Bis zur Bewusstlosigkeit

Ein unbewaffneter Schwarzer Mann wird im Wrangelkiez von der Polizei kontrolliert und landet im Krankenhaus

  • Nora Noll
  • Lesedauer: 6 Min.

Knie zwischen den Schulterblättern, die Hände hinter dem Rücken fixiert, das Gesicht in den Asphalt gepresst, so liegt Bubacar vor der Moschee in der Falckensteinstraße in Kreuzberg und schreit vor Schmerzen. Doch der Polizist lässt nicht locker. Ein weiterer kniet auf Bubacars Unterschenkeln, er zieht seinen Taser, ein Dritter steht hinter seinen beiden Kollegen und hält seine Schusswaffe in der Hand.

Die Bilder stammen aus einem Video vom Abend des 21. August. Es dauert nur 18 Sekunden. Zusammen mit der Rekonstruktion eines Zeugen und dem Erfahrungsbericht von Bubacar selbst ergibt sich ein krasser Fall mutmaßlicher Polizeigewalt.

Bubacar ist 24 Jahre alt, stammt aus Gambia an der westafrikanischen Küste und lebt seit 2015 in Deutschland. Seitdem sein Asylantrag 2017 abgelehnt wurde, lebt er ohne sicheren Aufenthalt, ohne Arbeitserlaubnis und ohne feste Bleibe in Berlin. Am Sonntagabend hängt er wie so oft an der Ecke Falckensteinstraße/Wrangelstraße ab, um Freunde zu treffen und gemeinsam Zeit zu verbringen, erzählt er »nd«. Er habe gerade an den Straßenrand gepinkelt, als die Polizei ihn gegen 18 Uhr kontrollieren will.

»Ich habe ihnen gesagt, ich habe keine Drogen, ich bin kein Dealer, aber sie wollten mich trotzdem durchsuchen. Also habe ich meine Tasche abgenommen. Dann haben sie mich angegriffen«, so Bubacar. Die Polizisten hätten ihn an den Händen gepackt, »aber meine Hand ist gebrochen und ich habe eine große Wunde dort.« Dann sei er zu Boden geworfen worden. »Meine Hand hat so wehgetan, ich habe ihnen gesagt, ich habe Schmerzen, aber sie haben nicht zugehört.« Das Knie im Rücken habe ihm die Luft abgeschnürt.

Was dann passiert, weiß Bubacar nicht. Er wird ohnmächtig. Das erzählt David. Er wohnt um die Ecke und »dreht noch eine Runde um den Block«, als er auf die Polizeikontrolle aufmerksam wird. »Ich habe gesehen, da liegt jemand ohne T-Shirt und Schuhe auf dem Boden und schreit vor Schmerzen«, erzählt er »nd«.

Dass ein Polizist für kurze Zeit seine Waffe zieht, bemerkt David zuerst gar nicht, seine Freundin macht ihn darauf aufmerksam. David ist schockiert: »Wer eine Waffe zieht, ist auch bereit, sie einzusetzen.« Und das, obwohl Bubacar unbewaffnet war und eine vernarbte Verletzung am Handgelenk hat. Auch sei er Davids Eindruck zufolge an dem Abend betrunken oder aus anderen Gründen verwirrt gewesen. »Es ist krass, dass die Polizei nicht mit Menschen im gesundheitlichen Ausnahmezustand umgehen kann.«

Nachdem Bubacar ohnmächtig wird, sei ein paar Minuten später ein Rettungswagen eingetroffen, erinnert sich David. Bubacar wird ins Krankenhaus gebracht und kurz untersucht. Dann wird er entlassen, ohne schriftliche Bescheinigung der Kontrolle. Dafür mit Schmerzen in der Hüfte, die er noch eine Woche später beim Gehen spürt. Auch seine alte Verletzung am Handgelenk schmerzt stärker als zuvor, erzählt er »nd«. »Aber ich habe keine Krankenversicherung, ich kann nicht ins Krankenhaus oder zum Doktor gehen.«

Der Übergriff hat nicht nur körperliche Spuren hinterlassen. Seit der gewaltvollen Kontrolle geht es Bubacar schlecht: »Ich denke die ganze Zeit daran. Ich habe Angst vor der nächsten Kontrolle, dass sie wieder so etwas machen, ich habe wirklich große Angst.« Er will sich wehren, indem er seine Geschichte öffentlich macht und mit juristischer Unterstützung Anzeige erstattet. »Die Regierung soll davon wissen. Ich habe nichts gemacht und die Polizisten werfen mich zu Boden, das können sie nicht mit mir machen.«

