- Berlin
- Wahldebakel
Mehr als ein Frühstücksdirektor
Der Senat ernennt einen neuen Landeswahlleiter mit erweiterten Kompetenzen
Bereits vergangene Woche machte der Name die Runde, nun ist es offiziell: Stephan Bröchler soll ab Oktober als neuer Landeswahlleiter bei künftigen Berliner Wahlen für Ordnung sorgen. Am Dienstag bestätigte die Innensenatorin Iris Spranger (SPD) in der Senatspressekonferenz die Personalie und freute sich sichtlich über die gewonnene Expertise.
Bröchler ersetzt die für den Übergang eingesetzte Landeswahlleiterin Ulrike Rockmann. Als Professor für Politik- und Verwaltungswissenschaften an der Hochschule für Wirtschaft und Recht Berlin bringt er demokratietheoretisches Wissen mit, das ihn bereits zum Mitglied des Expert*innengremiums zur Aufarbeitung des Wahldebakels vom 26. September 2021 qualifizierte. Während die 20-köpfige Kommission für die Analyse des Chaos und Handlungsempfehlungen an den Senat zuständig war, zeigte sich Bröchler am Dienstag motiviert, auch an der praktischen Umsetzung mitzuwirken. »Es gibt nichts Gutes, außer man tut es«, zitierte er den Schriftsteller Erich Kästner.
Viel Gutes soll geschehen: Nachdem im vergangenen September einige Wahllokale derart überfordert gewesen sind, dass sich etwa lange Warteschlangen gebildet, Lokale nach 18 Uhr geöffnet, Stimmzettel gefehlt haben oder gar vertauscht worden sind, soll die Landeswahlleitung zukünftig zusammen mit einem Landeswahlamt die zentrale Logistik steuern. Aufgaben wie die Schulung von Wahlhelfer*innen, die Beschaffung der Stimmzettel und eine bezirksübergreifende Standardisierung würden dann gebündelt organisiert, wie es das Gremium in seinem Bericht Anfang Juni empfohlen hatte.
Neben den bisherigen drei Dienstkräften aus der Geschäftsstelle der Landeswahlleitung wird das Landeswahlamt dann laut Spranger sieben weitere Stellen für Jurist*innen sowie Fachkräfte im Bereich IT, Statistik und Öffentlichkeitsarbeit umfassen. Das notwendige Budget müsse noch mit Finanzsenator Daniel Wesener (Grüne) abgesprochen werden. Spranger kündigte zudem eine geplante Gesetzesänderung an, um Stimmzettel nicht wie gehabt erst am Wahltag, sondern am Vortag liefern zu können.
Auch ändert sich die Rolle der Landeswahlleitung: Bröchler selbst hatte die bisherige Funktion als »Königin ohne Land« bezeichnet. Das werde sich nun durch tatsächliche Kompetenz ändern. »Die gesamte Verantwortung zu übernehmen, aber selbst keine Durchgriffsrechte haben«, das sei die Position der früheren Landeswahlleiterin Petra Michaelis gewesen, die im vergangenen Oktober zurückgetreten war. Sie hatte in Bröchlers Augen vor allem eine »notarielle Funktion im Hintergrund«. Seine Rolle werde sein, »auf den Reformprozess einzuwirken und in die Öffentlichkeit zu gehen«. Er erhoffe sich, das Vertrauen der Bürger*innen in demokratische Wahlen wiederherzustellen.
Ein wichtiger Aspekt sei dabei die Rekrutierung der Wahlhelfer*innen. Bisher seien die vor allem aus der öffentlichen Verwaltung, insbesondere aus den Bürgerdiensten der Bezirksämter gekommen. Bröchler will speziell jüngere Menschen ansprechen und für die Arbeit gewinnen, »damit wir es selbstverständlicher machen, dass wir alle als Bürgerinnen und Bürger für diese Arbeit zur Verfügung stehen«. Wahlhelfende könnten so direkt demokratiepraktische Prozessen erleben.
Wie viel Zeit er für diese erweiterte Rolle in Zukunft einplanen muss, konnte Bröchler am Dienstag nicht vorhersehen. Als nebenamtlicher Landeswahlleiter wird er seine Professur behalten, aber in seiner Lehrtätigkeit entlastet. »Das Amt als Frühstücksdirektor wahrzunehmen, das ist nicht mein Ziel. Ich möchte mit voller Kraft und Energie an die Umsetzung gehen.«
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.