jenseits der Erdbahn liegen, zählen sie zu den sogenannten »erdnahen Objekten« (oft auch nach der englischen Bezeichnung »near-earth object« als NEO bezeichnet).
Aus astrophysikalischen Untersuchungen weiß man, dass sich die Asteroiden auf dynamisch instabilen Bahnen bewegen, die nur in der Größenordnung von rund zehn Millionen Jahren stabil bleiben. Da die Anzahl der NEOs jedoch über die letzten Milliarden Jahre weitgehend gleich blieb (wie man etwa aus der Analyse von Einschlagkratern auf Planeten und Monden schließen kann), muss es ein Reservoir geben, das die NEO-Bahnen immer wieder auffüllt. Beobachtungen haben nun gezeigt, dass sich die Hauptgürtelasteroiden und NEOs physikalisch recht ähnlich sind, sodass man davon ausgeht, dass letztere von ihrer Gürtelbahn zu irgendeinem Zeitpunkt auf sonnennahe Wege gewandert sind. Eine Ursache der Asteroidenwanderung könnte dabei im Jarkowski-Effekt liegen: Demnach wird ein Asteroid durch die Sonne unterschiedlich stark erwärmt. Die sonnenzugewandte Seite ist heißer als die Schattenseite, hinzu kommen Effekte durch Rotation und Oberflächenbeschaffenheit des Körpers. Der solcherart ungleichmäßig gegrillte Asteroid strahlt nun von verschiedenen Seiten unterschiedlich stark Wärme ab, was zu einem ganz leicht ungleichmäßigen Strahlungsdruck führt und damit eine (wenn auch wirklich kleine) Kraft auf den Körper ausübt. Besonders kleine Asteroiden können so eine merkliche Ablenkung erfahren und aus ihrer Bahn trudeln.
Die Wanderung vom Hauptgürtel, an Mars und Erde vorbei, trifft allerdings einige Hindernisse. So haben physikalische Simulationen ergeben, dass Atiras nur rund 1,2 Prozent der gesamten NEO-Population ausmachen. Und was machen die ambitioniertesten unter ihnen? Die könnten sich, zum Beispiel auch durch zufällige Bewegungsmuster, tatsächlich noch weiter nach innen bewegen und so als »Vatiras« enden, jene Asteroiden, deren Bahnen gänzlich innerhalb der Venusbahn liegen. Mit »594913 Ayló’chaxnim« (oder auch 2020AV2) ist es im Jahr 2020 erstmals gelungen, einen solchen Vatira zu beobachten. Im Rahmen der Himmelsdurchmusterung mit der »Zwicky Transient Facility« konnte das Objekt von rund einem Kilometer Durchmesser in der Dämmerung aufgenommen werden. Da Objekte in extrem kleinem Beobachtungsabstand zur Sonne nur eine sehr kurze Zeit beobachtet werden können, war die Kamera der Palomar-Sternwarte in Kalifornien besonders geeignet, da sie auf kurzzeitige Himmelsereignisse (wie z.B. das schnelle Aufleuchten einer Supernovae oder eines Gammablitzes) spezialisiert ist.
Bisher ist 2020AV2 ein sonnennahes Vatiras-Unikum, doch ein anderer Asteroid kann dennoch auftrumpfen: 2021PH27 gehört zwar zu den Atiras, da seine Bahn die Venusbahn kreuzt und damit nicht gänzlich innerhalb ihrer Umlaufbahn liegt, doch kommt er der Sonne auf seiner Ellipsenbahn so nahe wie kein anderer bekannter Asteroid. Beobachtungen am Cerro Tololo Inter-American Observatorium »blitzten« den vermutlich mehr als einen Kilometer großen Raser im August 2021: am sonnennächsten Punkt bringt PH27 es auf 106 km/s, er braucht lediglich 114 Tage für eine Sonnenumrundung.
