Deutschland stellt sich taub

Bundesregierung verweigert weitere Entschädigungsverhandlungen mit Nama und Herero

  • Christian Selz, Kapstadt
  • Lesedauer: 4 Min.

Die deutsche Bundesregierung will keine weiteren Verhandlungen über die »Gemeinsame Erklärung« mit Namibia führen. Mit dem im Mai 2021 präsentierten Abkommen sollten Entschädigungsleistungen infolge des Völkermords geregelt werden, den deutsche Truppen von 1904 bis 1908 an Herero und Nama in der damaligen Kolonie Deutsch-Südwestafrika verübt hatten. Die Erklärung wurde jedoch nach massiven Protesten in Namibia nie ratifiziert, die Debatte im Parlament in Windhoek schließlich ergebnislos beendet. Vor allem die Verbände der Traditionellen Autoritäten der Herero und Nama waren gegen das Abkommen Sturm gelaufen, weil sie von den Verhandlungen ausgeschlossen waren. Die Hoffnung, innerhalb der neuen Bundesregierung auf mehr Verständnis zu stoßen, hat sich nun aber zerschlagen: In der Antwort auf eine Kleine Anfrage der Bundestagsabgeordneten Sevim Dağdelen (Die Linke) erklärte das Auswärtige Amt nun, dass die »Gemeinsame Erklärung« »aus Sicht der Bundesregierung ausverhandelt« sei. Lediglich »über einzelne Modalitäten der Umsetzung« sollten »noch Gespräche geführt werden«.

Gespräche wurden zwischen Verhandlungsbeginn 2015 und Bekanntgabe der »Gemeinsamen Erklärung« 2021 bereits sechs Jahre lang geführt. An ihrem Ende stand noch immer keine uneingeschränkte Entschuldigung für den von der kaiserlichen Schutztruppe verübten Genozid, dem seinerzeit nach Schätzungen von Historikern 80 000 bis 100 000 Menschen zum Opfer fielen. Von »Völkermord« wollte der damalige Außenminister Heiko Maas im vergangenen Jahr lediglich mit dem Beisatz »aus heutiger Perspektive« sprechen.

Der Zusatz war entscheidend, da sich die Bundesregierung auf den Standpunkt zurückzog, dass die UN-Völkermord-Resolution von 1948 nicht rückwirkend angewendet werden könne. Entsprechend wollte Berlin auch keine Reparationen zahlen, sondern offerierte lediglich 1,1 Milliarden Euro für »Wiederaufbau und zur Entwicklung«, die über einen Zeitraum von 30 Jahren verteilt fließen sollen. Die Summe entspricht ziemlich genau der, die Deutschland bereits seit der Unabhängigkeit Namibias 1990 für Entwicklungshilfeprojekte in dem südwestafrikanischen Land bereitgestellt hat.

An der Lage der großen Mehrheit der Nama und Herero, die in bitterer Armut leben, hat das Geld jedoch kaum etwas verändert. Der überwiegende Teil des kommerziell genutzten Farmlands in Namibia ist noch immer in Händen weißer Menschen, viele von ihnen Nachfahren der Kolonialisten. Namibia zählt zu den Staaten mit der weltweit größten Ungleichverteilung von Vermögen und Einkommen.

Doch der Ärger unter den Herero und Nama entzündet sich nicht vorrangig an der Höhe des deutschen Angebots, sondern vielmehr an der grundsätzlichen Art und Weise, wie es ausgehandelt wurde. So gehörten der namibischen Verhandlungsdelegation zwar auch Angehörige der Herero und Nama an, aber nicht deren nach der Verfassung des Landes rechtmäßige Vertreter aus den Traditionellen Autoritäten. »Alles über uns, ohne uns, ist gegen uns!«, lautete deshalb von Anbeginn der Gespräche die Parole der Nama- und Herero-Verbände. Die Bundesregierung zog sich dazu auf die Feststellung zurück, dass ihr Verhandlungspartner der namibische Staat sei und spielte so die Zentralregierung in Windhoek gegen die Herero und Nama aus. Daran hat sich auch nach dem Regierungswechsel in Berlin nichts geändert. In der Antwort auf die jetzige Kleine Anfrage erklärt das Auswärtige Amt, dass auf eine Bitte von Nama- und Herero-Vertretern nach einem Gespräch mit Außenministerin Annalena Baerbock im Dezember vergangenen Jahres nicht geantwortet wurde. Eine weitere Anfrage im Juni dieses Jahres wurde dann mit Verweis auf eine Corona-Infektion der Grünen-Politikerin abgelehnt.

»Die Bundesregierung will keine Wiedergutmachung« und wolle »Reparationszahlungen verhindern«, schließt Dağdelen aus den Antworten auf ihre Kleine Anfrage und konstatiert: »Dafür nutzt sie die auch aus kolonialer Zeit erwachsene Machtposition Deutschlands gegenüber Namibia aus.« Für die Obfrau der Linken im Auswärtigen Ausschuss zeugt es »von Arroganz, dass die massive Kritik im Parlament in Namibia und die große Empörung bei den Nachfahren der Opfer der deutschen Kolonialverbrechen von der Ampel-Regierung einfach ignoriert« werde. Entsprechend verbittert fielen die Reaktionen in Namibia aus. Sima Luipert, eine Vertreterin der Traditionellen Autorität der Nama, erklärte gegenüber der Zeitung »Namibian«, es überrasche nicht, dass Deutschland an seiner »rassistischen, kolonialen Position festhalte«. Herero-Oberhaupt Mutjinde Katjiua bezeichnete die »Gemeinsame Erklärung« als Schande und verlangte einen vollständigen Neuanfang der Verhandlungen.

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
- Anzeige -

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.