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Franzosen sorgen sich um Kaufkraft
Beim Pressefest der »l’Humanité« werden die Differenzen im Linksbündnis Nupes sichtbar
Das traditionelle Pressefest der kommunistischen Zeitung »l’Humanité« konnte am Samstag nicht an traditioneller Stelle stattfinden, weil der bisher genutzte Park von La Courneuve umgestaltet wird. Die Veranstalter mussten ausweichen auf ein ehemaliges Flugfeld der Luftstreitkräfte im 30 Kilometer südlich von Paris gelegenen Brétigny-sur-Orges. Obwohl die Anfahrt dadurch komplizierter war, kamen wieder viele Besucher, wenngleich weniger als früher.
An den Ständen der regionalen Föderationen der Kommunistischen Partei Frankreichs (PCF) und der Gewerkschaften sowie bei den Podiumsgesprächen war die Inflation mit den steigenden Lebensmittel- und vor allem Energiepreisen das bestimmende Thema. Es dominierte die Meinung, dass dieser Entwicklung mit Kampfmaßnahmen für eine angemessene Erhöhung der Löhne und Renten und damit für die Erhaltung der Kaufkraft der Haushalte begegnet werden müsse. Darum haben alle großen Gewerkschaften für den 29. September zu einem landesweiten Streik- und Aktionstag aufgerufen.
In einer Debatte mit dem Vorsitzenden der CGT-Gewerkschaft Philippe Martinez hat Budgetminister Gabriel Attal die Wirtschaftspolitik der Regierung verteidigt und darauf verwiesen, dass durch die Deckelung der Energietarife und der Mieten sowie durch die Anhebung des Mindestlohns, der Renten und der Sozialhilfeleistungen die Lage für die Franzosen vergleichsweise besser ist als in anderen Ländern. Er musste allerdings einräumen, dass die Kaufkraftverbesserungen hinter der Inflation hinterherhinken.
Auf die Forderung von CGT-Chef Martinez nach einer Sonderbesteuerung der Superprofite, die einige Konzerne durch die aktuelle Energiekrise erzielen, hatte der Minister keine überzeugende Entgegnung. In der Regierung gibt es Differenzen über diese Frage: Während Premierministerin Elisabeth Borne und Verkehrsminister Clément Beaune eine solche Sondersteuer befürworten, stemmen sich Präsident Emmanuel Macron und Wirtschaftsminister Bruno Le Maire dagegen.
Auf dem Pressefest wurden aber auch Differenzen innerhalb des linken Parteienbündnisses Neue ökologische und soziale Volksunion (Nupes) deutlich, vor allem zwischen KP-Nationalsekretär Fabien Roussel und Jean-Luc Mélenchon, dem Gründer der Bewegung La France insoumise. Die beiden traten auf unterschiedlichen Podiumsdiskussionen auf, doch es war unübersehbar, dass ihre oft divergierenden Argumente nicht zuletzt an die Adresse des Gegenspielers innerhalb von Nupes gerichtet waren. Besonderes Aufsehen erregte die Bemerkung des Kommunisten Roussel, dass er »eine Linke der Arbeit einer Linken der Sozialhilfe vorzieht«. Das war eindeutig eine Spitze gegen die lautstarken Forderungen von La France insoumise, ebenso wie das Bekenntnis von Roussel zu den Ordnungskräften, die »eine wichtige und oft undankbare Arbeit leisten« und die er »auf eine Stufe mit den Arbeitern« stelle.
Damit ging der KP-Politiker auf die verbreitete Forderung unter den einfachen Franzosen nach »Recht und Ordnung« ein und grenzte sich gegen Mélenchons Urteil ab, dass »die Polizei tötet«, was vor Wochen einen Sturm der Entrüstung im Regierungslager, bei der rechten Opposition und vor allem den Polizeigewerkschaften ausgelöst hatte. Roussel bekannte sich aber auch zur Atomkraft, übte Kritik an der »Straf-Ökologie« und erklärte, dass die Kommunisten »nicht das Kesseltreiben gegen die Jagd oder den Fleischverzehr mitmachen«. Umgehend warnte der Parteivorsitzende der Grünen Julien Bayou, »nicht die traditionalistischen Losungen der Rechten zu übernehmen und ihnen damit in die Hände zu spielen«.
Mit der Bemerkung, das linke Parteienbündnis Nupes sei »eher ein halb leeres als ein halb volles Glas«, machte Roussel seiner Frustration darüber Luft, dass die Kommunistische Partei mit ihren nur 2,3 Prozent der Stimmen bei der Präsidentschaftswahl und lediglich 22 der 151 Nupes-Abgeordneten in der Nationalversammlung hier nur eine zweitrangige Rolle spielt. Um das zu ändern, geht er auf Meinungen und Forderungen ein, wie sie in der arbeitenden Bevölkerung dominieren, die Roussel nicht zur extremen Rechten abwandern lassen will.
Dagegen zeigte sich Jean-Luc Mélenchon ungewöhnlich verbindlich, wenn er betonte, dass das linke Parteienbündnis Nupes nur möglich wurde, weil alle Partner zu Konzessionen bereit waren, sich aber in der zentralen Frage einig sind, dass die Linke auf einen Systemwandel hinarbeiten muss und »den systemerhaltenden Mitte-links-Sozialdemokratismus ablehnt«.
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