Die Sorge um den baltischen Stör

Das Fischsterben in der Oder erforderte eine dramatische Rettungsaktion

  • Jeanette Bederke
  • Lesedauer: 5 Min.

Fischer Lutz Zimmermann ist seine Enttäuschung deutlich anzumerken. Er steht in einem speziellen Aufzuchtcontainer auf seinem Gelände im brandenburgischen Friedrichsthal (Uckermark) im nördlichen Teil des Nationalparks »Unteres Odertal« vor leeren Becken. Noch bis 11. August dieses Jahres tummelten sich darin 20 000 Störe, drei bis fünf Zentimeter groß. Dann kam das große Fischsterben in der Oder. Ungünstiger Nordwind drückte das kontaminierte Flusswasser in die Hohensaaten-Friedrichsthaler-Wasserstraße (HoFriWa), an der Zimmermanns Fischerei liegt.

»Die Aufzuchtanlage wird ständig von Wasser aus der Ho-Fri-Wa durchströmt, denn Störe brauchen Fließgewässer. Aufgrund der Kontamination schwamm ein Drittel meiner Tiere plötzlich kieloben«, beschreibt Zimmermann die Situation. Informationen zum Fischsterben in der Oder seien viel zu spät verbreitet worden.

Bei einer dramatischen Rettungsaktion hat er die restlichen kleinen Störe in weit verzweigte Polder-Gewässer ausgesetzt, die derzeit von der Oder abgeschnitten sind. Ob sie überlebt haben, vermag niemand zu sagen. Der Vorfall sei ein Rückschlag für das seit 2006 laufende Wiederansiedlungsprojekt für den Baltischen Stör, konstatiert Jörn Geßner. Der Biologe des Leibniz-Institutes für Gewässerökologie und Binnenfischerei in Berlin. Er koordiniert das Stör-Projekt in Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern.

Die gescheiterte Aufzucht in Friedrichsthal und das massive Fischsterben in der Oder, bei dem laut Geßner vereinzelt auch ältere, etwa 90 Zentimeter große tote Störe gefunden worden waren, bedeute jedoch keinen Totalausfall. »Der Baltische Stör kann bis zu 100 Jahre alt werden, bis zu fünf Meter lang und 800 Kilogramm schwer. Er ist damit eine langlebige Art und übersteht auch einmal schlechte Umweltbedingungen«, sagt der Wissenschaftler.

Der Aufzuchtcontainer im Nationalpark Unteres Odertal ist nicht die einzige Kinderstube des Fisches, der noch vor 100 Jahren in der Oder heimisch war. Auch an der Teichwirtschaft der Blumberger Mühle bei Angermünde (Uckermark), Erlebniszentrum des Naturschutzbundes Deutschland (Nabu), werden seit 2011 jährlich 20 000 Mini-Störe aufgezogen. Fischer Paul Klemer zeigt stolz auf die langen Aufzuchtbecken, in denen es nur so wimmelt. »Wir nutzen das Flüsschen Welse für den Wasserdurchfluss, da besteht keine Gefahr«, erklärt er.

Acht Wochen alt sind die kleinen Fische, für die es allerdings langsam eng wird im Becken. Normalerweise würden sie im Herbst in die Oder ausgesetzt. Dort wandern die etwa 20 Zentimeter großen Tiere bis ins Oderhaff, bleiben dort etwa zwei Jahre, bevor sie in die Ostsee schwimmen und nach 15 bis 20 Jahren mit der Geschlechtsreife zum Laichen zurück in den Fluss kehren. Da die Ursache für das Fischsterben in dem Grenzfluss noch nicht abschließend geklärt ist und die Mini-Störe nicht gefährdet werden sollen, bleiben sie erst einmal in den Aufzuchtbecken.

»Wir überlegen jetzt, die größeren Exemplare aus der Blumberger Mühle nach Friedrichsthal zu bringen, damit alle kleinen Störe mehr Platz zum Wachsen haben«, sagt Michael Tautenhahn, Vizeleiter der Nationalparkverwaltung Unteres Odertal. Darüber würde sich Zimmermann freuen. Rund 250 000 kleine Störe hat der Fischer in siebter Generation in den vergangenen neun Jahren bereits aufgezogen. Die Tiere kommen wenige Millimeter groß aus der Brutstätte der Landesforschungsanstalt für Landwirtschaft und Fischerei Mecklenburg-Vorpommern. »Sie brauchen ständig Futter, fressen nur lebende Nahrung«, erklärt der Stör-Vater auf Zeit. Winzige Krebse, ähnlich groß wie Wasserflöhe, züchtet er selbst. Später bekommen die Fische Mückenlarven, die Zimmermann gefrostet aufbewahrt. 

Über Tauchpumpen werden die Aufzuchtbecken normalerweise mit Oderwasser gespeist. »Das hat den Effekt, dass sie den Fluss Jahre später zum Laichen auch wiederfinden«, erklärt Tautenhahn, dessen Angaben nach bisher etwa 3,5 Millionen Mini-Fische in die Oder entlassen worden waren. In diesem Jahr hatte er mit der Rückkehr der ersten Störe gerechnet, die zu Beginn des Wiederansiedlungsprojektes vor 15 Jahren in die Oder gesetzt wurden. »Die im Zuge des aktuellen Fischsterbens entdeckten 30 toten Exemplare waren wohl Jungstöre, die noch nicht in die Ostsee abgewandert waren«, schätzt er ein.

Unklar ist ihm noch, wie schnell sich die Oder von der Umweltkatastrophe erholt, so dass erwachsene, geschlechtsreife Störe ungefährdet zurückkehren können und auch genügend Nahrung finden. Tautenhahn wie auch andere Naturschützer fordern, dass keine Abwässer mehr in den Grenzfluss geleitet werden und der polnische Oderausbau gestoppt wird. »Solange noch Fischarten überlebt haben, vermehren sich diese dann schnell wieder. Da braucht es keinen künstlichen Besatz durch den Menschen«, glaubt er und hofft, die derzeit abgeschotteten Polder im Nationalpark im Herbst wieder zur Oder öffnen zu können. Im Gegensatz zu anderen Arten schafft es der Baltische Stör laut Fisch-Experte Geßner jedoch nicht allein.

»Er gehört ursprünglich in große Fließgewässer, ist das fehlende Glied in diesem Ökosystem, deswegen müssen wir nachhelfen.« Störe würden bei ihren Wanderungen zwischen Meer und Fluss Nährstoffe transportieren, die wieder andere Tiere und Pflanzen benötigten, erklärt der Wissenschaftler den Sinn des Wiederansiedlungsprojektes. dpa

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