Die Polizeipressestelle stellt den Einsatz auf nd-Nachfrage anders dar. Bubacar habe sich nackt zwischen parkenden Autos aufgehalten, allerdings von Passanten unbemerkt, »da er sich kurz darauf zügig wieder anzog«. Die Polizeibeamten hätten ihn daraufhin angesprochen und, weil Bubacar ihrer Einschätzung nach unter Drogeneinfluss gestanden habe, »umgehend« einen Rettungswagen gerufen. Die Polizei bezeichnet die Kontrolle deshalb als »gefahrenabwehrende Maßnahme« mit dem Ziel, »den Mann in einem Krankenhaus einem Arzt vorzustellen und ihn dort gegebenenfalls psychologisch betreuen zu lassen«. Schusswaffe und Taser seien »aufgrund der hochgradig emotionalisierten Situation« gezogen worden: Die »Unmutsbekundungen Umstehender« hätten sich gesteigert, ein Fahrrad sei in Richtung der Beamten geworfen worden und ein Passant »sehr schnell und laut schreiend« zu den Einsatzkräften gelaufen.

Der Polizeieinsatz als medizinische Hilfeleistung? »Das haben sie mal gründlich verkackt«, sagt David. Auch der Darstellung der vermeintlich aggressiven Umstehenden widerspricht er. »Da wurde kein Fahrrad geschmissen, da ist einer vom Fahrrad gefallen.« Eine einzige Person habe rumgeschrien, aber die sei gleich von den anderen Passant*innen weggeschickt worden. Die übrigen Anwesenden hätten sich gegen die Maßnahme geäußert und Alarm geschlagen, als Bubacar ohnmächtig wurde, »aber alle haben Abstand gehalten.« In seinen Augen war die Polizei schlicht überfordert.

Die Polizei kann im Wrangelkiez als »kriminalitätsbelasteten Ort« (KbO) systematisch und verdachtsunabhängig Personenkontrollen durchführen. Vor zweieinhalb Jahren wurde die Brennpunkt- und Präsenzeinheit (BPE) speziell für Einsätze in diesen Bereichen rund um die Warschauer Brücke, Görlitzer Park, Alexanderplatz, Kottbusser Tor und Hermannplatz gegründet. Diese Einheit ist täglich im Wrangelkiez unterwegs und war auch für die Kontrolle von Bubacar zuständig.

Im Frühsommer 2020 gründete sich die Nachbarschaftsinitiative Wrangelkiez United, um auf eine Zunahme von Racial Profiling – das heißt, Kontrollen aufgrund äußerer, rassifizierter Merkmale – zu reagieren. Auch David ist von Anfang an dabei. Natürlich gebe es Drogenkriminalität, »aber bei allen Schwarzen wird sofort angenommen, dass sie dealen«, also mit Drogen handeln. Dabei sei der Kiez schlicht zu einem wichtigen Treff- und Anlaufpunkt für Schwarze Menschen ohne sicheren Aufenthalt geworden. Und selbst im Umgang mit tatsächlichen Herausforderungen sei die Polizei nicht hilfreich. »Die beheben keine Probleme, sie verlagern sie nur«, sagt er mit Blick auf den Drogenverkauf, der aus dem Görlitzer Park vertrieben wurde und nun verstärkt in den Seitenstraßen stattfindet.

Mittlerweile gibt die Gruppe Workshops, wie eine kontrollierte Person am besten unterstützt werden kann. »Das Wichtigste ist, dass man dabei bleibt«, dann könne man filmen, Übersetzung anbieten, die Einsatznummern aufschreiben oder sich als Zeuge zur Verfügung stellen. So einen gewaltvollen Übergriff wie gegen Bubacar habe er allerdings noch nie bezeugt, so David. »Ich war hinterher echt fertig.« Mit seiner Gruppe hilft er Bubacar nun, juristische Unterstützung zu finden.

Die Polizei bestätigte »nd« gegenüber, dass Videodateien einer Bodycam vorliegen, die noch ausgewertet würden. Außerdem hat die Polizei nach Angaben der Sprecherin Bubacar wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte angezeigt. Pikant ist außerdem eine Information, die »nd« zugespielt wurde: Bei dem Polizisten, der auf dem Rücken des Betroffenen kniete, soll es sich um einen Beamten der BPE handeln, der bereits in der Vergangenheit eines rassistischen Übergriffs beschuldigt wurde. Ihm sei vorgeworfen worden, einer gefesselten Schwarzen Person gegen den Kopf getreten zu haben. Das Verfahren wegen Körperverletzung im Amt wurde eingestellt. Die Polizeipressestelle gab zu dieser Behauptung auf nd-Anfrage keine Auskunft.

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
- Anzeige -

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.