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Ein Skandal, der keiner sein darf
In Wien wird eine Affäre um einen Energieversorger zum nationalen Politikum. Es geht auch um die Frage, was »unverzüglich« bedeutet
Michael Ludwig ist das, was man einen 16-Ender der österreichischen Politik nennen könnte: Bürgermeister im seit jeher sozialdemokratisch SPÖ-regierten Wien, Landeskaiser und als solcher Partei in der Partei, Realo und sehr offen in Richtung rechtsnationaler FPÖ, oft auch gegen die Bundesparteilinie röhrend – jetzt allerdings sehr kleinlaut.
Denn Michael Ludwig hat ein Problem: Dem Wiener Energieversorger Wien Energie fehlen mehrere Milliarden Euro. Und was am vergangenen Wochenende mit Berichten über eine mögliche Insolvenz des größten Regionalversorgers des Landes (zwei Millionen Kunden) seinen Anfang genommen hatte, hat sich inzwischen ausgewachsen zu einem Skandal, in dem die Versorgung Wiens mit Strom und Gas zwischenzeitlich anscheinend auf dem Spiel stand. Es ist ein Skandal, in dem es um mögliche Vertuschung und Spekulationen geht. Vor allem aber ist es auch ein Skandal, in dem es längst nicht mehr um die Wien Energie geht, sondern viel mehr um Ludwig und das Gebaren der in Wien regierenden SPÖ.
Von einem Skandal könne man nicht sprechen, sagte Michael Ludwig in einem Radiointerview am Donnerstag. Und auch die Versorgungssicherheit Wiens habe nie auf dem Spiel gestanden. Gegenteilig heißt es allerdings in einem Umlaufbeschluss des Stadtsenates: Die Versorgungssicherheit sei nicht gewährleistet, sollte es seitens des Bundes kein Geld geben.
In Gesprächen mit dem Bund hat man sich nun auf eine Kreditlinie in der Höhe von zwei Milliarden Euro geeinigt. Damit dürfte das Schlimmste zumindest vorerst abgewendet worden sein. Allerdings ist unklar, ob diese zwei Milliarden den gesamten Bedarf abdecken oder nur eine Überbrückung darstellen. Zwischenzeitlich war jedenfalls von einer Finanzierungslücke von bis zu sechs Milliarden Euro die Rede gewesen. Nun hieß es per Aussendung seitens des stadteigenen Versorgers, dass der Bedarf aufgrund fallender Strompreise gesunken sei.
Die Affäre ist gleichermaßen Katastrophe für die SPÖ wie gefundenes Fressen für die politischen Mitbewerber. Wien ist das realpolitische Projekt der SPÖ im von der konservativen ÖVP dominierten Österreich und steht entsprechend in der Auslage. Vor Bekanntwerden des Skandals hatte die SPÖ in Umfragen weit vor der ÖVP gelegen. Auf Bundesebene hatte sie Neuwahlen gefordert. Jetzt aber fügt sich das Fiasko der Wien Energie in eine ganze Serie von Negativschlagzeilen. Und in deren Mittelpunkt: Die Wien Energie. So wurden etwa die Tarife für Strom, Gas und Fernwärme in Wien zuletzt massiv angehoben. Aufgrund von Vertragsmodalitäten könnten sich die Preise für Abnehmer auf einen Schlag verdreifachen.
Und entsprechend hart wird der tagespolitische Boxkampf geführt. Finanzminister Magnus Brunner (ÖVP) forderte lautstark Aufklärung über »mutmaßliche Spekulationen«. Es liege nun am Rechnungshof, zu prüfen. Da »einige unserer Fragen an die Wien Energie offengeblieben« seien, werde der Bund auch eine Person in den Aufsichtsrat der Wien Energie entsenden.
Den Vorwurf der Spekulation weisen Wien Energie und die Stadt Wien entschieden zurück. Verantwortlich für die Liquiditätsprobleme seien »Verwerfungen auf dem Strommarkt«. Hinzukommen dürfte ein Mix aus widrigen Umständen: Hohe Gaspreise bei zugleich erhöhtem Bedarf an Strom aus Wärmekraftwerken aufgrund niedrigerer Produktion durch Wasserkraft wegen extrem niedriger Pegelstände der Donau, einem dadurch erhöhten Bedarf an Strom-Importen bei zugleich aber explodierenden Weltmarktpreisen.
Nur: Dass da etwas schief läuft, wusste man in der Wiener Stadtregierung offensichtlich seit geraumer Zeit. Bereits Mitte Juli hatte Michael Ludwig der Wien Energie per Notkompetenz einen Kreditrahmen von 700 Millionen Euro gegeben und etwas später noch einmal in derselben Höhe – in Summe also 1,4 Milliarden Euro. Allerdings wurde der Landtag damit nie befasst. Und auch der Koalitionspartner NEOS will zwar über die seitens der Stadt vergebenen Garantien informiert worden sein – über die finanzielle Notlage der Wien Energie habe man aber aus den Medien erfahren.
Die Opposition in der Stadt, allen voran ÖVP und FPÖ, sprechen jetzt von Verfassungsbruch und Vertuschungsversuchen.
Ludwig sieht seine Vorgangsweise durch die Stadtverfassung gedeckt. Darin heißt es: »Der Bürgermeister ist berechtigt, bei dringlichen Fällen (…) Verfügungen zu treffen (…). Er hat die Angelegenheit jedoch unverzüglich dem zuständigen Gemeindeorgan zur nachträglichen Genehmigung vorzulegen.« Und so dreht sich der Streit nun um die Deutung eines Wortes: »unverzüglich«.
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