- Berlin
- Transfeindlichkeit und Rassismus
Ein politischer Tod
Vor einem Jahr tötete sich die trans Frau und Geflüchtete Ella Nik Bayan auf dem Alexanderplatz
Ein Jahr ist es her, erst ein Jahr. »Es ist alles noch sehr frisch, bei einem Interview kürzlich kamen mir die Tränen.« Auch jetzt klingt Georg Matzels Stimme belegt, als er von seiner Freundin Ella erzählt. Ella Nik Bayan, eine trans Frau aus dem Iran, geflüchtet nach Deutschland, nahm sich am 14. September 2021 das Leben, indem sie sich auf dem Alexanderplatz verbrannte.
Matzel begleitete Ella mehrere Jahre. Er lernt sie durch das Beratungsangebot Rainbow Connection kennen, eine Anlaufstelle für queere Geflüchtete des Lesben- und Schwulenverbandes Sachsen-Anhalt in Magdeburg, wo sich Matzel ehrenamtlich engagiert. Ella hatte den Iran verlassen, ein Land, das erst kürzlich zwei queere Aktivist*innen zum Tode verurteilt hat und wo sie nie als Frau hätte leben können. 2015 kommt sie nach einer strapaziösen Flucht über die Türkei, die Ägäis und die Balkanroute nach Deutschland.
In Deutschland erwarten sie Fremdbestimmung und Angst. Zwei Jahre lang wartet sie in einer Erstaufnahmeeinrichtung in Magdeburg auf ihren Asylbescheid, dann heißt es: abgelehnt. »Das Bamf hat über eine halbe Seite geschlechtsrelevante Asylgründe unterschlagen«, erzählt Matzel. Ella klagt und erhält schließlich nach vier Jahren einen positiven Bescheid. Vier Jahre, in denen sie keinen Anspruch auf medizinische Leistungen hat, die über Notfallmaßnahmen hinausgehen, weshalb sie ihre medizinische Transition nicht beginnen kann.
2019 zieht Ella nach Berlin, zwei Jahre später beendet sie ihr Leben. Matzel sieht in Ellas Selbstverbrennung auch einen politischen Akt: »Wenn sich jemand mit so einem großen Knall aus der Welt verabschiedet, soll uns das etwas zu verstehen geben.« Der negative Asylbescheid, das erniedrigende TSG-Verfahren, das nach dem noch geltenden Transsexuellengesetz für Personenstandsänderung und geschlechtsangleichende Operationen trans Menschen in Therapie zwingt – »alles an ihrem Dasein war politisch«.
Doch er hat nicht den Eindruck, dass sich politisch viel verändert hätte. »Die Ampel hat uns im Koalitionsvertrag wunderschöne Sachen versprochen«, bezieht er sich auf geplante Reform des Transsexuellengesetzes. »Es wäre schön, wenn da bald etwas passiert. Es sterben weiterhin Menschen.« Das Selbstbestimmungsrecht dürfe nicht nur deutschen Bürger*innen vorbehalten sein, auch bräuchte es Schutzkonzepte für queere Geflüchtete in Unterkünften.
Juliana Franke engagiert sich für die Rechte von trans Menschen und berichtet auf Twitter und auf ihrem Youtube-Kanal von ihrer persönlichen Geschichte als trans Frau wie auch von gesellschaftlichen Zusammenhängen und Queerfeindlichkeit. Zum ersten Mal beschäftigte sich Franke mit der Lebensrealität geflüchteter trans Frauen, als sie eine Bekannte aus Äthiopien im Bleiberechtskampf unterstützte: »Sie sollte abgeschoben werden, da haben eine andere Person und ich im Sommer 2021 den Protest gegen diese Abschiebung organisiert«, erzählt Franke »nd«. Daraufhin habe das Bamf einer neuen Anhörung zugestimmt – und Asyl bewilligt.
Seitdem verfolgt Franke den Umgang mit trans Geflüchteten und beobachtet dabei institutionelles Versagen. »Das Bamf versucht, Widersprüche in die Aussagen von Leuten herbeizuargumentieren und nimmt dabei keine Rücksicht auf die schwierige Lebenssituation in den Herkunftsländern wie auch hier.« Auch der Hinweis, queere Menschen könnten ja ihre sexuelle oder geschlechtliche Identität verstecken und somit gefahrlos in ihrer Heimat leben, kommt laut Franke oft von den Behörden. Erst wenn sich Betroffene an die Öffentlichkeit wendeten, ändere sich der Umgang.
Ellas Tod sorgte für mediale Aufmerksamkeit. Trotzdem hat Franke nicht den Eindruck, dass die breite Öffentlichkeit sich für die Lebenssituation queerer Geflüchteter interessiert. »Es ist schrecklich und schockierend, dass überhaupt so etwas passieren muss, damit es Aufmerksamkeit gibt.« Wirklich verändert hat sich auch in ihren Augen nichts. »Die Bundesregierung will LGBT Geflüchtete weiterhin abschieben, das Bamf hat auch unter als progressiv erklärter Führung nichts an der Entscheidungspraxis geändert«, so Franke.
Das Bamf erfasst zwar nicht, welche Asylbewerber*innen queer sind, somit lässt sich nicht das Verhältnis von positiven und negativen Bescheiden ermitteln. Aber Franke erinnert an aktuelle Fälle, in denen die Behörden eine Verfolgung aufgrund sexueller oder geschlechtlicher Identität weiterhin ignorierten: Ein schwuler Geflüchteter sei etwa im Frühjahr 2022 in sein Herkunftsland abgeschoben worden, wo Homosexualität unter Todesstrafe steht. Selbst in der queeren Community vermisst Franke Solidarität. »Der Staat kann schamlos einen schwulen Mann abschieben, das würde er ja nicht machen, wenn es einen großen Aufschrei gäbe.« Sie denkt, dass es sich manche Menschen mit den Errungenschaften der letzten Jahrzehnte gemütlich gemacht haben, »die wähnen sich in der Gesellschaft angekommen.«
Dabei nimmt Transfeindlichkeit zu. Franke erinnert an rechte Internetkreise, die Jagd auf trans Personen machen. »Heute habe ich zum Beispiel eine Nachricht bekommen, wo mir nahegelegt wurde, es Ella gleichzutun«, erzählt Franke. Auch Georg Matzel spürt ein »Grundgefühl der Panik« insbesondere in der trans Community. Der Totschlag von Malte C. und weitere transfeindliche Übergriffe wirken auf ihn wie die Realisierung transfeindlicher Diskurse. Ella bleibt nicht einmal nach ihrem Tod von dem Hass verschont. Ihr Grab wurde bereits dreimal geschändet, das letzte Mal am Tag des Berliner CSD. »Das ist die Gedenkstätte für ihre Freunde und ihre Hinterbliebenen«, so Matzel. »Das zu schänden, ist so niederträchtig.« Am Mittwoch, um 17 Uhr, vor dem Roten Rathaus wollen Matzel und Franke mit anderen Freund*innen und Aktivist*innen an Ella erinnern. »Ich hoffe, es wird ein würdiges Andenken«, sagt Matzel.
Wir behalten den Überblick!
Mit unserem Digital-Aktionsabo kannst Du alle Ausgaben von »nd« digital (nd.App oder nd.Epaper) für wenig Geld zu Hause oder unterwegs lesen.
Jetzt abonnieren!
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.