Börsenspekulation treibt Energiepreise

Rekorde bei Gas und Strom

An den europäischen Energiebörsen spielen die Preise verrückt. Gas und Strom sind dort so teuer geworden wie noch nie. Begründet werden die Preissteigerungen zwar mit dem Ukrainekrieg und dem – möglichen – Ausfall russischer Lieferungen. Tatsächlich aber sind dies nur die realwirtschaftlichen Faktoren, die die Händler an den Energiebörsen zum Anlass nehmen, die Notierungen in die Höhe zu spekulieren. Die Teuerung sei Ergebnis von »Hysterie und Spekulation«, rügte Belgiens Premierminister Alexander De Croo. Europa zahlt nun den Preis dafür, dass es die Preise für Energie dem Börsenhandel überlassen hat.

Nachdem die russische Regierung weitere Unterbrechungen der Pipeline Nord Stream 1 bekanntgegeben hatte, schossen zu Wochenbeginn die europäischen Gaspreise um 20 Prozent in die Höhe. Am Mittwoch sprang der Gaspreis auf dem maßgeblichen niederländischen Marktplatz TTF auf 230 Euro pro Megawattstunde. Bis zum Freitag Mittag verteuerte sich Gas weiter auf 300 Euro. Zum Vergleich: Das entspricht einem Ölpreis von 500 Dollar je Fass.

Zweifel an Gasumlage

Nach anhaltender Kritik hat Wirtschaftsminister Robert Habeck eine Überprüfung der umstrittenen Gasumlage angekündigt. Die Umlage müssen Verbraucher zahlen, um jene Unternehmen zu stützen, die Gas zu den gestiegenen Weltmarktpreisen einkaufen müssen und daher gefährdet sind. Allerdings mehren sich kritische Stimmen, denen zufolge von der Umlage auch Firmen profitieren, denen es finanziell gut geht. Der Kreis der berechtigten Unternehmen soll möglichst verkleinert werden, sagte Habeck nach WDR-Informationen. Grundsätzlich bestehe der Anspruch zwar auch für Unternehmen, die nicht in existenzieller Not seien, sagte er. Es hätten sich aber einige Unternehmen "reingedrängt", "die nun wirklich viel Geld verdient haben und die Umlage der Bevölkerung nicht brauchen". Er werde sich daher "jetzt noch mal genau angucken, ob es nicht doch einen Weg gibt, diesen berechtigten Anspruch abzuwehren".

Gas ist nun in Europa 50 Prozent teurer als vor zwei Wochen, seit Jahresbeginn hat sich der Preis vervierfacht. Insgesamt, so Javier Blas vom Finanzinformationsdienst Bloomberg, liegen die Preise zehn Mal höher als in früheren Jahren üblich. Da Gas auch für die Stromproduktion benutzt wird, klettern auch hier die Großhandelspreise rasant. Allein am Montag verteuerte sich der einjährige Terminkontrakt für eine Megawattstunde (MWh) Stromgrundlast um 16 Prozent auf 665 Euro – erst Anfang August war der Preis auf über 400 Euro gestiegen. Die Preise der Terminkontrakte spiegeln die Preiserwartungen der Märkte wider.

Am Freitag erreichte der einjährige Terminkontrakt in Deutschland den Rekordwert von 800 Euro – ein Plus von knapp 40 Prozent innerhalb nur einer Woche. »Strompreise haben sich gegenüber der Vor-Corona-Zeit verzehnfacht«, sagte Thomas Costerg vom Vermögensverwalter Pictet Wealth Management, »das System erlebt einen Schock«. Die Energiepreise treiben die Inflationsrate weiter nach oben. Anders als in der Hochinflationszeit der 1970er Jahre jedoch steigen die Löhne nicht mit. Die Folge: »Dieses Jahr erleben wir den schärfsten Rückgang des Lebensstandards in der jüngeren Geschichte«, schreibt Alfie Stirling, Ökonom bei der britischen New Economics Foundation in London, auf Twitter. Und der französische Energie-Ökonom Thierry Bros fügte auf Bloomberg hinzu: »Die Frage ist, wann die Führer der EU aufwachen werden.«

Während die Regierungen Deutschlands und Spaniens neue Maßnahmen zur Senkung des Energieverbrauchs beschließen, stimmte Frankreichs Präsident Emmanuel Macron seine Landsleute auf harte Zeiten ein: Sie sollten »bereit sein, den Preis für unsere Freiheit und unsere Werte zu zahlen«, sagte er vergangene Woche. Unterdessen schließen sich auch Unternehmensvertreter der Forderung nach staatlichen Energiepreisbremsen an. »Der Strompreis braucht einen Deckel – sofort«, schreibt der Wirtschaftsverband Stahl- und Metallverarbeitung in einem Positionspapier.

Auch Belgiens Premierminister De Croo plädierte für ein Einfrieren der Gaspreise und einen gemeinsamen Einkauf von Gas auf EU-Ebene. Der österreichische Ökonom Stephan Schulmeister geht einen Schritt weiter: Preisdeckel, schreibt er in der Zeitung »Standard«, seien nur ein erster Schritt. Es brauche eine »Grundsatzdebatte über die Bepreisung von Dienstleistungen der Daseinsvorsorge auf Börsen«.

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