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Kein Schutz vor Armut
Bundeskabinett bringt Bürgergeld auf den Weg. Sanktionen, Mangel und Entbehrung bleiben
Zu Beginn des kommenden Jahres ist Schluss mit Hartz IV. Ersetzt wird es durch ein Bürgergeld, hat das Bundeskabinett am Mittwoch beschlossen. »Mein Ziel ist nicht, Menschen in Bedürftigkeit zu verwalten, sondern Brücken in den Arbeitsmarkt zu bauen. Genau das tun wir«, erklärte Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) das neue System am Mittwochmorgen im Deutschlandfunk. So hätten rund zwei Drittel der Langzeitarbeitslosen keine abgeschlossene Berufsausbildung. Diese erhalten im neuen Bürgergeld Prämien von 150 Euro im Monat, wenn sie ihren Berufsabschluss nachholen.
Das Bürgergeld wird dem Minister zufolge ein »unbürokratischeres System« sein. Es werde Kooperationsvereinbarungen und auch Mitwirkungspflichten geben, jedoch nicht mehr eine ganze Menge an Bescheiden. Der Geist des neuen Systems sei einer der »Ermutigung und Befähigung«. Wichtig ist der Ampel-Koalition, dass Jobcenter den Betroffenen »auf Augenhöhe« begegnen sollen.
Der Gesetzesentwurf zum Bürgergeld sieht auch eine Erhöhung der Regelsätze vor. So sollen Alleinstehende monatlich 502 Euro erhalten, 53 Euro mehr als aktuell. Viele kritisieren das als zu niedrig. »Von 502 Euro im Monat bei galoppierender Inflation leben zu müssen – das ist definitiv nicht ausreichend«, sagte etwa die Präsidentin des Sozialverbands Vdk, Verena Bentele, am Mittwoch. Die Erhöhung sei nur ein längst überfälliger Inflationsausgleich, der ein Jahr zu spät komme. Auch Marcel Fratscher vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung kritisierte im Vorfeld der Kabinettssitzung die Erhöhung von elf Prozent als unzureichend, da ärmere Menschen besonders unter der Inflation zu leiden hätten.
Sehr häufig sind Kinder und Jugendliche von Hartz IV betroffen. Jeder dritte Hartz-IV-Empfänger ist laut Kinderschutzbund ein Kind. Obwohl ihr Anteil an der Gesamtbevölkerung in Deutschland nur bei etwa 16 Prozent liegt. Auch für Minderjährige soll es mit der Einführung des Bürgergelds mehr Geld geben, laut Kinderschutzbund je nach Alter zwischen 318 und 420 Euro. Bisher haben sie höchstens 376 Euro bekommen. »Die stark gestiegene Inflation und insbesondere die explodierenden Energiepreise« würden finanzielle Verbesserungen »komplett zunichtemachen«, stellte der Bundesgeschäftsführer vom Deutschen Kinderschutzbund, Holger Hofmann, am Mittwoch fest. »Es sind also deutlich höhere Investitionen nötig, um Kinder wirksam aus der Armut herauszuholen.«
»Die Ampel löst ihr vollmundiges Versprechen nicht ein, Hartz IV zu überwinden«, erklärte auch Jessica Tatti, arbeitsmarkt- und sozialpolitische Sprecherin der Linksfraktion. »Zwar finden sich im Gesetzentwurf Licht und Schatten, das Wichtigste aber fehlt: eine ehrliche Bemessung und Erhöhung der Regelsätze.«
Kritik an der Anhebung der Regelsätze als zu hoch kam unter anderem aus der Unionsfraktion. »Mit dem Bürgergeld wird Nichtarbeit deutlich attraktiver«, sagte etwa Stephan Stracke (CSU), sozialpolitischer Sprecher der Fraktion. Doch auch innerhalb der Ampel-Koalition wurde bis zuletzt um das Bürgergeld gestritten. Denn die FDP stellte sich gegen eine Neuberechnung. Aber auch bei der genauen Festlegung von Mitwirkungspflichten und Hinzuverdienstregeln gab es lange keine Einigung. Umstritten war auch die von Bundesarbeitsminister Heil geplante Verringerung von Sanktionen, also die Kürzung des Existenzminimums bei Versäumnissen.
Nach dem jetzigen Entwurf sollen nun weiterhin Sanktionen möglich sein. Zwar sinkt die Höhe der ersten Sanktion von 30 auf 20 Prozent und es soll eine »Vertrauenszeit« von einem halben Jahr geben, in der keine Kürzung wegen einer Pflichtverletzung möglich ist. »Das ist ein Armutszeugnis und widerspricht massiv dem Gerede von Augenhöhe und Respekt«, kommentierte Tatti. Die Ampel betreibe eine Politik der sozialen Kälte. »So wird Hartz IV nicht überwunden, sondern Armut zementiert«, so die Linke-Politikerin.
Eine weitere Änderung beim Bürgergeld ist die Ausweitung der Hinzuverdienstmöglichkeiten. Aktuell werden lediglich die ersten 100 Euro Verdienst im Monat nicht mit dem Regelsatz verrechnet. Eine weitere Verbesserung ist die zweijährige Übergangsfrist für Wohnungskosten und Vermögen. Wer neu Hartz IV erhält, muss also nicht gleich einen Umzug fürchten, weil die Wohnkosten als nicht angemessen bewertet werden.
»Wer seine Arbeit verliert, kann sich in Zukunft darauf verlassen, dass die vertraute Wohnung und die Ersparnisse geschützt sind. Weiterbildungsangebote werden deutlich gestärkt und verbessert, was Arbeitslosen neue Perspektiven eröffnet und gegen Fachkräfteengpässe hilft«, meinte DGB-Vorstandsmitglied Anja Piel. Doch sie kritisierte auch: »Wer Hartz IV bekommt, braucht ein reales Plus über die Inflation hinaus, damit sich die materielle Lebenslage tatsächlich bessert.« Anstelle von Mangel und Entbehrung müsse mehr soziale Teilhabe möglich sein. »Eine reale Erhöhung der Regelsätze scheitert aber bisher an der ideologischen Verbohrtheit des kleinsten Koalitionspartners – frei nach dem Motto: Wer Reiche vor höheren Steuern schützen will, kann den Armen nichts geben«, so Piel.
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