Und geht da noch mehr? Da wird es dann hypothetisch, mit einem ganz eng geschnallten Asteroidengürtel innerhalb der Merkurbahn. Die »Vulkanoiden« genannten Objekte könnten Überlegungen nach etwa für das heftige Bombardement des Merkur mit kleineren Körpern verantwortlich sein; auch wurden mittlerweile bereits Exoplaneten gefunden, die in solch extrem engen Bahnen um ihren Zentralstern kreisen. Doch trotz mehrerer Suchprogramme konnten bisher keine Vulkanoiden entdeckt werden – und die »Vatiras« halten vorerst noch den sonnennahen Asteroidenrekord.
NEOs sind allerdings nicht nur vom astrophysikalischen Standpunkt aus von großem Interesse: Asteroiden des Apollo-Typs kreuzen regelmäßig die Erdbahn, und auch andere NEO-Typen könnten prinzipiell durch physikalische Effekte ihre ursprüngliche Bahn verlassen und die Erdbahn kreuzen – was dann durchaus ungemütlich für die Erde werden könnte. Mit Programmen wie LINEAR (Lincoln Near Earth Asteroid Research), NEAT (Near Earth Asteroid Tracking) oder Spacewatch werden seit dem Einschlag des Kometen Shoemaker-Levy 9 im Jahr 1994 auf dem Jupiter erdnahe Objekte und Erdbahnkreuzer mit Durchmessern von mehr als einem Kilometer katalogisiert. In erweiterten Programmen sollen Asteroiden ab 140 Metern erfasst werden – Himmelsbrocken, die bei einem direkten Treffer immerhin eine ganze Stadt der Größe Washingtons zerstören könnten. Und mit der Mission »NEO Surveyor« – geplanter Start ist 2026 – soll ein weiterer kosmischer »Toter Winkel« überwacht werden, damit Überraschungsgäste wie »2021 UA1« früher erkannt werden. Der konnte, aus Richtung der Sonne kommend, erst vier Stunden vor dem erdnächsten Punkt über der Antarktis beobachtet werden. Glücklicherweise hatte der Asteroid nur zwei Meter Durchmesser und flog in 3000 Kilometern Entfernung haarscharf an der Erde vorbei.
Erdnahe Objekte, welche sich der Erde auf weniger als ein Zwanzigstel des mittleren Abstands zwischen Erde und Sonne nähern und größer als 140 Meter sind, bekommen sogar noch ein Namens-Upgrade: sie werden vom »erdnahen Objekt« zum »potenziell gefährlichen Asteroiden«, immerhin rund acht Prozent der bekannten NEOs.
Doch wenn ein großer kosmischer Klotz der Erde richtig nahe kommt, bekommen manche durchaus einen kosmischen Edelmetallrausch. Denn einige davon sind vollgepackt mit seltenen Erden und anderen wertvollen Elementen. War schon die Reise über den Atlantik oder durch den Wilden Westen zum kalifornischen Goldrausch nicht immer gesundheitsfördernd, so ist der Flug zu einem atmosphärenlosen Asteroiden auch nicht ohne. Und dann sind da ja auch noch die Weltraumverträge von 1967, die es Staaten zwar erlauben, den Weltraum zu nutzen – doch besteht eigentlich ein »Aneignungsverbot«, was Weltraumbergbau-Alleingänge erst einmal unterbindet. Die USA und Luxemburg haben sich dazu 2015 zwar ein Hintertürchen ausgedacht, aber bis zur ersten Asteroiden-Mine wird es wohl trotzdem noch eine Weile dauern. Bis dahin ist aber auch so noch genug zu erforschen: Mit NEAR Shoemaker, OSIRIS-Rex oder Hayabusa haben Wissenschaftler zumindest schon mal das »Einparken« auf einem Asteroiden sehr erfolgreich gemeistert. Den eigentlich für diesen August geplanten Flug einer Sonde zum Metall-Asteroiden Psyche musste die Nasa allerdings wegen pandemiebedingten Verzögerungen beim Bau und beim Test der Software mindestens um ein Jahr verschieben.
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