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Wenn überall der Populismus lockt

Die CDU will ihren Bundesparteitag zu einer politischen Neuorientierung nutzen

  • Robert D. Meyer
  • Lesedauer: 5 Min.
Was will Merz? Staatstragend sein oder zur Attacke übergehen?
Was will Merz? Staatstragend sein oder zur Attacke übergehen?

Wenn sich die CDU ab Freitag in Hannover zu ihrem Bundesparteitag trifft, ist eine Ära symbolisch endgültig beendet. Altkanzlerin Angela Merkel wird aller Voraussicht nach nicht nach Niedersachsen reisen, hieß es aus ihrem Landesverband Mecklenburg-Vorpommern. Dabei wäre die frühere Parteivorsitzende nicht nur als Gast anwesend, sie ist eigentlich auch eine von insgesamt 1000 Delegierten, die in der Deutschen Messe zusammenkommen. Merz dürfte über das Fernbleiben seiner Vor-Vor-Vorgängerin alles andere als unglücklich sein. Für ihn ist es der erste Präsenzparteitag als CDU-Vorsitzender. Seine Wahl im Januar erfolgte aufgrund der Corona-Pandemie noch auf einem weitestgehend digital abgehaltenen Treffen. Nun aber kann der 66-Jährige erstmals in seiner neuen Rolle vor einer vollen Halle mit Delegierten erklären, wohin sich die CDU unter seiner Führung entwickeln soll. Gleich am Freitag hält Merz seine Rede an den Parteitag.

Wer dem Bundesvorsitzenden in den letzten Wochen aufmerksam zugehört hat, kann erahnen, wovon sein Vortrag handeln dürfte. Natürlich muss und wird er die Ampel-Koalition dafür abwatschen, in der Energiekrise nicht stärker auf Atomenergie zu setzen. Merz gab den gesamten Sommer über Interviews, in denen er Befürchtungen vor einem drohenden Blackout beschwört. »Es droht eine vollkommene Überlastung des Stromnetzes im Herbst und Winter sowie eine mangelhafte Versorgung mit Strom«, so der CDU-Chef zum Beispiel gegenüber der »Bild am Sonntag«. Auf die publizistische Unterstützung des Boulevardmediums kann sich Merz weiterhin fest verlassen. »Bild« hatte bereits im Rennen um den Parteivorsitz klare Sympathien durchblicken lassen, wer aus ihrer Sicht die Konservativen anführen sollte.

Ebenso wird sich Merz noch einmal zum Thema Ukraine-Krieg positionieren müssen. Nicht, weil von ihm dazu eine Neupositionierung zu erwarten wäre, sondern um klarzustellen, dass die CDU weiterhin geschlossen hinter allen Russlandsanktionen stehe. Dass dies so nicht stimmt, zeigt ein Blick in die ostdeutschen Landesverbände. Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer hatte im August für Wirbel gesorgt, weil er sich in einem Interview dafür ausgesprochen hatte, »dass dieser Krieg eingefroren wird« und zur Begründung auch auf die ökonomischen Verflechtungen vieler ostdeutscher Länder mit Russland verwiesen. Damit vertritt der sächsische Landesvorsitzende keine Einzelmeinung in der CDU. Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Reiner Haseloff plädiert ebenfalls dafür, die Sanktionen zu überprüfen.

Solche Aussagen machen weder Kretschmer noch Haseloff automatisch zu Unterstützern der autoritären russischen Staatsführung, zeigen aber ein konkretes politisches Dilemma: Während die CDU im Bund als Oppositionspartei unmissverständliche Positionen beziehen kann, müssen jene Teile der CDU mit Regierungsverantwortung in den Ländern sich durch die Mühen der realen Tagespolitik kämpfen. Da reicht es auch nicht, wenn Merz am dritten Entlastungspaket der Bundesregierung eher allgemein beklagt, ihm fehlten Entlastungen für Unternehmen. Dass kleine und mittelständische Betriebe unter explodierenden Gas- und Strompreisen genauso wie Millionen Haushalte leiden, leugnet in der Politik niemand. Um die Antwort auf die Frage nach der Finanzierung drückt sich die CDU in der aktuellen Debatte allerdings herum. Ein erneutes Aussetzen der Schuldenbremse für das kommende Jahr zur Finanzierung weiterer Entlastungsmaßnahmen lehnt die Unionsfraktion im Bundestag strikt ab, Steuererhöhungen allerdings auch. Da befindet sie sich ganz auf einer Linie mit dem Ampel-Partner FDP.

