Kolonialverbrechen wirken nach

Japan und Südkorea wollen sich arrangieren

  • Felix Lill
  • Lesedauer: 4 Min.

»Südkorea arbeitet an einer Lösung«, berichtete die japanische Nachrichtenagentur Kyodo am Freitag mit erkennbarer Erleichterung. In der Hauptstadt Tokio war ein Tross südkoreanischer Staatsvertreter zu Besuch. Und ein japanischer Beamter hatte signalisiert, dass die Gäste an verbesserten Beziehungen zu ihrem ungeliebten Nachbarn interessiert seien. Schon als die Außenminister Yoshimasa Hayashi und Park Jin Anfang des Monats auf einem Gipfel im kambodschanischen Phnom Penh zusammentrafen, vereinbarten sie, sich schnell einigen zu wollen. Werden Japan und Südkorea nun endlich Freunde?

Jedenfalls scheinen die Versuche beider Seiten so aufrichtig wie lange nicht. Seit Jahren haben die Regierungen der zwei Staaten, die zwar zu den engsten Verbündeten der USA und weiterer westlicher Staaten gehören und gleichzeitig ihre politische Abneigung und Sorgen gegenüber China und Nordkorea teilen, kaum miteinander gesprochen. Wiederholt wurde öffentlich durch die Blume oder unverblümt kommuniziert, dass man sich nicht mehr vertraue. Aber jetzt herrscht Eile in Seoul und Tokio. Denn wenn nicht bald ein Deal kommt, werden die Beziehungen wohl noch viel schlechter.

Die zwei liberalen Demokratien Japan und Südkorea sind seit Jahrzehnten immer wieder zerstritten, weil sie beim Umgang mit der Kolonial- und Kriegszeit uneins sind. Zwischen 1910 und 1945, als die koreanische Halbinsel japanische Kolonie war, machten sich das Japanische Kaiserreich und seine Vertreter diverser Gräueltaten schuldig. Während des Zweiten Weltkriegs gehörte der Einsatz unter anderem koreanischer Zwangsprostituierter dazu. Über längere Zeit nutzten aber auch japanische Konzerne koreanische Zwangsarbeiter.

Hierum dreht sich ein akuter Streit zwischen den zwei Staaten – bei dem nun die Zeit davonläuft. In einem Klagefall entschied der Oberste Gerichtshof Südkoreas im Jahr 2018, dass die japanischen Konzerne Nippon Steel und Mitsubishi Heavy für ihren Einsatz von Zwangsarbeitern während der Kolonialzeit Entschädigungszahlungen leisten müssen. Neun noch lebenden Klägern sollten die Konzerne je 100 bis 150 Millionen Won (umgerechnet etwa 75 000 bis 112 000 Euro) zahlen.

Allerdings wies die japanische Regierung das Urteil zurück, kündigte diplomatische Konsequenzen und praktisch auch Handelssanktionen an. Die japanische Seite beruft sich auf einen bilateralen Vertrag von 1965, als die beiden Staaten wieder diplomatische Beziehungen zueinander aufnahmen und in Form von Entschädigungszahlungen auch die Kolonialschuld Japans abgegolten schien. Aus Südkorea hat es allerdings insbesondere aus der Zivilgesellschaft immer wieder Forderungen nach aufrichtigen Entschuldigungen sowie höheren Zahlungen der japanischen Seite gegeben.

Als Japans Regierung dann im Jahr 2018 die – per Verfassung politisch unabhängige – südkoreanische Justiz für ihr Urteil kritisierte, wurden Vermögenswerte der Unternehmen Nippon Steel und Mitsubishi Heavy auf südkoreanischem Boden beschlagnahmt. Und sofern sich die Parteien nicht auf einen Umgang mit dem Thema einigen, sollen womöglich noch in diesem Monat die beschlagnahmten Vermögenswerte veräußert werden, um die Entschädigungen zu finanzieren.

Dies aber würde die Beziehungen zwischen Japan und Südkorea, den nach China zwei größten Volkswirtschaften Asiens, noch einmal deutlich verschlechtern. Was einem Deal helfen könnte: Mit Yoon Suk-yeol aus Südkorea und Fumio Kishida aus Japan suchen nun zwei Regierungschefs eine Einigung, die je erst seit kurzem ihre Ämter bekleiden, für den Hergang der Krise also nicht als Verantwortliche gelten. Yoon Suk-yeol gehört zudem Südkoreas Konservativen an, die traditionell wohlwollender gegenüber Japan eingestellt sind als die noch bis Mai regierende Demokratische Partei.

Seit mittlerweile Jahrzehnten verbindet Südkorea und Japan eine Hassliebe, der kulturelle Austausch ist intensiv. Die Länder gehören zu den füreinander beliebtesten Urlaubsdestinationen. Unter jungen Menschen in Japan sind seit längerer Zeit südkoreanische Popmusik und Soap Operas sehr populär, was umgekehrt auch in Südkorea gilt. Wer in Japan über eine Schönheits-OP nachdenkt, erwägt sofort Südkorea. Wenn sich Menschen aus Südkorea erholen wollen, träumen sie von den als Onsen bekannten Heißquellen in Japan.

Und doch ist auch der Austausch auf sozialer Ebene störungsanfällig. Als Japans Regierung harsch auf das Gerichtsurteil gegen Nippon Steel und Mitsubishi Heavy reagierte, begannen weite Teile der südkoreanischen Bevölkerung mit dem Boykott diverser japanischer Produkte. Dies reichte von Autos bis Bier. Dieses patriotische Konsumverhalten erweckte bei vielen Menschen in Japan den Eindruck, in Südkorea wolle man auf der Kriegsvergangenheit herumreiten.

Beide Regierungen haben sich noch nicht konkret dazu geäußert, wie eine Lösung des Konflikts aussehen könnte. Spekuliert wird aber, dass ein Entschädigungsfonds für die Opfer eingerichtet wird. Sollte dies gelingen, könnte nicht nur der Handel zwischen Japan und Südkorea wieder aufleben.

Wir-schenken-uns-nichts
Unsere Weihnachtsaktion bringt nicht nur Lesefreude, sondern auch Wärme und Festlichkeit ins Haus. Zum dreimonatigen Probeabo gibt es ein Paar linke Socken und eine Flasche prickelnden Sekko Soziale – perfekt für eine entspannte Winterzeit. Ein Geschenk, das informiert, wärmt und das Aussteiger-Programm von EXIT-Deutschland unterstützt. Jetzt ein Wir-schenken-uns-nichts-Geschenk bestellen.

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.