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Überschwemmung ohne Fluss
Im havelländischen Wernitz verursachte ein Starkregen schwere Schäden an Häusern
An der Fassade klebt auf einer Höhe von ungefähr 50 Zentimetern Heu. Bis dorthin stand das Wasser. Es ist auch in das Haus von Hans-Dieter Lemke hineingelaufen, stand knöcheltief im Wohnzimmer und in der Küche. Bei einem Starkregen am 26. August ist das passiert. Das Wasser lief von der Straße hinunter und sammelte sich in der Senke an der Dorfstraße 25 in Wernitz (Havelland), an der sich das kleine Gehöft von Lemke befindet. 30 Jahre lebt er jetzt hier. Aber so etwas hat der 89-Jährige noch nie erlebt, sagt er. In den Stall drang das Wasser auch ein. Den beiden Pferden von Lemke stand es bis zum Bauch. »Die wären ersoffen«, berichtet Lemke. Nachbarn haben die Tiere gerettet und zu sich genommen. Ihr Anwesen liegt etwas höher und blieb verschont. Dort stehen die Pferde noch immer, denn der Stall muss erst einmal trocknen und repariert werden. Wie groß die Schäden auch am Haus sind, hat die Versicherung noch nicht festgestellt. Ein Sachverständiger soll sich alles ansehen. »Es hat sich aber noch keiner blicken lassen«, erzählt Lemke enttäuscht. Immerhin habe die Versicherung bereits 1200 Euro zur Verfügung gestellt für ein Gerät, mit dem das Wohnhaus schneller trocknet. Unterkellert ist es nicht. Es stellt sich die Frage, ob die Bodenplatte Schaden genommen hat.
Der 89-Jährige macht sich Sorgen wegen der Kosten. »Ich habe nur eine schmale Rente«, bedauert er. Geboren und aufgewachsen ist Lemke im zehn Kilometer entfernten Brieselang, flüchtete dann am 17. Juni 1953 in den Westen, verdingte sich in Niedersachsen als Landarbeiter, arbeitete als Bergmann und ging schließlich in den 1960er Jahren nach Westberlin, wo er Taxi fuhr. Das Gehöft in Wernitz hat er sich als Alterssitz aufgebaut, wohnt seit 1992 hier. Dass nach Regengüssen Pfützen auf der Koppel stehen, hat er schon erlebt, aber noch nie ein Unwetter mit so schlimmen Folgen wie am 26. August. Alles sei sehr schnell gegangen. In weniger als einer halben Stunde habe alles unter Wasser gestanden. Erst seit dem vergangenen Wochenende kann Lemke wieder trockenen Fußes über den Hof zum Stall gehen. An seinen Gummistiefeln klebt noch der Schlamm. Dort, wo hinter dem Stall die Koppel ist, zeigt sich hin zu Nachbarin Isabell Knappe jedoch jetzt noch ein kleiner See, der dort nicht hingehört.
Bei Isabell Knappe spülte das Unwetter den Swimmingpool der Töchter hinten aus dem Garten bis fast ans Eingangstor. Die alleinerziehende Mutter von zwei sechs und neun Jahre alten Mädchen hatte Glück im Unglück. Ihr selbst reichte das Wasser zwar bis an die Oberschenkel, als sie am Nachmittag des 26. August zu ihrem Haus watete, um nachzuschauen, wie es dort aussieht. Doch der Scheitel der Flut machte wenige Zentimeter vor den bodentiefen Fenstern Halt. Die Zimmer blieben trocken, einen Keller hat Isabell Knappe nicht. Allerdings ist nun die Bodenplatte unterspült. Man kann an mehreren Stellen bis unter das Haus sehen. Ob die Bodenplatte eventuell brüchig ist, muss erst genau untersucht werden. Wenn es glimpflich abgeht, müssen lediglich die Löcher verfüllt werden. Der Laie denkt: Ein paar Schippen Erde hinein und damit hat sich die Sache. Doch der Fachmann warnte Knappe. Das müsse fachgerecht von einer Firma ausgeführt werden. Denn wenn der Boden nicht verdichtet ist, würde beim nächsten Regen Wasser unter das Haus sickern. Wenn es dann im Winter friert, könnte das Eis das Haus irreparabel beschädigen.
Mit Kosten von bis zu 5000 Euro für die kleinere Reparatur muss Knappe rechnen. Für die Krankenschwester ist das kein Pappenstiel. Arbeitet sie doch bereits jetzt Vollzeit im Krankenhaus in Nauen und zusätzlich in einem Nebenjob für den Notdienst der Kassenärztlichen Vereinigung, um den Kredit für das 2021 fertig gewordene und von ihr bezogene Eigenheim abzuzahlen. Sie hat zwar eine Gebäudeversicherung, aber ohne Absicherung gegen Elementargewalten wie ein Hochwasser. Wo sollte eine Flut herkommen, da kein Fluss in der Nähe ist, hatte sie geglaubt. Nun bleibt sie allein auf den Kosten sitzen. Dass am 26. August die Kindergeburtstagsfeier ihrer Neunjährigen verschoben werden musste, ist traurig, aber noch das geringste Problem. Der Geburtstag wird nachgefeiert.
