Neuanfang mit Skepsis und Hoffnung

Schlichtungszentrum in der Provinz Idlib soll Gegner im syrischen Bürgerkrieg aussöhnen

  • Lesedauer: 4 Min.

Khan Scheikhun ist eine von Landwirtschaft und Transport geprägte Stadt. Ihre Lage an einer alten Handelsroute, die den Süden der arabischen Halbinsel, Palästina und das ehemalige Osmanischen Reich mit Europa verband, machte die Stadt zu einem Rast- und Handelsplatz. Vor dem Krieg in Syrien, der 2011 begann, passierten täglich mehr als 1000 Lastwagen aus der Türkei den Ort und transportierten über die Autobahn M1 ihre Ladung in den Libanon, nach Jordanien oder in die arabischen Golfstaaten. Zurück brachten sie Waren aus diesen Ländern in die Türkei. 2012 wurde Khan Scheikhun zu einem Zentrum bewaffneter Regierungsgegner, die Zivilbevölkerung floh in alle Richtungen. Seit 2019 herrscht Waffenstillstand.

Der Ort wurde 2017 durch einen Luftangriff mit Saringas bekannt. Die Mission der Organisation für den Schutz vor Chemiewaffen (OPCW) wies die Schuld der syrischen Luftwaffe zu; Syrien weist den Vorwurf bis heute zurück. Heute liegt Khan Scheikhun in Trümmern und dient den syrischen Armee-, Geheimdienst- und Sicherheitskräften als Basis, um die Provinz Idlib unter Kontrolle zu bringen. Noch kontrolliert die Dschihadistengruppe Hayat Tahrir Al-Scham (HTS), vormals Al-Nusra-Front, die gleichnamige Provinzhauptstadt, den Norden und Gebiete entlang der Grenze zur Türkei; HTS wird unter anderem von den USA, Großbritannien und der Türkei als Terrororganisation gelistet.

Die Eröffnung des Schlichtungszentrums am 5. September 2022 war lange von »Persönlichkeiten aus Idlib« und dem Obersten Schlichtungskomitee der syrischen Regierung vorbereitet worden. Abu Mohammad Al-Golani, der Führer von HTS, lehnt die Vereinbarung ab.

Die Schlichtung sieht vor, dass Personen, die vor zehn Jahren gegen die Regierung zu den Waffen griffen und sich bewaffneten Gruppen anschlossen, die aus der syrischen Armee desertierten und sich in die Gebiete unter Kontrolle der bewaffneten Gruppen absetzten, in ihre Heimatorte in Syrien zurückkehren können, wenn sie eine vom Schlichtungszentrum vorgesehene Vereinbarung mit der syrischen Regierung unterzeichnen. Voraussetzung ist, dass gegen sie kein Haftbefehl, keine Anschuldigung wegen Mordes, Diebstahls oder Entführung vorliegt.

Zivilisten, die mit Familie, Vieh, Traktoren oder Maschinen vor dem Krieg flohen, können mit Hab und Gut zurückkehren, sofern sie ihre Eigentumsrechte nachweisen können. Man hoffe, dass die Vertriebenen zurückkehren und die Kommunikation zwischen den Familien und Verwandten wiederhergestellt werden könne, so die Vereinbarung.

In Idlib und Aleppo verfolgt man die syrisch-syrische Wiederannährung mit Hoffnung und Skepsis zugleich. Die Menschen, die heute in Idlib in Flüchtlingslagern lebten, kämen eigentlich aus Khan Scheikhun und dem benachbarten Morek, sagt Jihad Mohammed, Leiter der Abteilung für den Anbau von Pistazien in Hama. Morek und die umliegenden Orte seien das Zentrum des Pistazienanbaus in Syrien. Die Vertriebenen in Idlib hätten ihre Felder und Häuser verlassen und fehlten beim Pistazien-, Oliven- und Obstanbau. Er hoffe auf die Rückkehr der Menschen und darauf, dass die Spaltung in Syrien überwunden werden könne.

Skeptisch äußert sich ein Gesprächspartner, der sich Abu Hamid nennt und weder seinen richtigen Namen noch den Ort nennen möchte, an dem er sich aktuell aufhält. Er sei in der Türkei und halte mit dem Versöhnungskomitee in Aleppo Kontakt. Alle Syrer wollten aus den Lagern der Türkei in ihre Heimat zurückkehren, so Abu Hamid. Allerdings müsse der Präsident Bashar Al-Assad garantieren, dass die Rückkehrer nicht verfolgt und nicht festgenommen würden; Gefangene müssten freigelassen werden.

Das Risiko einer Verhaftung könne man jedoch nicht ausschließen, sagt gegenüber dem »nd« Regine Schwab, die bei der Hessischen Stiftung für Friedens- und Konfliktforschung (HSFK) speziell zu islamistischen und dschihadistischen Gruppen in Syrien arbeitet. Die Idee eines Schlichtungszentrums »klingt gut, aber in der Praxis stellt das keine Sicherheit dar«. Es gebe immer wieder glaubwürdige Berichte von willkürlichen Verhaftungen, bei denen Rückkehrer oder Personen, die vor kurzem an ähnlichen Abkommen in Deir Ez-Zour, Raqqa und Darayya teilgenommen hätten, festgenommen worden seien.

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