Schweigsam verhält sich Merz auch hinsichtlich möglicher Fehler, die in 16 Jahren CDU-Regierungsverantwortung unter Kanzlerin Merkel gemacht worden sein könnten – allen voran beim Ausbau der erneuerbaren Energien. Selbst in der Opposition reißt sich die CDU nicht um das Thema Energiewende und versucht erst gar nicht, die Ampel-Koalition mit ambitionierteren Vorschlägen zu übertrumpfen.

Dazu passt, dass die CDU sich in ihrer Kritik an der Ampel-Koalition vor allem an den Grünen abarbeitet und ihnen in der Energiekrise eine Blockadehaltung vorwirft. Merz forderte jüngst, Kanzler Olaf Scholz (SPD) möge Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) die Zuständigkeit für Energiepolitik wegnehmen. Von etwaigen früheren Planspielen einer schwarz-grünen Zusammenarbeit auf Bundesebene ist jedenfalls nichts mehr zu spüren. Dieses noch im letzten Jahr im Bau befindliche Projekt hat die Bundes-CDU gestoppt und es sieht auch nicht danach aus, dass sich daran so schnell etwas ändert, obwohl auf Länderebene mit Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen dieses Frühjahr zwei schwarz-grüne Koalitionen geschlossen wurden.

Als Oppositionspartei auf Bundesebene erliegt die CDU allerdings immer häufiger wieder den Reflexen des populistischen Stammtisches, allen voran bei gesellschaftspolitischen Themen. Als vor wenigen Wochen die Debatte um Karl May, Winnetou und ein vom Ravensburger Verlag zurückgezogenes Jugendbuch medial völlig entglitt, legten viele CDU-Politiker*innen fleißig nach, anstatt mäßigende, geschweige denn differenzierte Töne anzuschlagen.

Ähnlich verhält es sich in der Debatte um eine geschlechtersensible Sprache. Dem Parteitag liegt aus Hamburg ein Antrag vor, die Partei müsse sich dafür einsetzen, Behörden, Schulen, Universitäten und allen staatlichen Einrichtungen die Nutzung von Genderstern und Binnen-I zu verbieten. Ein ebenfalls zur Diskussion stehendes Pflichtjahr für Jugendliche heißt konservativ korrekt dann auch »Deutschland-Jahr«. All dies sind identitätspolitische Häppchen für die rechten Teile der CDU-Wählerschaft. In die gleiche Richtung zielt ein ebenfalls vom Hamburger Landesverband stammender Antrag, die CDU müsse sich auf ihre christdemokratische Politik besinnen. Die Forderung füllt samt Begründung zwei DIN A4-Seiten Papier, konkrete politische Handlungsanweisungen gehen daraus aber nicht hervor.

Da ist es schon bedeutsamer, woran Tilman Kuban, Vorsitzender der Jungen Union, offenbar im Hintergrund arbeitet. Auf seine Initiative hin sollen sich im Frühsommer etwa ein Dutzend jüngere Politiker*innen von FDP und CDU in Berlin getroffen haben. Mit dabei waren laut »Spiegel« der FDP-Politiker Konstantin Kuhle und auf Seiten der Konservativen Parteivize Carsten Linnemann. Es wäre nicht die erste parteiübergreifende Connection, die die Basis für eine spätere Zusammenarbeit legt.

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