Braucht Geschichte Helden?

Nach einem Sklavenaufstand erklärte Haiti 1804 seine Unabhängigkeit von der Kolonialmacht Frankreich. Eine neue Biografie des Schwarzen Aktivisten Toussaint Louverture nimmt der ersten antikolonialen Revolution der Geschichte ihre Radikalität

  • Johannes Tesfai
  • Lesedauer: 6 Min.
Als in Frankreich die Revolution losgeht, brennt auch die Hauptstadt von Haiti, damals noch Hispaniola. Kolorierter Druck von Jean-Baptiste Chapuy, um 1794.
Als in Frankreich die Revolution losgeht, brennt auch die Hauptstadt von Haiti, damals noch Hispaniola. Kolorierter Druck von Jean-Baptiste Chapuy, um 1794.

Eine einzelne Person, die politische Strömungen und Entscheidungen auf sich vereinigt, ist immer wieder Hilfsmittel, aber auch Wunsch der Chronisten gewesen – und auch für den Historiker Sudhir Hazareesingh gibt es diese Heldenfiguren. In seinem kürzlich erschienen Buch »Black Spartacus« findet er ihn in Toussaint Louverture. Der General führte eine Armee ehemaliger Versklavter an, die die Sklaverei in der ertragreichen Kolonie Saint-Domingue abschaffte und den unabhängigen Staat Haiti ausrief.

Die Biografie versucht, das gesamte Leben Louvertures nachzuzeichnen: von seiner Zeit als Plantagensklave hin zum Aufstand gegen die Sklaverei. Dieser bricht während der Französischen Revolution aus, Haiti ist zu der Zeit französische Kolonie. Die Versklavten erwehren sich der unterschiedlichen Kolonialmächte, die in der Karibik zu dieser Zeit viel Geld mit der arbeitsintensiven Plantagenwirtschaft verdienen. Es geht gegen das britische Empire, die spanische Krone, aber auch gegen eine Invasionsarmee Napoleons, die die Sklaverei auf Haiti wiederherstellen will. Beinahe widerwillig löst sich der neue Staat von Frankreich, denn eigentlich hatten die aus Afrika verschifften Landarbeiter*innen auf »Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit« gehofft. Toussaint bezahlt seine Rolle in der Haitianischen Revolution mit dem Leben – es endet in einem französischen Kerker.

Hazareesingh hat für seine Recherche wahre Maulwurfsarbeit betrieben: Neben einigen bekannten Schriftstücken wie der Korrespondenz zwischen Napoleon Bonaparte und Louverture zitiert der Autor viele bisher unbekannte Quellen. Berichte von Franzosen etwa, die noch vom Geist der Revolution in Paris und ihrem Versprechen der Gleichheit beseelt sind und in dem Schwarzen General Louverture nur eine Fortsetzung der Aufstände in Europa sehen. Aber auch die britischen und vor allem französischen Briefe von Kolonialbeamten und Militärs, die die gewünschte Wiedereinführung der Sklaverei mit den gerade entstehenden rassistischen Konzepten der Moderne begründen.

Politik am Verhandlungstisch

Durch die akribische Archivarbeit kann Hazareesingh Toussaint Louverture ein historisches und persönliches Gesicht geben. Dies ist schwer, denn der Held der Biografie ist ein Mensch ohne bürgerliche Vergangenheit; in die Sklaverei geboren, konnte er wie ein Gegenstand verkauft werden. Die vermeintliche Geschichtslosigkeit der Versklavten ist bis heute ein beliebter rassistischer Topos, wenn es um Schwarze Vergangenheit geht. Hazareesingh konstruiert mit seinem kleinteiligen Text jedenfalls einen Schwarzen Protagonisten, der den bekannten Figuren der Weltgeschichte militärisch wie persönlich ebenbürtig ist.

Die neuen Quellen verleiten den britisch-mauritischen Historiker aber leider zu einer anekdotenhaften Erzählung. Randständige Ereignisse wie Unterredungen Louvertures mit seinen Untergebenen, die der Autor nur aufgenommen hat, weil sie die Spitzfindigkeit des Generals unterstreichen sollen, nehmen zu großen Raum ein. Dadurch fehlt dem Text oft der rote Faden, gleichzeitig geht die Kraft von Hazareesingh historischem Anspruch verloren, eine Person der Weltgeschichte zu zeigen. Unter den vielen Anekdoten sind die wirklich wichtigen Ereignisse schwer zu finden.

Die praktischen Finten und Wortgefechte, die im Buch zu finden sind, zeigen einen durch und durch bürgerlichen Politiker. Zwar versucht die Biografie, die Politik des haitianischen Revolutionsführers als Fusion seiner drei politischen Bezugspunkte zu zeigen: eine kreolische Kultur, die sich auch aus Westafrika speist, ein strenger Katholizismus und die Aufklärung sowie der französische Republikanismus. Jedoch schafft es Hazareesingh nicht, diese Überzeugungen mit Louvertures Handeln als Politiker in eins zu bringen. Vielmehr finden wir die Darstellung eines Anführers, der sich voll und ganz in eine Kriegs- und Staatspolitik der Winkelzüge, Geheimabkommen und der kurzlebigen Bündnispolitik begibt. Hazareesingh beschreibt einen Politiker, der weniger eine Revolution gestaltet, sondern sich vor allem in Machterhalt und politischer Führung versucht.

