- Politik
- Dänische Rüstungspolitik
Klein, aber kriegswichtig
Dänemark wird immer bedeutender für den Nato-Nachschub aus Übersee
Seit 1994, dem einhundertsten Bestehen der Gemeinde Esbjerg, steht am Sædding Strand vor den Toren der Stadt eine neun Meter hohe weiße Skulptur: Vier Männer schauen aufs Meer. Was sie da demnächst erspähen können, hat wenig mit der für die Region typischen Ruhe zu tun. Einst war der Hafen von Esbjerg Heimat von 600 Fischkuttern. Aktuell ist er unverzichtbar beim Ausbau alternativer Energieanlagen, denn mehr als vier Fünftel der derzeit in Europa installierten Offshore-Windkapazität wurden von Esbjerg verschifft. Mehr als 200 Unternehmen siedelten sich in Dänemarks flächenmäßig größtem Hafen an, es gibt hier Arbeitsplätze für rund 10 000 Menschen. Nun will man die Fahrrinne weiter vertiefen und neue Kaianlagen bauen. Denn Esbjerg-Port soll zu einem bedeutenden Nato-Umschlagplatz für Waffen, Munition und militärisches Gerät ausgebaut werden, das aus den USA nach Europa geschafft wird.
Die kleine Nation kann mit ihrer Armee nicht wesentlich beitragen zur Abschreckungspolitik der Nato. Doch »mit etwas so Praktischem wie einem Hafen, der tatsächlich Verstärkungen aufnehmen kann, senden wir ein wichtiges Signal«, sagt Lars Bangert Struwe. Er ist Generalsekretär der Atlantic Association, einem einflussreichen und im Westen gut vernetztem Thinktank.
Es gab bereits mehrere Tests, die die Leistungsfähigkeit des Drehkreuzes Esbjerg bestätigten. Im April lud man dort 300 Militärfahrzeuge aus, jüngst brachte ein Schiff über 40 Kampf- und Transporthubschrauber. Zugleich bereiten sich verschiedene dänische Flugplätze auf die Ankunft der Mannschaften vor, die mit dem Gerät an die Ostflanke der Nato ziehen, vor allem nach Polen. Künftig wird auch die Weiterleitung des Materials in die neuen Nato-Mitgliedsstaaten Schweden und Finnland eine Rolle spielen.
Der Ausbau zum Drehkreuz für Nato-Nachschub, der nun weniger durch die in der russischen Exklave Kaliningrad stationierten Langstreckenwaffen bedroht ist, steht als Beispiel dafür, wie sich – angetrieben vom Krieg in der Ukraine – die sicherheitspolitische Bedeutung Dänemarks verändert, bestätigte der sozialdemokratische Verteidigungsminister Morten Bødskov, als er mit dem Segen von Parteikollegin und Umweltministerin Lea Wermelin in der vergangenen Woche vor Ort diverse Vereinbarungen unterzeichnete.
Unlängst beseitigte Dänemark bisherige Vorbehalte gegenüber einer aktiven militärischen Teilhabe an der gemeinsamen EU-Außen- und Sicherheitspolitik. Zudem wurden die Rüstungsausgaben angehoben. Das Land, in dem gerade einmal 5,82 Millionen Einwohner leben, gibt im laufenden Jahr umgerechnet rund fünf Milliarden Euro für Verteidigung aus. Das entspricht etwa 1,4 Prozent des Bruttoinlandsproduktes. Nun will man den Verteidigungsetat weiter steigern, um 2033 – so die Planungen – das von der Nato ausgegebene Zwei-Prozent-Ziel zu erreichen. Wichtiger Nutznießer ist die Marine. Sie besitzt bereits jetzt zwölf Fregatten und knapp 50 kleinere Einheiten. Allein in die Seestreitkräfte möchte Deutschlands nördlicher Nachbar in den kommenden Jahren gut 5,4 Milliarden Euro investieren.
Die nationale Schiffbaukapazität zu steigern ist ein ehrgeiziges Vorhaben. Die Rümpfe der neueren Fregatten werden in Estland und Litauen gefertigt. Um alle Reserven nutzbar zu machen und die Kräfte zu bündeln wurde eigens eine Zweckgemeinschaft von öffentlichen und privaten Investoren gebildet. Den Vorsitz hat die Geschäftsführerin des dänischen Reeder-Verbandes, Anne H. Steffensen. Der Verteidigungsminister begnügt sich mit der Rolle des Stellvertreters. Beide versprachen, alle Möglichkeiten zu nutzen, um nicht noch mehr in Abhängigkeit großer Nato-Nationen zu geraten. Bereits jetzt werden Forderungen laut, die Kampfschiffe unter anderem in den USA zu bestellen. Noch gravierender ist die Situation bei der Herstellung von Munition. Die einzig verbliebene Munitionsfabrik war vor eineinhalb Jahrzehnten an das spanische Rüstungsunternehmen Expal verkauft und dann geschlossen worden.
Nach Ansicht der konservativen Dänischen Volkspartei, zweitstärkste politische Kraft hinter den Sozialdemokraten, braucht das Land außer mehr Waffen auch erheblich mehr Soldatinnen und Soldaten. Die Partei möchte deshalb die Anzahl der Wehrpflichtigen verfünffachen und die Wehrdienstzeit von vier auf mindestens neun Monate ausweiten. Im vergangenen Jahr haben rund 4700 junge Menschen ihren Wehrdienst angetreten, 27 Prozent davon waren Frauen.
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.