Zu den Betroffenen in Wernitz gehört auch Silvana Matuschewski. Die 41-Jährige lebt mit ihrem Mann und ihrer Tochter Am Pappelhain 33 in einem alten Haus, das die Familie vor zehn Jahren kaufte. Von ihrem Grundstück waren die Fluten bereits am Tag nach dem Unwetter abgelaufen. Doch hier ist das Erdgeschoss ruiniert. »Das Haus muss grundsaniert werden«, berichtet Silvana Matuschewski. Die Bauarbeiten bezahlt die Versicherung, ersetzt jedoch nicht den verdorbenen Hausrat, nicht die zwischenzeitliche Einlagerung der unversehrten Möbel und auch kein Ersatzquartier. Die Familie kaufte sich deswegen einen Wohnwagen und hofft, »dass Weihnachten alles fertig ist« und das Fest im Warmen gefeiert werden kann. Am 13. September beginnen Maschinen, das Haus zu trocknen, und danach starten die Bauarbeiten, die acht Wochen dauern sollen, wenn es dabei zu keiner Verzögerung und zu keinem Lieferengpass kommt.
Die Matuschewskis packen dieser Tage das Inventar ein und stellen es bei Verwandten und Bekannten unter. Eine professionelle Einlagerung hätte 4000 Euro gekostet. Das Angebot hat die Familie abgelehnt und kümmert sich selbst – keine leichte Aufgabe, sind die Eltern doch beide berufstätig und müssen das in ihrer Freizeit stemmen.
Die große Angst in der Dorfstraße und am Pappelhain: Dass es wie vorhergesagt im Zuge des Klimawandels künftig häufiger zu Extremwetterereignissen kommt und ihre Grundstücke erneut überschwemmt werden. Ob es wieder passieren könnte? »Auf jeden Fall«, denkt Hans-Dieter Lemke. Hinter Silvana Matuschewskis Haus erstreckt sich zwar eine Wiese, auf der sich bei Regen das Wasser aus dem Dorf sammeln sollte. Die am 26. August vom Himmel stürzenden Mengen waren aber zu viel. Dann läuft das Wasser, wie geschehen, auf ihr Grundstück.
Was kann die Gemeinde Wustermark tun, um die Bewohner des Ortsteils Wernitz vor solcher Unbill so gut es geht zu schützen? »Wir waren in den letzten Tagen mit unseren Fachleuten vor Ort und bei den Einwohnern, die es besonders traf«, erklärt Bürgermeister Holger Schreiber (parteilos). Es sollen Lösungen gefunden werden. Für die Matuschewskis hat sich bereits ein Weg aufgetan. Ihnen ist nach eigenen Angaben bei einem Vor-Ort-Termin bestätigt worden, dass ein Entwässerungsgraben zur Wiese hin Abhilfe schaffen würde. Der Aushub solle als Erdwall liegen bleiben und zusätzlichen Schutz bieten. Bereits in ein bis zwei Wochen solle es losgehen, berichtet Silvana Matuschewski.
Bürgermeister Schreiber bestätigt dieses Vorhaben. Ihm zufolge haben die Fachleute das alte Grabensystem geprüft und festgestellt, »dass einige Gräben entweder neu angelegt werden sollten beziehungsweise nach Jahrzehnten ohne große Regenwasserprobleme wieder neu ausgeprägt und hergestellt werden sollten«. Hier müsse sich die Gemeinde mit den Grundstückseigentümern abstimmen. Unabhängig davon müsse man sagen, dass ein solcher Starkregen mit fast 150 Litern je Quadratmeter und die knochentrockenen Feldböden »eine Sondersituation waren, die kaum beherrschbar ist«, sagt Schreiber.
Die Landtagsabgeordnete Andrea Johlige (Linke) und Wustermarks Linksfraktionschefin Sandra Schröpfer haben die Wernitzer bereits am 28. August besucht und geschaut, wie sie ihnen helfen könnten. »Klar ist: Diese große Menge Wasser wäre schon im Normalfall ein Problem gewesen«, schätzt Johlige ein. »Hier kamen aber noch weitere Faktoren dazu, die vermeidbar gewesen wären: Mangelnde Pflege des vorhandenen Grabensystems, aber auch ein Graben, der zugeschüttet wurde.« Das Wasser sei genau dort entlang geflossen, wo früher der Graben war. Außerdem bemängelt Johlige die zu gering bemessene Niederschlagsentwässerung.
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