Kanonisierung einer Revolution

Durch dieses Vorgehen holt die vorliegende Biografie die Haitianische Revolution in den bürgerlichen Kanon: Der Politiker Louverture wird Teil einer Riege von europäischen Figuren, die Politik als Kunst und Geschäft betreiben. Dabei war der Schwarze General der haitianischen Nationalfolklore bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts Fixstern einer antikolonialen Lesart und Gesicht eines proletarischen Aufstands in den Kolonien. Dass er zur Nische für die französischsprachige Literaturströmung der Négritude oder den englischsprachigen Black Marxism wurde, hatte auch mit der Ignoranz der europäischen Historiografie des 19. und 20. Jahrhunderts zu tun: Wenig war über die revolutionären Ereignisse in hiesigen Geschichtsbüchern zu lesen, erst in den letzten Jahren wurden vor allem in Frankreich Gedenktafeln und Denkmäler zu Ehren von Louverture errichtet.

Für diese Ignoranz gab es allerdings handfeste politische Gründe: Einerseits gab es eine große Furcht aufseiten der Kolonialmächte, dass die überaus einträgliche Plantagenökonomie durch einen ähnlichen Aufstand etwa auf Jamaika oder Kuba weggefegt werden könnte. Andererseits widersprach die aktive, widerständige Politik der Schwarzen in Haiti durchaus den rassistischen Theorien der folgenden Jahrhunderte, die bis zum Ende des weißen Südafrika Anfang der 1990er immer auch die Regierungspolitik in rassistisch segregierten Gesellschaften legitimierten.

In den vergangenen Jahren haben Schwarze Communities sich theoretisch und praktisch radikalisiert, sind aber auch Teil des Mainstreams geworden. So ist es nicht verwunderlich, dass der antirassistische Stachel der Haitianischen Revolution nun dem Sturm auf die Bastille, sprich der französischen Geschichte zugeschlagen wird. Diese Verbürgerlichung betreibt auch der deutsche Verlag, der die vorliegende Übersetzung herausgebracht hat: C.H. Beck ist für sein staatstragendes Programm bekannt, hier finden sich vor allem juristische Fachliteratur und wissenschaftliche Titel.

Radikales Erbe

Die Eingemeindung des Sklavenaufstands in die europäische Geschichte der Aufklärung durch Hazareesingh schwächt seine Analyse. So gab es nämlich politischen Zündstoff auf Haiti auch deshalb, weil neben den unterschiedlichen weißen Bevölkerungsgruppen und den versklavten Schwarzen eine nicht unbedeutende Gruppe von People of Color dort lebte. Diese hatten meist einen weißen und Schwarzen Elternteil und bildeten während des Aufstands eine eigene Gruppe, die unabhängig mit den Großmächten verhandelte und nach dem Abzug der Franzosen eine eigene Republik im Süden der Insel gründete. Für Hazareesingh sind diese Vorgänge nur ein Produkt des vorherrschenden Rassismus. Er vergisst dabei, dass diese Gruppe auch politisch und ökonomisch eine Sonderstellung hatte: Sie durften zwar vor der Revolution Eigentum besitzen und waren deshalb auch oft Sklavenhalter*innen, aber Frankreich gestand ihnen keine vollen Rechte in der Kolonie zu. Deshalb waren die People of Color zwar bei Beginn des Aufstands eine treibende Kraft, hatten aber ein zwiespältiges Verhältnis zur Abschaffung der Sklaverei. Sie machten eher Politik auf eigene Rechnung. Der Vordenker des Black Marxism, C.L.R. James, hat bereits 1938 genau diese Klassenanalyse in die Beschreibung der Revolution eingebracht. Auch die eigentumslosen Versklavten bestätigten seine Perspektive auf den Aufstand als Klassenbewegung.

Indem James die Französische und die Hatianische Revolution als miteinander verknüpfte und korrespondierende Ereignisse darstellte, erfand er die atlantische Perspektive, die in der späteren Globalgeschichte großen Anklang fand. Diesem Blickwinkel kann sich auch Hazareesingh nicht entziehen, und so hat die Biografie ihre Stärke vor allem am Ende, als das eigentliche Leben des Hauptprotagonisten bereits erzählt ist und der Autor versucht, sich mit der Wirkung Toussaint Louvertures auf die Nachwelt zu befassen.
Und tatsächlich findet Hazareesingh unzählige Bezüge zu Louverture und der Revolution: in der Literatur Aimé Césaires, in den Schriften des (politisch allerdings unhaltbar gewordenen) Panafrikanisten Marcus Garvey, bei kommunistischen Militanten in London oder der Karibik, bei radikalen Künstler*innen in den USA und antikolonialen Aktivist*innen in Afrika. Die Haitianische Revolution steckte also noch in ihrer Nachwirkung einen eigenen atlantischen Raum ab, in dem der Schwarze Aufstand als Vorbild und Versprechen galt.

Sudhir Hazareesingh: Black Spartacus. Das große Leben des Toussaint Louverture. C.H. Beck 2022, Hardcover, 34,95€.

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